Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Peter Füssl · 18. Dez 2017 · CD-Tipp

Julien Baker: Turn Out The Lights

Verblüffte die junge Singer-Songwriterin Julien Baker aus Memphis/Tennessee vor zwei Jahren noch mit ihrem mit einfachsten Mitteln aufgenommenen, auf der puren Magie von Gitarre und Stimme basierenden Debutalbum „Sprained Ankle“, so legt die mittlerweile 22-Jährige nun ein musikalisch elaborierteres Werk vor, auf dem sich zur Gitarre auch Piano, Streicher und sparsame Klarinetten- und Saxophontöne gesellen.

Der intimen Wirkung der mit brüchig-expressiver, sich manchmal kraftvoll aufbäumender Stimme vorgetragenen Songs sind die etwas reichhaltigeren Arrangements aber durchaus zuträglich, da die sich mit eingängigen Melodien ins Ohr schleichenden, unverblümt ehrlichen Texte Bakers stets im Fokus bleiben. Deren Seelenpein bezieht sich neben den üblichen Liebesleid-Themen vor allem auch aus dem Spannungsfeld, im stockkonservativen Bible-Belt als religiös infiltrierte Gläubige und Lesbe aufwachsen zu müssen, aus den daraus resultierenden Identitätskonflikten, Verunsicherungen, Schuldgefühlen, biographischen Brüchen und Verzweiflungsattacken. Im kafkaesken „Televangelist“ fühlt sich Julien Baker, die über ein sicheres Gespür für dramatische Wirkungen verfügt, auf ihrem Bett liegend wie ein mit einer Nadel auf eine Styroporplatte gepinntes Insekt, dessen Herz sich selber auffrisst. Aber Baker suhlt sich nicht in ihrem Leid, sondern lässt bei all ihrer inneren Zerrissenheit und trotz der Dämonen, die sie quälen, auch verzweifelte, vorsichtige Hoffnungsschimmer aufblitzen. Neben einer Textzeile wie „Screaming my fears into speakers, till I collapse or I burst“ findet immerhin auch eine Passage wie „Maybe it’s all gonna turn out alright, I know that it’s not, but I have to believe that it is“ ihren Platz. Die elf Songs auf „Turn Out The Lights“ vereinen Kraft und Zerbrechlichkeit, Zärtlichkeit und (Auto-)Aggressivität, Melancholie und Sich-Aufbäumen, Leid und Leidenschaft. Ja, im Dunkeln sieht man oft klarer: „When I turn out the lights there’s no one left between myself and me“ – ganz großes Gefühlskino für stille Stunden.

(Matador/Beggars)