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Gunnar Landsgesell · 17. Mai 2018 · Film

Der Buchladen der Florence Green

England Ende der Fünfziger Jahre: Trotz eigentümlicher Stimmung eröffnet die junge Witwe Florence (Emily Mortimer) in einem verschlafenen Küstenort einen Buchladen. Im Hintergrund mobilisiert eine Aristokratin gegen die Zuzüglerin. Isabel Coixet ("Mein Leben ohne mich") sorgt mit ihrer betont biedermeierlichen Inszenierung für eine interessante Spannung, während die hinterhältigen Kräfte der Zersetzung fast unbemerkt wuchern dürfen.

Wenn Emily Mortimer als Neo-Buchhändlerin Florence Green ihre Nase in ein aufgeklapptes Buch steckt und tief inhaliert, zur Untermalung gepflegte Klaviermusik erklingt und eine wohlige Erzählstimme die Bilder geradezu wie eine Plüschtapete einkleidet, dann wähnt man sich fast schon im falschen Film. Kann diese biedermeierlich anmutende Szenerie wirklich von Isabel Coixet stammen, die 2003 in „Mein Leben ohne mich“ die Stimmungslagen zwischen Leben und Tod so ernsthaft einfing?
Doch um die Welt hinter der künstlich angesetzten Patina in diesem Film zu erkennen, muss man geduldig sein. Was der Titelfigur zu Beginn als blasierte Noblesse der Bewohner eines englischen Küstenstädtchens begegnet, stellt sich nach und nach als perfide Doppelbödigkeit heraus. Coixet setzt dabei recht kaltschnäuzig Szene für Szene süßlich ins Bild, die über das eigentliche Unbehagen, das in ihnen steckt, vortrefflich zu täuschen vermögen.

Eine Frau geht ihren Weg

England Ende der Fünfziger Jahre, Provinz. Florence Green, die junge Witwe, möchte sich einen Traum erfüllen und in dem verschlafenen Ort in einem alten Haus ein Buchgeschäft eröffnen. Über die skeptische Art der Leute blickt sie hinweg. Der schroffe Tonfall, den ein aristokratisches Ehepaar bei einem Empfang Green gegenüber anschlägt, macht dann doch stutzig. Hausherrin Violet Gamart (Patricia Clarkson) reklamiert das seit langem leerstehende Häuschen für sich. Dort solle ein Kunstzentrum entstehen. Doch mit der Eröffnung des Buchladens stellen sich schließlich Kunden ein, das Geschäft floriert, und selbst der zurückgezogene Bücherwurm (Billy Nighy in einer Paraderolle), der die Leute meidet, und über den diese wiederum Gerüchte streuen, lässt sich per Boten Bücher aus dem Laden liefern. Florence stellt „Der Duft von Lavendel“ oder Ray Bradbury’s „Mars-Chroniken“ in die Auslage, doch erst Nabokovs „Lolita“ wirbelt ernsthaft Staub auf. Coixet lässt hier die lange gärenden Faulgase gewissermaßen explodieren, wenn eine stillschweigende Allianz aus spießigen Dorfbewohnern und eine gelangweilte Aristokratin zum finalen Schlag ausholen.

Der Roman von Penelope Fitzgerald aus dem Jahr 1978, auf dem diese Verfilmung basiert, ist reich an eigentümlichen Figuren. Coixet hat jene in ihre Geschichte geholt, die eine verhängnisvolle Melange aus Abhängigkeiten, Niedertracht und Gleichgültigkeit als Mikroklima am spürbarsten bilden. Mittendrin Emily Mortimer, eine vorzügliche Wahl für die Rolle der Florence Green. Mit ihrem Gestus zwischen Unbeirrbarkeit und Unsicherheit treibt Mortimer das prekäre Geschehen in einer klugen Balance voran. Wer das Scheitern nicht fürchtet, kann das aus Unwissenheit oder aus Trotz tun. Mortimer durchlebt in ihrer Rolle beide Phasen.