Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Gunnar Landsgesell · 04. Jun 2015 · Film

10 Milliarden - Wie werden wir alle satt?

Kein Film, der vor "Überbevölkerung" warnt, sondern behauptet, auch 10 Milliarden Menschen können auf diesem Planeten ernährt werden. Als Antwort setzt der Filmemacher Valentin Thurn der industriellen Nahrungsmittelproduktion viele lokale Initiativen weltweit entgegen. Ein Film mit guten Argumenten, dessen Optimismus dennoch überrascht. Ein sehenswerter Diskussionsbeitrag.

Es gibt Momente, in denen dieser Film einer Komik nicht entbehrt: Etwa, wenn der Vorstandsvorsitzende von Bayer CropScience über die globale Ernährungssicherheit spricht und die Forschung des Chemie-Konzerns als altruistischen Beitrag formuliert. In den Labors von Bayer arbeitet man mit viel Forschungsgeld an genmanipuliertem Reis, der auch gegen Salzwasser resistent ist. Danach der Switch in die Praxis: Reisfelder in Asien, vom Meer geflutet: überall grüne Felder, nur eine Parzelle ist verrottet. Die mit dem Genreis. Die Erklärung dazu liefert die Chefin einer Saatgut-Bank, wo hunderte alte Reissorten an Bauern vergeben werden. Darunter auch solche, die gegen Salzwasser resistent sind, und das seit Jahrhunderten.
Valentin Thurns Film ähnelt einer konsequenten Beweisführung. Er sucht große Konzerne auf und erfragt deren Lösung für die globale Ernährungsfrage. Diese präsentieren ihre High-Tech-Ansätze, die durchwegs ressourcen- und energieintensiv sind. Dem setzt Thurn Bilder ökologischer Alternativen entgegen, die sich frischer und neuer anfühlen. Big Business versus Optimismus und Engagement, das sind die beiden Pole, zwischen denen in diesem Narrativ die Zukunft des Planeten entschieden werden soll. Das hat etwas für sich, auch wenn Thurns Nachfolgerfilm von „Taste the Waste“ die selbstformulierte Frage nach der Ernährung aller Menschen nicht beantworten kann und auch, wenn Thurns persönliche Kommentierungen immer wieder in einen belehrenden Tonfall entgleiten. Bewußtseins-Appelle werden da mitunter mit Denkanstößen verwechselt. Davon gibt es aber dennoch genug in diesem Film: Die Frau aus dem englischen Todmorden, die eine „eatable landscape“ schaffen will und mit ihrer Initiative im öffentlichen Raum die üblichen Stauden gegen Obst- und Gemüsepflanzen austauscht und den Stadtbewohnern auf diese Weise Erfahrungswerte für Ernährungsfragen schafft. Wenn ein Polizist aus Todmorden eines der Hochbeete gießt, die vor dem Kommissariat aufgebaut wurden, und erzählt, dass er gedacht hätte, die Beete wären innerhalb kurzer Zeit von Vandalen zerstört worden, dann zeigt Thurn nicht ohne Stolz, dass hier auch Pessimismus und Lethargie besiegt wurden, die quasi als Nebenwirkungen der industriellen Nahrungsmittelproduktion auf dem Beipackzettel stehen.

Didaktik mit guten Argumenten

Insofern ist „10 Milliarden“ ein sehr reicher Film, der geradezu atemlos durch die Welt reist und eine beeindruckende Anzahl von Initiativen von Asien über Amerika bis Afrika und Europa findet, die im Film keine Larmoyanz aufkommen lassen. Die Söhne von Karl Ludwig Schweisfurth in Bayern, der einst mit Herta den größten fleischproduzierenden Konzern Europas geschaffen hatte und in einer späten Einsicht einen ökologischen Betrieb gegründet hat, sprechen über die Notwendigkeit bodenintensiver Landwirtschaft, im Hintergrund tummeln sich Hühner, Kühe und Schweine, die gemeinsam eine Wiese bearbeiten. In Malawi erzählt eine Kleinbäuerin, wie sie wiederkehrende Hungersnöte besiegt haben, indem sie statt der Monokultur von Mais ihren Anbau diversifiziert haben, sodass Ernteausfälle nicht mehr ins Gewicht fallen. Und in Milwaukee, USA, betreibt der Ex-NBA-Spieler Will Allen das urban farming Projekt „Growing Power“, der Menschen mit gesunder Ernährung in Kontakt bringt. Lokale Ansätze gegen eine globalisierte Industrie: In seinem aktivistischen Ansatz, der das Kino formal betrachtet als reines Trägermedium benutzt, liegt doch der Wert dieses Films. Wo 10 kg Getreide für die Produktion von 1 kg Fleisch benötigt werden, machen auch Turbo-Hühner und –Rinder keinen Sinn – sie brauchen nur noch mehr Energie, die nicht vorhanden ist, wie Thurn schlüssig anmerkt. Wenn der Chef einer Hühnerfabrik in Indien, die 7 Mio. Hühner pro Woche zu Fleisch verarbeitet, von noch größeren, amerikanischen Dimensionen träumt, um den Appetit der aufstrebenden Mittelschicht zu versorgen, hat der Film alle Trümpfe auf seiner Seite.