Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Gunnar Landsgesell · 27. Jul 2018 · Film

303

Konkurrenz oder Kooperation? "303" ist ein Roadmovie, das die theoriefreudige Beziehung seiner beiden jungen Protagonisten Jule und Jan in versonnenen Bildern erzählt und behutsam in eine Liebesgeschichte fließen lässt. Hans Weingartner versteht es einmal mehr, Lebensgefühl und Kritikfähigkeit zu verknüpfen.

Was macht den Reiz eines Roadmovies aus, das Wegfahren oder das Ankommen? In Hans Weingartners neuem Film „303“, benannt nach dem Wohnmobil, in dem sein junges Paar unterwegs ist, gibt es viel Zeit dazwischen. 140 Minuten lang führt dieser Trip durch launige Gespräche auf Wiesen, an Stränden, Rastplätzen und vor allem im Wohnmobil selbst, das man als rollende Diskurskiste besteigt, um zu beobachten, wie Jan und Jule sich trotz divergierender Lebensanschauungen behutsam näher kommen. Jule (Mala Emde) ist unbeabsichtigt schwanger, nun macht sie sich mit dem alten Wohnmobil von Berlin aus auf den Weg nach Portugal zu ihrem Freund. Jan (Anton Spieker) will seinen Vater in Spanien besuchen. Die Fahrt quer durch die großzügigen Landschaften Europas ist durchaus auch dazu angetan, sich seiner Freiheiten bewusst zu werden. Etwa auch jener, die Standpunkte einer jungen Generation zu vermessen.

Liebe in Zeiten des Kapitalismus 

Jan und Jule, so hießen schon Daniel Brühl und Julia Jentsch vor 14 Jahren in „Die fetten Jahre sind vorbei“. Ein Vertreter der Oberschicht wird in „303“ aber nicht mehr entführt, die Revolution ist einem Abtausch der besseren Argumente gewichen. Jan, auf spezifische männliche Redeweisen festgelegt, erklärt das Fortkommen der Menschheit vor allem durch Konkurrenz. Jule hingegen sieht deren größte Errungenschaften durch die Kooperation erreicht. Der Kapitalismuskritik ist Weingartner hingegen treu geblieben. Wenn Jule meint, dass dieses System nur darauf abziele, die Menschen zu isolieren und unglücklich zu halten, um den Konsum zu steigern, dann blitzt in Momenten wie diesen Weingartners Lust an Diskurs und Zuspitzung auf. „303“ ist aber keineswegs ein trockener Diskursfilm und offenbart auch eine gänzlich andere Gestalt als die zynische Mediensatire „Free Rainer“. Weingartners Drehbuch ist über einen langen Zeitraum entstanden, einiges davon floss bereits in „Die fetten Jahre“ ein. Das Tüfteln an realistischen Gesprächen und fast improvisiert wirkenden Situationen verleiht dem Film eine ungeahnt frische Note. Wer an Filme von Linklater denkt, liegt dabei keinesfalls falsch. Über seine Arbeit an „Die fetten Jahre“ meinte Weingartner, dass Fernsehredakteure ständig darauf drängten, Sätze, die den Plot nicht vorantreiben, herauszuschneiden. Mit „303“ hat er einen Film realisiert, der just auf diese nicht-forcierte Weise aus dem Leben schöpft. Das wirkt auch hinsichtlich der Dramaturgie äußerst befreiend. Das Ankommen zählt in „303“ nicht so sehr, außer es geht um die Liebe. Die ist dann auch in Zeiten des Kapitalismus möglich.