Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Peter Füssl · 04. Dez 2013 · CD-Tipp

Arcade Fire: Reflektor

Vom erfolgreichen Debut „Funeral“ angefangen, über „Neon Bible“ und das Grammy-dekorierte „The Suburbs“ bis zum aktuellen Doppelalbum „Reflektor“ hat sich das um Mastermind Win Butler und seine Ehefrau Régine Chassagne zentrierte kanadische Oktett Arcade Fire nie lange erfolgsverwöhnt mit dem Status quo zufrieden gegeben. Permanent hat Chefgrübler Butler – mitunter auch in quälend hirnlastigen Texten – sich selbst, Gott und die Welt hinterfragt, um das ambitionierte Unternehmen nicht nur als Verkaufserfolg, sondern auch als vitales, sich ständig weiterentwickelndes Musikprojekt am Leben zu erhalten.

In diesem Sinne war die Verpflichtung des ehemalgien DFA-Labelbosses und LCD Soundsystem-Protagonisten James Murphy ein Geniestreich, denn der verpasste Arcade Fire ein völlig neues musikalisches Outfit, das dennoch genügend Raum für Wiedererkennungsmomente lässt, um auch die alten Fans nicht zu vergraulen. Besonders auf der ersten Scheibe hüllt er den gewohnten Arcade Fire-Indierock in ein intelligentes Disco-Gewand samt Michael Jackson-Beats, karibischen Einstreuseln, treibenden Grooves und Dub-Passagen. Um es auf einen einfachen Nenner zu bringen: weg von Springsteen, hin zu Bowie, Talking Heads und Brian Eno, und den Raum von Streichern, Bläsern und Kirchenorgeln nehmen über weite Strecken Synthesizer ein. Die zweite CD wartet dann zum Teil mit etwas gewohnteren Sounds, vor allem aber mit dem Orpheus- und Eurydike-Mythos als Kernstück auf, um sich neuerlich selber zu hinterfragen und die eigenen Ängste und Selbstzweifel zu thematisieren. Wie lange kann man ein Massenpublikum mit solchen Gesängen in den Bann ziehen, ehe man schlussendlich doch noch in Stücke gerissen wird? Angesichts dieses drängenden Willens zum Experiment und zur musikalischen Weiterentwicklung, die eine solch großartige Palette an tanzbaren, melancholisch grübelnden, sehnsuchtsvollen, hymnischen, mitunter auch witzigen und selbstironischen Songs als Ergebnisse zeitigt, ist eigentlich kein Ende abzusehen. „Do you like Rock’n’Roll?“ wirft Win Butler mal in die Runde: „Cause I don’t know if I do.“ Sympathische Selbstzweifel eines Genies! (Universal)