Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 25. Mai 2016 · CD-Tipp

Carla Bley – Andy Sheppard – Steve Swallow: Andando el Tiempo

Am 11. Mai feierte die in Oakland/Kalifornien geborene Carla Bley – längst eine Ikone des zeitgenössischen Jazz, dessen Entwicklung sie in den letzten vierzig Jahren maßgeblich mitbestimmt hat – ihren 80. Geburtstag. Man darf davon ausgehen, dass die Schöpferin von mehr als fünfhundert stilistisch vielschichtigen, innovativen, geistreichen und oft auch von einer gepflegten Ironie aufgeheiterten Kompositionen an ihrem Jubeltag viel Schönes und Wohltuendes zu hören bekam. Aber kaum etwas wird sich mit dem messen können, was Carla Bley den Jazz-Fans – wenn man so will, als umgekehrtes Geburtstagspräsent – schenkt, denn auf ihrem von Manfred Eicher produzierten 23. Album als Band-Leaderin findet sich eine Handvoll neuer Kompositionen, die alles in sich tragen, was ihre kreativen Qualitäten ausmacht: klare Strukturen mit verblüffenden Wendungen, intelligente Leichtigkeit anstelle brachialen Virtuosentums und feinsinniger Witz als Salz in der musikalischen Haute cuisine.

Von der Arbeit mit Jazz-Orchestern oder Bigbands, die viel zu ihrem phänomenalen Ansehen beigetragen hat, hat sich Bley schon seit Längerem verabschiedet, stattdessen konzentrierte sie sich in den vergangenen Jahren vermehrt auf ihr seit mehr als zwei Jahrzehnten bestehendes, hochkarätiges Trio mit Steve Swallow am Bass und Andy Sheppard auf Tenor- und Sopransaxophon. Drei in einem perfekten Format verschmolzene kongeniale Individualisten, die die kompositorischen Ideen mit Leben erfüllen – unkonventionell, unaufgeregt schön, leicht zugänglich und trotzdem mit Tiefgang. Im Booklet ermöglicht Bley interessante Einblicke in die Vielfältigkeit ihrer Inspirationsquellen: Die drei Teile der halbstündigen Titel-Suite „Andando el Tiempo“ zeichnen drei sorgenvolle bis hoffnungsfrohe Phasen der Überwindung einer Drogensucht musikalisch nach, durch die Bley einen Freund begleitete. „Saints Alive!“ erinnert an die ausgelassene Atmosphäre, wenn ältere Ladies im angenehm kühlen Abendwind auf der Veranda sitzend schlüpfrige Klatschgeschichten zum Besten geben. Und für „Naked Bridges/Diving Brides“ ließ sich Bley von Felix Mendelssohn und einem Gedicht von Paul Haines inspirieren. „Ich bin wie ein langsamer Schwamm, ich sauge die Ideen von überallher ein, und wenn ich schließlich die Noten dazu finde, weiß ich, dass es die richtigen sind“, erklärt die auch als Pianistin beachtenswerte Komponistin mit der charakteristischen Besenfrisur, die ebenfalls Kultstatus genießt. Eine in jeglicher Hinsicht singuläre Erscheinung, deren bewundernswerte Kreativität auch in hohem Alter völlig ungebrochen ist, eine im Hier und Jetzt verankerte Legende, die auch ohne Schwelgen in nostalgischen Gefühlen etwas zu sagen hat.

(ECM/www.lotusrecords.at)