Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Gunnar Landsgesell · 05. Okt 2017 · Film

Happy End

Eine geradezu suizidale Unternehmersfamilie im französischen Calais zerfällt, und Michael Haneke begleitet sie mit bekannt präzisem, sarkastischem Blick, dem zudem eine verunsichernde Heiterkeit zugrunde liegt.

Wenn ein 13-jähriges Mädchen und ein 85-jähriges Familienoberhaupt Suizidversuche begehen, sich am Ende aber in einer bizarren Allianz finden, die dem Alten doch noch den Tod ermöglichen soll, dann ist man in einem Film von Michael Haneke. Und so deutlich wie seit „Funny Games“ nicht mehr, bringt Haneke, der kühle Denker, seinen eigenen schwarzen Humor mit ein. „Happy End“, der Titel ist selbstverständlich zynisch zu verstehen, ist das Porträt einer großbürgerlichen Unternehmerfamilie im französischen Calais, der der Boden unter den Füßen entgleitet. Nichtsdestotrotz macht jeder weiter, interessieren sich der klapprige, schnippische und dauerlebensmüde Patriarch (Jean-Louis Trintignant), dessen zackige Tochter Anne (Isabelle Huppert), ihr emotional nicht minder verarmter Bruder Thomas (Mathieu Kassowitz), sowie ihr ständig an der eigenen Existenz leidender Sohn Pierre (Franz Rogowski) vor allem für sich selbst. Launig spielt Haneke die Defekte und Egoismen dieser nach außen saturierten, innerlich korrumpierten Familie durch. Dass die Baufirma schon länger nicht mehr gut läuft, scheint Nebensache zu sein. Die Totale, in der Kameramann Christian Berger einige längere Momente eine Großbaustelle zeigt (ein ungewöhnliches Bild im Haneke-Kosmos) endet schließlich ganz still mit einem gewaltigen Erdrutsch, der für die Firma finanziell einer mittleren Katastrophe gleichkommt, tatsächlich aber eine Allegorie auf die Familie selbst darstellt.

Beißende Heiterkeit


„Happy End“ erschließt sich in seiner Stoßrichtung nicht sofort. Der Zuseher muss die oft nur angerissenen Charaktere und deren Motive wie ein Mosaik zusammensetzen. Am Ende ergibt sich freilich dennoch kein Gesamtbild, der Film wirkt fragmentarisch, irgendwie unentschlossen zwischen verschiedenen Themen, die einem aus Hanekes früheren Arbeiten vertraut sind: die über Jahrzehnte akribisch dokumentierte emotionale Vergletscherung ebenso wie die Kritik an den Medien (hier durchgespielt anhand der 13-jährigen Eva, gespielt Fantine Harduin, die mit einer Mischung aus Distanz und Verachtung ihren Hamster mit den Psychopharmaka der Mutter tötet und dies auf ihrem Handy festhält.); aber auch das fassadenhafte Großbürgertum mit einem letztlich trostlosen Leben und, mit einem größeren Blick, die Entfremdungstendenzen des Menschen im Kapitalismus. Dennoch erweist sich der mittlerweile 75-jährige Regisseur und Autor einmal mehr als gleichermaßen scharfsinniger Beobachter unserer Gesellschaft und als kunstvoller Erzähler, dessen Sarkasmus ebendiese Gesellschaft so spielerisch aufblättert wie ein Buch. Fast könnte man sagen, Haneke hat seine eigene Form des Suspense gefunden, mit denen er die präzise vermessenen Szenen mit innerer Spannung füllt. Und auch in „Happy End“ durchlebt man einige Szenen, die an Kälte kaum zu unterbieten sind. Der marode Familienclan hält sich ein Dienstpersonal (möglicherweise aus Algerien, als Anspielung auf Frankreichs koloniales Erbe), das mit einer scheinbar aus der Zeit gefallenen Demut seinen Herren dient. Als der Molosser draußen im Garten das kleine Mädchen der Bediensteten beißt, legt Thomas, ein Chirurg, rasch die Bettdecke über die Wunde, während die Eltern es nicht wagen, sich zu erheben. In solchen Momenten erscheint Frankreich der weitaus reichhaltigere Boden für einen Dramaturgen wie Haneke zu sein als Österreich mit seinem oftmals nach innen orientierten filmischen Blick. Haneke hat immer auch den Anspruch, ganz universell über die menschliche Verfasstheit zu erzählen, auch wenn die beißende Heiterkeit von „Happy End“ einer konzisen Erzählhaltung diesmal in die Quere kommt.