Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Füssl · 02. Mai 2016 · CD-Tipp

PJ Harvey: The Hope Six Demolition Project

Schon auf ihrem umjubelten, vor fünf Jahren erschienenen Album „Let England Shake“ ersetzte PJ Harvey die persönliche Nabelschau weitgehend durch kritische historische und aktuelle gesellschaftspolitische Themen von der Insel. Zwischen 2011 und 2014 erweiterte die Singersongwriterin ihren Fokus durch Reisen nach Afghanistan, den Kosovo und nach Washington D.C. – die mitgebrachten Eindrücke veröffentlichte sie letztes Jahr gemeinsam mit dem Fotografen Seamus Murphy im Fotobuch „The Hollow of the Hand“ und nun auch in elf neuen Songs auf ihrem neunten Studioalbum.

Dabei erzielt sie die größte Wirkung, wenn sie – fast schon aus einer journalistischen Perspektive – einfach beschreibt – ohne groß anzuklagen, oder zu werten: die alte Frau im verlassenen Dorf im Kosovo, die über fünfzehn Häuser wacht, obwohl die Nachbarn nie mehr zurückkommen werden („Chain of Keys“), der enttäuschte Bettlerjunge aus Kabul, dem sie wegen des dichten Verkehrs kein Geld zustecken kann („Dollar, Dollar“), oder das vereinsamte Kettenkarussell als Symbol für die im Krieg verschwundenen Kinder („The Wheel“). Für ihre bissigen Songs über die katastrophal menschenverachtenden Schattenseiten der amerikanischen Machtmetropole – „The Community of Hope“ oder den verdreckten „River Anacostia“, der durch die Stadt fließt – erntete Harvey von den Stadtpolitikern ähnlich deftige Kritik wie vor fünf Jahren vom britischen Premiere Cameron für das Vorgänger-Album. Viel Feind, viel Ehr’! Den mitunter auch ironisch distanzierten Soundtrack zu diesen textlich eindrucksvollen Schnappschüssen von der Elendsfront setzt PJ Harvey mit Hilfe alter Mitstreiter wie John Parish, Terry Edwards, Flood oder Mick Harvey irgendwo ins Spannungsfeld zwischen schrägem Blues, rumpelndem Rock, verqueren Märschen, Handclaps, innigen Chorgesängen, Electrobeats und unkonventionellen Saxophonausbrüchen. Die Albumaufnahme war übrigens als Kunstaktion deklariert und konnte von Interessierten über einen Monat lang in einem öffentlich einsehbaren Studio im Somerset House in London mitverfolgt werden.

(Island/Universal)