Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Gunnar Landsgesell · 29. Dez 2016 · Film

Assassin's Creed

Eine Game-Verfilmung, an der Michael Fassbender und Marion Cotillard mitwirken, lässt aufhorchen. Tatsächlich sucht "Assassin's Creed" einen Platz jenseits von Waffengeklirre und Genreformeln. Ein krudes Abenteuer zwischen Mittelalter, Unternehmenspolitik und Cyborg-Ästhetik, das sich selbst immer wieder rebootet.

Es ist noch nicht lange her, dass Mörder in Europa Gegenstand biologistischer Erklärungsmodelle waren. Eine genetische Disposition spielt auch in „Assassin’s Creed“ eine Rolle. Der Film, der auf dem gleichnamigen Game basiert, kürt den Mörder Callum Lynch (Michael Fassbender) zu seiner Hauptfigur, die in einer langen Ahnenreihe auf die Assassinen zurückführt. Das war eine schiitische Bewegung im 12. Jahrhundert, die ihre Gegner mit Attentaten bekämpfte. Im Fall von „Assassin’s Creed“ ist das der Templerorden, eine frühe brandschatzende Truppe von Kreuzrittern, die mythologisch offenbar bis heute zu faszinieren weiß.
In der Gamevorlage nimmt der Spieler aber die Rolle eines Assassinen ein, der in der Verfilmung von Michael Fassbender verkörpert wird. Der Spielauftrag: Den Apfel der Erkenntnis zu erstreiten, der die Menschheit bekanntlich aus dem Paradies vertrieb, aber, hier entscheidend, den Menschen auch zum selbstbestimmten Subjekt macht. Das ist insofern interessant, als sich die Dramaturgie dieser Verfilmung anders als zu erwarten präsentiert. Was nach einem prächtigen Mittelalter-Abenteuer mit pittoresken Schauwerten, Kampfchoreografien, düsteren Burgen, geharnischten Pferden und archaischen Rittergestalten klingt, ist an die Ränder dieser Geschichte gedrängt. Regisseur Justin Kurzel nimmt vor allem den sinngebenden „Überbau“ des historischen Spektakels in den Blick, um daraus Fragen für die Gegenwart abzuleiten.

Mensch als Rohmaterial 

„Assassin’s Creed“ beginnt mit einer Gefängnisszene in der Gegenwart, in der Fassbender nun die Todesstrafe erwartet. Nach der Giftinjektion wacht er in einem weißen, sterilen Raum auf, wo ihn die Wissenschaftlerin Sophia (Marion Cotillard) bereits erwartet. Sophia leitet mit ihrem Vater (Jeremy Irons) ein Forschungsinstitut, das offenbar auch an die Vererbung mörderischer Gene glaubt – und irgendwie wie die Reinkarnation des Templerordens wirkt. Das Gebäude ist eine trübe Betonfestung hoch über einer spanischen Stadt, die „Patienten“, alles Gefangene, für Forschungszwecke interniert. Das Ziel: Cal soll für Abstergo Industries den Apfel der Erkenntnis aus der Vergangenheit holen. Ein baumhoher Roboterarm in einer Halle berichtet bereits ästhetisch von den Grausamkeiten dieser Unternehmung. Cal wird in ein Korsett eingespannt und während seiner virtuellen Kampfduelle durch den Raum geschleudert.
Das Mittelalter ist die Matrix auf einer doppelten Mission: Cal soll für (den Post-Templer-Verein) Abstergo den Apfel (auch des Sich-Erkennens) finden, und je näher er ihm auf die Spur kommt, umso mehr scheint Cal sich von seiner eigenen überlieferten assassinischen Bestimmung zu befreien. In einer Szene am Rande tritt Cal schließlich gegen die Wissenschaftlerin Cotillard selbst auf, wenn er deren biologistisch-philosophische Position als Mord mit anderen Mitteln bezeichnet.
Auch eine andere Begegnung reibt sich am Umgang mit Fragen der Herkunft und des eigenen Handelns. Ein Zusammentreffen von Cal mit seinem Vater (Brendan Gleeson) wird arrangiert. Er war ebenfalls ein Assassine und hatte Cals Mutter ermordet, als dieser noch ein Kind war. Die Forscher beobachten Cals Reaktion. Wird er sich rächen? Unterschwellige Fragen der Moral begleiten die Erzählung, ohne dass es jemand gibt, der darüber urteilen würde.
Während „Assassin’s Creed“ seine Wechsel zwischen den Zeiten, Orten und Mythen rhythmisch vollführt, schält sich das eigentliche Interesse dieser Inszenierung in den kühlen Räumlichkeiten der Abstergo Industries heraus: Wenn Cal sich immer widerwilliger in den Greifarm des Roboters spannen lässt, dann wird der Mensch selbst zum Rohmaterial in einer von ökonomischen Nutzen bestimmten Umwelt. Fassbenders gequälte Physis und Cotillards stählerne Auftritte, kaum abgemildert durch den Habitus der Forscherin, sind die Gradmesser für dieses ungleiche Duell. Was beide nicht bedenken: Sollte der biblische Apfel, hat ihn Fassbender erst einmal eingefangen, im  21. Jahrhundert das gleiche Versprechen nach Erkenntnis und Macht parat halten?