Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 11. Feb 2016 · Film

Dürrenmatt. Eine Liebesgeschichte

Der Schweizer Schriftsteller als scharfzüngiger Kritiker und Familienmensch mit Einschränkungen. "Dürrenmatt" wirkt in der Auswahl seiner Bilder und Gespräche akkurat. Es entsteht das Bild eines von der Einsamkeit begleiteten Menschen, der das Format der Komödie deshalb nutzte, weil der Wirklichkeit anders nicht mehr beizukommen sei.

Wenn die Kinder von Künstlern über ihre Eltern sprechen, dann sind ihre Worte nicht immer nur von Bewunderung getragen. Die Gesellschaftskritik aus den eigenen Werken lässt sich im Privaten eben nie so einfach umsetzen. Friedrich Dürrenmatts Sohn, er wurde Pfarrer, sagt über seinen Vater, er wusste nicht, wie man persönlich redet. Nachsatz: Jedenfalls nicht mit seinen Kindern. „Dürrenmatt“ ist das Portrait eines scharfzüngigen Schriftstellers und freisinnigen Malers, das versucht, hinter die öffentliche Figur ins Private einzutauchen. Der große Dramatiker aus der Schweiz, der vor 25 Jahren starb, wird hier aber nicht nur als der Gesellschaftskritiker sichtbar. Auch wenn dieser Mann als zurückgezogen galt, existiert doch erstaunlich viel Filmmaterial, einiges davon privat: wie Dürrenmatt malt, laut über sich selbst nachdenkt, oder seinen weißen Kakadu, den er wohl voller Zuneigung gleichwohl wie einen Humpen Bier packt und zu ihm spricht. Öffentliche Einblicke wie diese dürften der Regisseurin Sabine Gisiger zu verdanken sein, Dürrenmatt war schon in ihrem Elternhaus regelmäßig zu Gast. Wohl auch aufgrund dieser Nähe sind Schwester und Kinder bereit, über „Fritz“ zu sprechen. „Dürrenmatt“ zeichnet das Bild eines sensiblen, aber distanzierten Beobachters, der sich offenbar gerne in die Außenseiterposition zurückzog. Schon als Kind, erzählt er, hatte er sich Schleichwege in die Schule gesucht, um den Bauernkindern zu entkommen, die ihn gerne vermöbelten. Später sollte er seinem Publikum mitgeben, dass er Diagnostiker und nicht Therapeut sei. Und wörtlich: „Mich ziehen die Konflikte der Welt mehr an als die noch möglichen Wege, sie zu retten.“ Diese Ironie, bisweilen Selbstironie und der beißende Humor, den Dürrenmatt gerne einsetzte, war ihm wohl immer ein Mittel zur Distanzierung. Wenn der Schriftsteller in die Kamera sagt, dass der Wirklichkeit nur noch mit der Komödie beizukommen sei, dann bestätigt sich eine grundsätzlich düstere Sicht auf die Welt. Stücke wie „Der Verdacht“ oder die gnadenlose und geradezu ins Surreale verzerrte Komödie „Die Ehe des Herrn Mississippi“ zeugen davon. Am Ende sind darin die Falschen tot. Die schweizerische Öffentlichkeit zeigte sich damals schockiert, das Stück wurde als Tabubruch empfunden.

Wie spitze Pfeile


Wie akkurat „Dürrenmatt“ seinen Protagonisten zu erfassen vermag, bzw. wie bereitwillig dieser selbst sich in diesen Archivaufnahmen offenlegt, ist immer wieder verblüffend. Auch wenn er einmal kokettierend meint, er könne ja nicht immer das Enfant terrible spielen, so wirkt er an anderer Stelle sehr authentisch, wenn er im Gehen meint: „Ich habe wenig Kontakt mit anderen, ich weiß auch nicht warum. Vielleicht liegt es an mir.“ Friedrich Dürrenmatt erweist sich aber auch glaubwürdig als kritischer und unzufriedener Geist, wenn es um die eigene Arbeit geht. Seine Texte schreibt er endlos um, zehn Versionen gehören zum Alltag. Sich der Wirklichkeit anzunähern, so wie er selbst sie wahrnahm, um seine Lehrstücke wie spitze Pfeile gegen die Welt zu positionieren (genauso gerne aber auch verklausuliert als Aphorismen), das ist der Stoff, den Dürrenmatt für sein eigenes Leben geschrieben hat. Gisiger geht sorgsam damit um. Für die Pointen braucht sie nicht zu sorgen, sie platziert sie gut. Das Leben ist eine bösartige Wucherung an der Oberfläche, lässt sie Dürrenmatt durch eines seiner Theaterstücke sagen. Hallelujah ruft darin der Chor.