Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Gunnar Landsgesell · 05. Dez 2013 · Film

Carrie

Carrie - des Satans jüngste Tochter erweist sich unter der Regie von Kimberly Peirce als Jugendliche aus Fleisch und Blut. Statt plumper Horroreffekte und einem schnöden Remake entpuppt sich hier das Soziale als Triebfeder des Bösen. Die Hölle hat - fast schon - ausgedient.

Ein Film, der sich für psychoanalytische Lesarten anbietet. Zu Beginn setzt die Mutter die Schere an, um ihr Neugeborenes als Ausdruck des eigenen „schwach“ gewordenen Fleisches, als Ausgeburt der Sünde, zu töten. Gegen Ende des Films, vor dem großen Finale, wird Carrie ihre Mutter durch telekinetische Kräfte in die Schranken, oder besser gesagt, in eine dunkle Besenkammer, die mit gekreuzigten Jesusfiguren vollgeräumt ist, verweisen. Dort drinnen tobt die Mutter, während der Teil ihres schwach gewordenen Fleisches sich zwischen Rage und Unsicherheit löst und mit einem Jungen auf die Prom Night geht.

Das Remake von Brian De Palma’s einflussreichem Horrorfilm „Carrie“ von 1976 entwickelt unter der Regie von Kimberly Pmoeirce („Boys Don’t Cry“) ein überraschendes Eigenleben. Peirce scheut sich nicht davor zurück, ihre Carrie neu aufzuladen: viel stärker als Mensch, was der Vorlage Stephen Kings wohl nicht zuwiderläuft, und ausgestattet mit einer psychologischen Note, die ganz dem Outsidertum und dessen – wie hier zu sehen – verheerenden Folgen gilt. Dass Carrie - sozialphobisch verschüchtert interpretiert von Chloë Grace Moretz - ihren diabolischen Nimbus in dieser Neuinterpretation einigermaßen verliert und sich der Film für alle, die blutrünstige Effekte nicht als bereichernden Horror empfinden, als fast harmlos herausstellt, ist nicht unbedingt zu bedauern. Immerhin existiert immer noch das Original zur Ansicht.
Peirce hingegen setzt die telekinetischen Kräfte ihrer Protagonistin in einen geradezu aufklärerischen Kontext. Carrie scheint ihrer eigenen Übersinnlichkeit ganz entspannt gegenüber zu stehen und benutzt ihre Kräfte zunehmend dazu, die Reaktion ihrer Mutter (verknöchert: Julianne Moore) einzudämmen. Ganz so, als wäre diese selbst der blutbefleckte Dämon, den Carrie samt ihrer (Blut)Schande auf den Filmplakaten so ikonisch darstellen muss. Die Umschichtung, die Peirce vornimmt, lässt die Häme der Schulkolleginnen, die vordergründig den Motor des Geschehens bilden, hingegen fast verblassen. Auch wenn hier in einer Aktualisierung des Stoffes ein Mobbing-Video gegen Carrie auf Social Media hochgeladen wird, erreicht der streng nach sozialer Distinktion funktionierende US-amerikanische Schulhof nie die Intensität des hoffnungslos gespaltenen Mutter-Tochter-Verhältnisses. Die bösesten Kämpfe spielen sich hier ab, Julianne Moore verliert zwischen Stoßgebeten und Selbstdestruktion zunehmend den Boden.

Ungeachtet dessen unterwirft Peirce ihre pubertierende Protagonistin einem rasanten Reifungsprozess. Glaubt Carrie in der berüchtigten Duschszene noch, dass das Blut zwischen ihren Beinen von einem moralischen Defekt und dem Beweis für ihr Anderssein zeugt, hat sie das System ihrer Mutter – Religionswahn und soziale Phobie – in der Folge schon fast abgeschüttelt. Zur deutlichen Psychologisierung des Stoffes kann man unterschiedlich stehen, ein Aufguß von De Palma ist Peirces Carrie jedenfalls nicht. In einem Interview identifizierte die LGBT-Aktivistin die Kräfte ihrer Protagonistin sogar mit jenen von Superhelden, und rettet Carrie mit solchen Interpretationsangeboten endgültig aus dem Höllenschlund. Wenig stimmig ist hingegen das Filmende, das sich wie eine viel zu stark verzögerte Rachegeste ausmacht. Vielleicht sollte De Palma hier übertroffen oder der soziale Appeal im Nachhinein doch noch ein wenig entschärft werden.