Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Peter Füssl · 25. Okt 2017 · CD-Tipp

St. Vincent: Masseduction

Wo die Kunstfigur St. Vincent (benannt nach einer Textstelle in einem Nick Cave-Song) aufhört und die reale Annie Clark anfängt, oder umgekehrt, könnte höchstens die 35-jährige in New York lebende Texanerin beantworten. Sie ist spätestens seit drei Jahren und ihrer Grammy-Auszeichnung für das beste Alternative-Album so etwas wie der gemeinsame Nenner, auf den sich alle verständigen können, wenn es um intelligenten Art-Pop geht. Und vielleicht ist es ja gerade diese unentwirrbare Verschränkung aus Realität und Fiktion, die für ihre enorme Anziehungskraft – angesichts der optischen Aufmachung ihrer neuesten Produktion könnte man auch von Sexyness sprechen – verantwortlich ist.

Die 13 neuen Songs auf „Masseduction“ wirken etwas zugänglicher und vielleicht noch intimer als jene der vier Vorgängeralben, ob sich die Massen tatsächlich verführen lassen, wie der Titel impliziert, bleibt zu hoffen. Jedenfalls hat Annie Clark mit Jack Antonoff, der auch schon Lordes „Melodrama“ ohne Qualitätsverluste massenkompatibel gemacht hat, den passenden Koproduzenten an Bord geholt, was sich in einer üppigen Mixtur aus mit donnernden Beats versetztem 80-er Jahre Synthie-Pop, krachenden Grunge-Gitarren, schmeichelnden Pedal-Steel-Klängen, Atmosphäre schaffenden Streichern und sanften Piano-Passagen niederschlägt. Ihre Vorlieben für David Bowie, David Byrne und Nirvana sind durchaus hörbar – natürlich an den Puls der Zeit gebracht. Die durchwegs intelligenten Texte pendeln zwischen Traurigkeit und zumindest kurzen Lichtblicken, Verletzlichkeit und Aggression, unverblümter Offenheit und mysteriösen Anspielungen, Selbstzerstörungsvorstellungen und bissiger Gesellschaftskritik. „Pills“ zum Thema „die passende Droge für jeden Anlass“ und „Los Ageless“ als Verarschung des Jugendwahns in der Westküsten-Metropole sind perfekte Beispiele für letzteres. Natürlich sind die Songs auch mit Anspielungen sexueller Art durchsetzt, schließlich waren die Liaisons der queeren Sängerin mit dem Model Cara Delevingne und der Schauspielerin Kristen Stewart sogar für die Boulevardpresse interessant. In Summe sicher das stärkste St. Vincent-Album – und das will angesichts des bisherigen Outputs schon etwas heißen!  

(Caroline/Universal)