Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Gunnar Landsgesell · 23. Jun 2017 · Film

Du neben mir

Maddy leidet an einer schweren Immunerkrankung und darf ihr Leben lang das Haus nicht verlassen. Als sie das eines Tages doch tut und mit dem Nachbarsjungen Olly nach Hawaii abhaut, kommt sie zu ganz neuen Einsichten. Dramatischer Stoff, esoterisch weichgespült, ein Film, der sich nicht traut.

Die 18-jährige Maddy leidet an der Immunerkrankung SCID und hat praktisch ihr gesamtes Leben in ihrem Elternhaus verbracht. Sie hat keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Neben ihrer besorgten Mutter, die sie wie ein Wachhund abschottet, darf nur ihre persönliche Krankenschwester sie besuchen. Beide betreten das Haus durch eine Art Luftschleuse. „Du neben mir“ („Everything, Everything“) klingt nach einer tristen, düsteren Geschichte, in der man sich ein dünnes, blasses Mädchen vorstellt, dem der Leidensdruck ins Gesicht geschrieben steht. Weit gefehlt. Die Schauspielerin Amandla Stenberg versprüht in dieser Rolle das pure Leben, vital, fröhlich, kein bisschen gebrochen. Regisseurin Stella Meghies hat Maddy in eine fast esoterisch anmutende Wohlfühloase verpflanzt. Naturmaterialien, helle Interieurs, Pflanzen, Fototapete mit Palmen, und durch die große Glasscheibe blickt die junge Frau in das satte Grün des Gartens. Maddy selbst ist keinen Moment traurig und schon bald fragt man sich, woher diese Idylle, die den notorisch falschen Werbeästhetiken entlehnt scheint, eigentlich kommt. Zwar heißt der Blog, den Maddy betreibt, „Life is short“, und einmal ist neben ihr Ralph Ellisons Buch „Invisible Man“ zu sehen, doch Krankheit und Isolation zu thematisieren, davor scheint dieser Film regelrecht Angst zu haben. Erst mit dem Zuzug einer Problemfamilie als Nachbarn schummeln sich ein paar Misstöne in diese Geschichte. Olly (Nick Robinson), der Nachbarssohn, ist es dann auch, der ein paar menschliche Gefühle in die synthetische Atmosphäre dieses Film bringt. Nach einigen Kontakten durch Fensterscheiben und SMS steht er bei Maddy im Haus. Und nicht viel später, eine recht krude Idee, sind beide nach Hawaii geflogen, wo die immunkranke Maddy, die wohl bereits ein Schnupfen ins Grab bringen könnte, glücklich durch die Meereswellen taucht. Das Irritierende daran ist aber nicht so sehr, dass sich über diese Bilder wenig Besorgnis einstellt. Sondern dass kaum ein Kontrast von der buchstäblichen Gefangenschaft Maddys zur nun erlebten Freiheit auffällt. „Du neben mir“ ist mit der immer gleichen freundlichen, nivellierenden Farbe gestrichen.

Die Sicherheit, mit der Regisseurin Meghies jede Form der Auseinandersetzung umgeht, lässt einen bereits wieder staunen. Schemenhaft bleibt das Mutter-Tochter-Verhältnis, ebenso wie das Krankheitsbild. Wenn die zwei Teenager sich anfangs noch ungeschickt per SMS annähern, dann bricht der Film noch am ehesten aus: Maddy erfindet sich in der eigenen Fantasie in surrealen Situationen mit dem Nachbarsjungen oder schwebt in einem Raumanzug durch das Weltall, nicht in der Lage, die Umgebung zu greifen. Palmen, Strand und Sonnenuntergang in Hawaii machen solche Einfälle freilich wieder rasch vergessen. Ein gesundheitlicher Zusammenbruch mündet noch in einer hastig ausgeführten Wendung dieser Geschichte. Eigentlich wäre diese ungewöhnliche Romanze, die in einem gewagten Ausbruch gipfelt, ein aufregender Stoff. Doch "Du neben mir" ist ein Film, der sich nicht zutraut, das auch auszuagieren.