Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Peter Füssl · 29. Mai 2017 · CD-Tipp

Avishai Cohen: Cross My Palm With Silver

Schneidende Schärfe und wohlige Wärme, coole Distanz und emotionale Nähe – die Ausdrucksskala des aus Tel Aviv stammenden, spieltechnisch perfekten Trompeters Avishai Cohen kennt keine Beschränkungen. Dasselbe lässt sich von seinen fünf neuen, bis zu zwölf Minuten langen Eigenkompositionen sagen, die in perfekter Balance zwischen klaren Strukturen und freien Improvisationen pendeln.

Post-Bop-orientiert und an Ornette Coleman avantgardistisch geschult, entwickeln sich vielfach aus poetischen, impressionistisch gefärbten Settings heraus drängende, äußerst intensive, oft in High-Notes gipfelnde Läufe, die aber nie die ihnen zugrundeliegende Eleganz vermissen lassen. Pianist Yonathan Avishai und Drummer Nasheet Waits waren schon auf Cohens letztes Jahr erschienenem und von Kritikern und Jazz-Fans gleichermaßen bejubeltem ECM-Debut „Into The Silence“ dabei, neu dazugekommen ist ein alter Weggefährte, der von Madeleine Peyroux her bekannte Kontrabassist Barak Mori. Der Trompeter spricht von seinem „Dream-Team“, und in der Tat haben die vielen gemeinsamen Erfahrungen aller Beteiligten einen spürbar positiven Einfluss auf die Band-Chemie. Hier ist alles perfekt im Fluss, was auch höchst Anspruchsvolles einfach erscheinen lässt. Die musikalische Kommunikation funktioniert mit schlafwandlerisch anmutender Sicherheit. Cohen ist es wichtig, bei neuen Produktionen nie auf älteres Material zurückzugreifen, sondern sich immer vom Hier und Jetzt inspirieren zu lassen. So war sein letztes Album wesentlich durch den Tod seines Vaters geprägt. Mit „Cross My Palm With Silver“ reagiert er nun auf das politische Klima in Israel und die verworrenen politischen Verhältnisse im Nahen Osten, auf das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts von Ungerechtigkeiten und politischen Ränkespielen, die die Menschen auseinanderdividieren. „Im Judentum gibt es eine schöne Redewendung: Wenn du eine Seele rettest, ist es, als ob du die ganze Welt gerettet hättest. Das sollte der Ausgangspunkt für Veränderungen sein. Ein jeder von uns sollte alles ihm Mögliche tun, um mitfühlend Anteil zu nehmen. Ich habe keine Ahnung, inwieweit meine Musik diese Gedanken abbildet, aber das waren meine Gefühle, als ich sie schrieb.“ Ersetzt man im oft verwendeten Edward Bulwer-Lytton-Zitat „Die Feder ist mächtiger als das Schwert“ Feder durch „gute Musik“, dann ist Avishai Cohen jedenfalls ein exzellenter Kämpfer – zumal „Cross My Palm With Silver“ nicht durch schwelgerische, sondern spannungsgeladene  Schönheit überzeugt.

(ECM/www.lotusrecords.at)