Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Gunnar Landsgesell · 18. Mai 2017 · Film

Jahrhundertfrauen

Santa Barbara 1979: Eine 55-jährige Alleinerzieherin (Annette Bening) und ihr 15-jähriger Sohn erleben eine sich wandelnde Welt ein wenig anders. Als zwei weitere Frauen (Greta Gerwig und Elle Fanning) im Haus einziehen, findet der pubertierende Jamie zwar Anschluss - aber leichter wird es in diesem Coming-of-Age Film damit nicht.

In den Sechziger Jahren gilt eine Geburt mit 40 Jahren als unerhört spät. Der liebevolle Griff einer Frauenhand in den Brutkasten zeigt, es ist dennoch alles gut gegangen. Schon hier findet sich der erste Hinweis, dass man es in „Jahrhundertfrauen“ („20th Century Women“) mit einer eher unkonventionellen Frauenfigur zu tun hat. Dorothea Fields (Annette Bening) legt Wert darauf, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ihren Sohn Jamie (Lucas Jade Zumann) zieht sie dann auch ohne Vater auf, was der Beziehung der beiden aus Sicht des Sohnes nicht ganz zuträglich ist. Dorothea und Jamie, das ist eine Geschichte zwischen leicht verzweifelter Zuneigung und Missverständnissen, die Regisseur und Autor Mike Mills neben Genderfragen vor allem auch aus den unterschiedlichen Zeiten bezieht, in denen Mutter und Sohn leben.

New Wave und Wandel der Zeit


Santa Barbara, 1979, eine gepflegte Kleinstadt nördlich von Los Angeles. Dorothea ist mittlerweile 55 Jahre alt und ihr Sohn Jamie 15. Hier findet der Film sein Zentrum, obwohl er ständig in die Vergangenheit und auch in die Zukunft mäandert. Dorothea erinnert die Ereignisse für das Publikum von einem viel späteren Zeitpunkt, einmal erwähnt sie sogar ihren eigenen Tod. Nun aber erleben wir einen Jungen, der in der Pubertät steckt und bei seiner Mutter keine Antworten darauf findet. Dorothea, von Bening mit brüsker Sorge gespielt, ist ein bisschen altmodisch. Sie lebt in einem viktorianischen Haus, das eigentlich renoviert werden müsste und kann mit der Musik, die nun aufkommt (Soundtrack: Siouxsie and the Banshees, Talking Heads, u.a.) ebenso wenig anfangen wie mit der „radikalen“ Art, wie junge Frauen nun über ihren Körper und Sexualität reden. Mills und Bening sorgen für einige komische Momente, in denen die Welt für Dorothea aus den Fugen gerät („Hast du eben Menstruation gesagt?“). Zugleich gerät Jamie zunehmend in den Einfluss zweier junger Frauen, die ihn wesentlich prägen. Die 17-jährige Julie (Elle Fanning) ist die beste Freundin von Jamie, die mit ihm gerne im Bett kuschelt, aber keinen Sex mit ihm haben will und lieber über ihre sexuellen Probleme mit anderen Jungs redet. Abbie (Greta Gerwig mit rot gefärbter New-Wave-Frisur) ist Fotografin und wohnt im Obergeschoß, sie nimmt sich kein Blatt vor den Mund, wenn es um Subjektpolitik geht und darum, ihre Post-Punk-Haltung kundzutun. „20th Century Women“ sind alle drei, doch es sind die feinen Linien, die Mills in den verschiedenen Generationen auszudifferenzieren versucht. Mittendrin die Coming-of-Age Storie von Jamie, die Konstellation und das freigeistige Milieu erinnern ein wenig an „3 Generations“ („Alle Farben des Lebens“) mit Naomi Watts, Elle Fanning und Susan Sarandon, der vergangenes Jahr Kinostart hatte. Mit einer ausgeklügelten Dramaturgie hat Regisseur Mills seinen Film allerdings nicht bedacht. Er bleibt episodisch, in den einzelnen Szenen möglichst akkurat, ansonsten treibt das Geschehen durch die Höhen und Tiefen des Alltags. Der Wandel der Zeit ist so etwas wie das leitende Thema des Films, da kann auch schon mal Jimmy Carter im Fernsehen zu sehen sein, wenn er in seiner Rede vor einem Vertrauensverlust in die amerikanische Gesellschaft warnt. „20th Century Women“ ist ein Film, in dessen tönernen, leicht distanzierten Erzählduktus man aber erst hineinfinden muss. Da geht es einem ein bisschen so wie den Akteurinnen und ihrem Leben im Film.