Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Walter Gasperi · 20. Okt 2016 · Film

Aktuell in den Filmclubs (21.10. - 27.10. 2016)

Der Spielboden Dornbirn zeigt diese Woche den ersten Teil von Bruno Dumonts herrlich schräger Komödie "P´tit Quinquin". In der Kammgarn Hard steht Jan Ole Gersters starkes Debüt "Oh Boy" auf dem Programm.

P´tit Quinquin: Für sperrige und strenge Dramen ist der Franzose Bruno Dumont bekannt. Mit „P´tit Quinquin“ hat er aber für Arte eine vierteilige TV-Miniserie um eine Mordserie in der französischen Provinz gedreht, die teilweise an David Lynchs „Twin Peaks“ erinnert
.Dumont erzählt aus der Perspektive des schwerhörigen Quinquin. Mit seinen Kumpels treibt der etwa zwölfjährige Junge an der ereignisarmen nordfranzösischen Atlantikküste seine Scherze, wirft Böller unter Touristen oder auch zwischen Polizisten, um einen Freund aus einer mieslichen Lage zu befreien und streift vor allem immer wieder durch die Küstenlandschaft. Quinquin ist auch dabei, als die Polizei in einem Bunker eine tote Kuh findet, in der bald Teile einer Frauenleiche ohne Kopf gefunden werden.
Der begriffsstutzige ermittelnde Kommissar, bei dessen Verkörperung Bernard Pruvost mit den Augen rollt und zwinkert wie einst Louis de Funes, tappt im Dunkeln. Doch nicht nur er entpuppt sich als völlig unfähig, sondern auch sein von Philippe Jore gespielter Fahrer – beide im Zivilberuf Gärtner, denn nur mit Laien besetzte Dumont den Film - oder ein Teenager, der bei einer Casting-Show teilnimmt, um eine Karriere als Sängerin vorzubereiten oder der Pfarrer, den ein sich drehendes Mikro hindert, die Totenmesse zu lesen.
Normale Menschen gibt es hier nicht. Alle sind ausgesprochen schräg, unbeholfen und überfordert und Dumont macht sich ungeniert auch über Behinderte lustig. Knochentrocken, weitgehend ohne Musik und vorzugsweise in langen statischen Einstellungen, dazwischen aber auch mit bewegter Handkamera erzählt Dumont. Herrlich skurrilen Witz entwickelt der Film im Blick auf die großartig überzeichneten Figuren und der Verankerung der Geschichte im bäuerlichen Milieu und der von einem meist wolkenverhangenen Himmel bestimmten weiten, dünn besiedelten Landschaft.
Eine treffende Milieustudie ist das, bei der freilich zunehmend auch das in den Menschen lauernde Aggressionspotential und der Rassismus sichtbar werden. Was harmlos beginnt, lässt zunehmend dunklere Seiten durchschimmern, wenn Quinquin und seine Kumpels zwei schwarze Jungen verprügeln oder beim Bunker Handgranaten aus dem Zweiten Weltkrieg sammeln.
Spielboden Dornbirn: Sa 22.10., 19.30 Uhr + Sa 12.11., 19.30 Uhr
Teil 2: Fr. 28.10., 19.30 Uhr + Fr 25.11., 19.30 Uhr


Oh Boy:
Statt aktiv sein Leben zu gestalten, lässt sich der Endzwanziger Niko durch den Tag treiben. Mal ist der Jazz melancholisch, mal beschwingt, immer aber unterstützt er in seiner Leichtigkeit und Freiheit den Erzählton von Jan-Ole Gersters Regiedebüt. Selten findet man einen deutschen Film, der so leicht und verspielt daher kommt, nie ins Klamaukige abgleitet, dafür sehr präzise das Lebensgefühl Nikos einfängt, dem der Film durch einen Tag und eine Nacht folgt.
Gerster entwickelt keine stringente Handlung, sondern reiht Szenen aneinander, die Niko langsam vielleicht zum Nachdenken über sein Leben bringen.
Hinreißende Szenen gelingen dem Debütanten hier auch dank eines exzellenten, von Tom Schilling in der Rolle des Niko angeführten Ensembles. Das beginnt schon beim aberwitzigen und hintersinnigen Gespräch mit dem Psychologen, setzt sich fort in der Begegnung mit dem von Ulrich Noethen lustvoll gespielten Vater, der die Nase voll hat von seinem Sohn und ihn stehen lässt. Als Gegenpol zu Niko erscheint dann die in der Schule gemobbte Julika, die Friederike Kempter als sehr temperamentvolle, selbstbewusste junge Frau spielt, einen großen Auftritt und starken Abgang hat Michael Gwisdek, während Justus von Dohnany Nikos Nachbar in wunderbarer Balance zwischen zum Schreien komischer schräger und tragischer Figur hält.
Genau trifft auch die lässig-gelassene Regie Gersters das Lebensgefühl Nikos. Unterstützt wird die zwischen Humor und Melancholie pendelnde Stimmung, aber auch die Poesie dieser Tragikomödie neben dem jazzigen Soundtrack durch die bestechende Schwarzweißfotografie von Philipp Kirsamer, die Erinnerungen an Woody Allens „Manhattan“ weckt.
Kammgarn Hard: Mi 26.10., 20.30 Uhr