Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Gunnar Landsgesell · 22. Mär 2018 · Film

I, Tonya

Ironisch, rasant und von beißendem Humor erfüllt: "I, Tonya" erzählt im Stil der Mockumentary von der Eiskunstläuferin Tonya Harding, die sich aus miesesten sozialen Verhältnissen an die Weltspitze rackerte. Bis sie angeblich das Knie ihrer Konkurrentin zertrümmern ließ.

Bei der Winterolympiade 1994 gingen die Emotionen hoch, und die halbe Welt schaltete damals den Fernseher für den Eiskunstlauf ein, weil zwei Jahre zuvor einer von zwei Titelanwärterinnen das Knie zertrümmert wurde – im Auftrag der anderen, angeblich. Nun treten sie wieder an, Tonya Harding und Nancy Kerrigan, die Proletin und die Prinzessin, wie es damals hieß. Doch warum sollte man sich heute, ein Vierteljahrhundert später, die Neuauflage dieses eisigen Duells im Kino ansehen? Kaum jemand sind diese Namen noch geläufig. „I, Tonya“ verblüfft sein Publikum schon in den ersten Sekunden mit einer frivolen Mockumentary, die zuvorderst den eigenen Stil als Erlebnis setzt.

Die Lunte brennt ab

Von Craig Gillespie inszeniert zwischen unerbittlicher Härte und beißendem Spott, irgendwo zwischen der Direktheit der Dardenne- und dem Brachialhumor der Farrelly-Brüder angesiedelt, rollen die Ereignisse über einen hinweg. Keine der Figuren zeichnet sich hier durch falsche Zurückhaltung aus. Zuvorderst Tonyas Mutter (genial und Oscar-gekrönt: Allison Janney) als missmutiger Drache, der eine kleine Tochter übers Eis jagt, bis diese sich anpinkelt und alle Unflätigkeiten, die man einer Trailer-Home-Familie unterstellen würde, jederzeit auf Lager hat. Tonya selbst (famos zwischen harter Selbstdisziplinierung am Eis und Fuck-it-Mentalität im richtigen Leben von Margot Robbie verkörpert) ist Degradierungen von Kindesbeinen an gewöhnt. Mit ihrem Mann, dem späteren Tatverdächtigen, verbindet sie eine Art SM-Beziehung, in der die wuchtigen Schläge, die auch sie ihm zuweilen austeilt, wie in Kung-Fu-Filmen durchs Bild sausen. Margot Robbie gleicht als Tonya einer mit Mühe gebändigten Naturgewalt, die es nicht schafft, ihre Herkunft hinter sich zu lassen. Mangels Geld flickt sie notdürftig ihre eigenen Kostüme zusammen und am Eis tanzt sie zu den Klängen der White-Trash-Rocker ZZ Top. Technisch ist sie perfekt. Harding war die erste amerikanische Profi-Eiskunstläuferin, die einen dreifachen Axel springen konnte. Doch mangelnde Eleganz bringt ihr bei jedem Turnier unterdurchschnittliche Wertungen ein. In einer Szene stellt Tonya in einer Parkgarage ein Jury-Mitglied zur Rede. Seine trockene Antwort bringt quasi die umfassende Rage dieses Films auf den Punkt: "Du entsprichst nicht den Vorstellungen der amerikanischen Familie und deren Werten, wie wir sie auch gerne am Eis sehen würden", sagt der Preisrichter. So verfolgt man gebannt zwei Stunden eine irre Talfahrt, deren verhaltene Höhepunkte für Tonya nur weitere Abstürze ankündigen. Das Schöne an diesem Film ist aber, dass für Nancy Kerrigan hier kein Platz ist. Sie würde in die bitterböse Zelebration eines völlig derangierten sozialen Milieus und den garstigen Satirestil dieses Films auch gar nicht passen. Während Tonya, ihre Mutter, ihr Freund, dessen minderbemittelter Freund und ein Reporter das Geschehen (in Fake-Interviews) immer wieder unterbrechen, um ihre Sicht der Dinge darzulegen, brennt die Lunte unweigerlich ab. Das Mitgefühl wird Tonya am Ende allerdings sicher sein. Die Frage nach der Wahrheit in diesem Kriminalfall ist dann schon lange nebensächlich.