Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Peter Füssl · 26. Okt 2015 · CD-Tipp

John Grant: Grey Tickles, Black Pressure

Zartbesaiteten Seelen ist der 47-jährige in Colorado aufgewachsene und mittlerweile seit einigen Jahren mit seinem Lebensgefährten in Island lebende Singersongwriter John Grant nicht unbedingt zu empfehlen, denn sein Umgang – vor allem auch mit sich selber – ist knallhart und schonungslos. HIV-Erkrankung, Drogensucht, Ausgrenzung als Schwuler, hier wird alles beim Namen genannt. Für robustere Seelen, die vielleicht sogar Freude an Schwarzem Humor oder an zynischen Höchstleistungen haben, ist Grants drittes Solo-Album „Grey Tickles, Black Pressures“ – Ersteres bezeichnet im Isländischen die Midlife-Crisis, während mit Letzterem in der Türkei Albträume umschrieben werden – aber eine wahre Fundgrube.

Eingerahmt werden die Songs vom „Hohelied der Liebe“, im Intro zum babylonischen Stimmengewirr aufgetürmt, im Outro von einer klaren Kinderstimme vom Blatt gelesen. Dazwischen wundert sich John Grant zwar, dass er sich plötzlich selber als passender Adressat für die Fernsehwerbung zum Thema Hämorrhoidensalbe empfindet, ruft aber gleichzeitig trotz aller erlittenen persönlichen Verletzungen, Schicksalsschlägen und privaten Dramen das Ende allen Selbstmitleids aus, um fortan jene zu attackieren, die ihn mit gutgemeinten Ratschlägen nerven, mit ihrem Narzissmus kränken oder stumpfsinnig dabei zuschauen, wie die Erde kollabiert. „Du und Hitler solltet zusammenkommen und lernen, wie man strickt und Pullover im Partnerlook tragen“, rät er einem Ex-Lover. Wenn das nicht böse ist! Das Brillante an diesem Album ist die Tatsache, dass sich die unkonventionellen Texte des vielsprachigen Wortdompteurs in ihrer Wirkung gegenseitig mit einem unglaublichen musikalischen Einfallsreichtum in die Höhe schaukeln. Mit der Hilfe von Everything but the Girl-Sängerin Tracey Thorn intoniert er zu Disco-Funk-Klängen einen der witzigsten Love-Songs aller Zeiten („Disappointing“),  The Dresden Dolls-Sängerin Amanda Palmer unterstützt ihn hochdramatisch beim kongenialen Gegenstück, dem Hate-Song „You and him“. 80er-Jahre Pop, Elektronisches in allen Spielformen, Industrial-Rock, üppig Großorchestrales – dieses Album ist dermaßen vollgestopft mit musikalischen Trouvaillen, dass man bei jedem Hördurchgang auf neue Überraschungen stößt. Mit Sicherheit eines der herausragenden Alben des Jahres! Vinyl-Fetischisten sei die aufwändig gestaltete Doppel-LP-Version inkl. CD empfohlen – ein Prachtstück. (Pias)

Konzerttipp: John Grant spielt am 21.11. im Kaufleuten in Zürich. www.kaufleuten.ch