„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Gunnar Landsgesell · 08. Jun 2018 · Film

Der Hauptmann

Der Rauchfangkehrer-Lehrling und Wehrmachtssoldat Willi Herold ernannte sich in den letzten Tagen vor Ende des Zweiten Weltkriegs zum Offizier und tötete rund Hundert Menschen, bevor die Alliierten Deutschland befreiten. Der deutsche Regisseur Robert Schwentke stellt die Faszination des Bösen in den Vordergrund und inszeniert den "Henker vom Emsland" wie eine Actionfigur.

Wenige Tage vor Kriegsende findet der 20-jährige ehemalige Rauchfangkehrer-Lehrling und Soldat der Wehrmacht Willi Herold in Westfalen die Uniform eines Hauptmanns. Er zieht sie an, sammelt eine Gruppe anderer versprengter Soldaten um sich und gibt sich als Offizier im Auftrag Adolf Hitlers aus. Im NS-Straflager Aschendorfermoor töten er und seine Kumpanen auf grausame Weise über Hundert Insassen. Nachdem ihn ein deutsches Gericht freispricht wird er 1946 von einem Militärgericht der Alliierten gemeinsam mit sechs Mittätern hingerichtet.

A-historische Sicht

Das Kapitel des Nationalsozialismus ist nicht gerade arm an psychopathischen Figuren wie Willi Herold. Die Geschichte des „Henkers vom Emsland“ aufzugreifen, könnte mehrere Motive haben: das Psychogramm eines Einzeltäters zu erstellen, das auch Aufschlüsse über das Deutsche Reich zulässt. Oder die Rekonstruktion der letzten Manöver unverbesserlicher Wehrmachtssoldaten, die lieber sterben als zu kapitulieren. Der deutsche Regisseur Robert Schwentke, der in Hollywood mit Actionfilmen wie "R.E.D." (2010) und "R.I.P.D." (2013) auffiel, hat einen anderen Zugang gewählt.
In schwarzweißen Bildern, viele Passagen in düsteres Nachtschwarz getaucht, setzt er Herold wie einen negativ aufgeladenen Actionhelden in Szene. Hier wird gedroht und geschrien, geprügelt und exekutiert, während es weniger um die Ursachen dieses Treibens als um dessen Auswirkungen geht. Das Interesse, das Schwentke an Herold hat, scheint in einer so formulierten diabolischen Verschlagenheit zu liegen, die kein eigentliches Ziel kennt, als den Betrug. Herold wird dabei zum negativen Kraftzentrum dieses Films, der sich so sehr auf geschundene Körper und Willkür konzentriert, dass einem "Der Hauptmann" schon bald wie ein ganz schlimmer (und ziemlich trashiger) Abenteuerfilm vorkommt. Immer wieder rückt die Kamera (Michael Ballhaus' Sohn Florian) bei Exekutionen näher, wo es eigentlich der Distanz bedürfte. Einmal fliegt eine Bombe direkt ins Kamera-Auge, um dort zu explodieren. Dann wird es Schwarz vor den Augen. Die Opfer, viele von ihnen als Deserteure und Volksverräter verhaftet, werden noch einmal exponiert, weil sie zur Illustration des kalten Sadismus Herolds herhalten müssen.
Während im Fernsehen die letzten Aspekte des Dritten Reichs in Dokus gepackt werden, könnte man Schwentkes "Hauptmann" als letztes Glied der filmischen Verwertungskette des Nationalsozialismus verstehen: trotz realer Vorlage a-historisch und dramaturgisch ganz in die Kategorien von Thriller und Emotion gepackt. Die Zuspitzung verstärkt ein Synthesizer, der, durchaus beeindruckend, auf der Tonebene mal rumort oder gurgelt.
Einen eigentümlichen Kontrast gibt hingegen der junge Schweizer Schauspieler Max Hubacher in der Rolle des Willi Herold ab. Sein verharrender Blick und seine aufgeblähten Nasenflügel erzählen subtil von einem Aufschneider, der ausreizt, wie weit er sein Spiel treiben kann. Der weiche, aus dem Schweizerischen stammende Tonfall Hubachers hört sich hingegen gar nicht schneidig teutonisch an. Dass im Abspann Willi Herold und sein kleiner Trupp im Wehrmachtsauto (Aufschrift: Schnellgericht Herold) durch deutsche Straßenzüge von heute fahren und Passanten perlustrieren, um für "Recht und Ordnung" zu sorgen, mag als Warnung vor dem Rechtspopulismus gemeint sein. - Unterstreicht aber mehr die a-historische Sicht, die diesem Film unterliegt.