Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Gunnar Landsgesell · 23. Dez 2015 · Film

Mr. Holmes

Sherlock Holmes ein Misanthrop? In "Mr. Holmes" ist der Meisterdetektiv sehr alt und wunderlich geworden und spricht lieber mit seinen Bienen als mit Menschen. Zu seinem letzten Fall, den es aufzuklären gilt, wird gewissermaßen er selbst. Wunderbare Charakterstudie des (fiktiven) Mannes hinter dem Mythos. Mit dem Charme des Nichtzeitgemäßen von Ian McKellen verkörpert.

Wenn Sherlock Holmes einen Buben im Zugabteil aufklärt, dass das Tier am Fensterglas keine Biene ist, sondern eine Wespe, dann steht diese Bemerkung zu Beginn von „Mr. Holmes“ weniger für den untrüglichen Scharfsinn des berühmten Meisterdetektivs als für die Tatsache, dass man hier einem Mann an seinem Lebensabend begegnet. Mr. Holmes, mit vornehmer Kautzigkeit von Ian McKellen gespielt, hat sich längst in den Ruhestand begeben. Auf seinem englischen Landsitz hegt er ein paar Bienenstöcke, deren Kontakt er dem der Menschen vorzieht. Erst als Holmes in seinen Schubladen und brüchigen Erinnerungen kramt, um noch einen letzten Fall aus der Vergangenheit für sich selbst aufzuklären, wendet er sich ein wenig dem halbwüchsigen Sohn seiner Haushälterin zu. Die gute Frau hält er für gewöhnlich mit ein paar wenigen, barschen Worten auf Distanz. Ein Kautz namens Holmes, der mehr als mit seiner Demenz noch mit seinen Lebenslügen kämpft, wird unter der seidenweichen Regie von Bill Condon („Breaking Dawn“, „Inside Wikileaks“) zu einer Gestalt des Privaten, die sukzessive offenlegt, was übrig bleibt, wenn der Ruhm verschwunden ist und die Knochen schmerzen. Ein Thema, das Condon schon in „Gods and Monsters“ (1998) anhand der Figur des britischen „Frankenstein“-Regisseurs James Whale bearbeitet hat.

Der Reiz des Nichtzeitgemäßen


In den elegischen Tonfall seines Films streut Condon dabei immer wieder eine Prise trockenen Humors ein. „Haben Sie Ihre Mütze gar nicht auf?“, fragt eine Frau den Meisterdetektiv. „Ach, die hat sich Watson ausgedacht, so wie auch die Pfeife, um der öffentlichen Figur mehr Profil zu geben.“ Das Schöne an „Mr. Holmes“ ist gerade, dass er eine fiktive literarische Figur nicht mit einer ins Spekulative aufgeblasenen Biographie ausstattet, sondern sich ganz auf seine sympathisch eigenbrötlerische Charakterstudie konzentriert. Der Plot selbst, die Recherche eines alten Falles, ist dabei weniger im kriminologischen Sinn bedeutsam, sondern als Spurensuche und Reflexion über die eigene Person. Ein durch die Maske ins greisenhafte verwandelter Ian McKellen ("X-Men", "Herr der Ringe"), der nun entdeckt, dass seine sozialen Kompetenzen wohl weniger brilliant sind als seine detektivischen, befragt sich, wer er eigentlich ist. So alt der Held dieses Films auch sein mag, so wenig bezieht er sein Interesse aus der Vergangenheit. Der Wert von "Mr. Holmes" liegt gerade im Nichtzeitgemäßen seiner Figur, die als Gegenentwurf zu Sherlock-Holmes-Filmen gleichermaßen zu verstehen ist wie in der Entrücktheit zur Gegenwart. Mit dem Jungen an seiner Seite, den Holmes ebenfalls für seine Bienen interessieren kann, kommt es schließlich auch noch zu einem dramatischen Ereignis. Dass sein logischer Spürsinn ihn nicht verlassen hat, kann Mr. Holmes dann beweisen.