Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Füssl · 06. Mai 2016 · CD-Tipp

Anohni: Hopelessness

Transgender als Lebensform war schon immer ein wichtiges Thema für den androgyn auftretenden Antony Hegarty, der sich nun Anohni nennt und endgültig als Frau definiert. Die Sängerin mit der charakteristischen Falsett-Stimme, die sich zunehmend auch in tieferen, samtweichen Lagen bewegt, sieht das als absoluten Befreiungsschlag, ohne den ihre maskuline Vorform Antony verstummt wäre. Als Dave Grohl seinen Oscar-Auftritt der Transgender-Künstlerin widmete, sorgte das weltweit für Aufsehen, denn Antony/Anohni war zwar nominiert worden, hatte aber keine Auftrittsmöglichkeit bekommen – zu wenig berechenbar, weil transgender, zu unbequem, zu wenig marktkonform.

In der Tat stellt Anohni mit ihrem grandiosen Album „Hopelessness“ nun alles auf den Kopf, denn der persönlichen Neudefinition entspricht auch eine radikale künstlerische Neuerfindung. Keine Spur mehr vom erfolgreichen kammermusikalischen Akustik-Pop und von um die eigene Person kreisenden Befindlichkeitstexten der Antony And The Johnsons-Periode. Anohni hat die musikalische Ausrichtung völlig in die Hände der gleichermaßen angesagten wie experimentierfreudigen Elektronikbastler Hudson Mohawke und Daniel Lopatin aka Oneohtrix Point Never gelegt – wo bisher Piano und Streicher dominierten, brodeln, klappern, klimpern und tschirpen nun Synthesizer über tieftiefe Bässe und rumpelnde oder peitschende Drums. Das mag zwar nur bedingt tanzbar sein, für einen großen Teil der jüngeren Generation ist es aber so interessant, dass auch die Texte ihre Wirkung entfalten können, denn die gehen tief unter die Haut und lassen an unverstellter gesellschaftspolitischer Relevanz nichts zu wünschen übrig. So handelt etwa „Drone Bomb Me“ von der Todessehnsucht eines afghanischen Mädchens, das sich schuldig fühlt, weil sie als Einzige der Familie einen amerikanischen Drohnenangriff überlebt hat (dazu gibt’s ein eindrucksvolles Video mit Naomi Campell). „4 Degrees“ zielt mit einem aufrüttelnden Weltuntergangszenarium zum Thema Klimawandel und Umweltzerstörung auf das schlechte Gewissen, das wir alle haben sollten, weil jeder von uns auf vielfältige Weise daran mitwirkt. „Obama“ ist eine Abrechnung mit dem scheidenden US-Präsidenten, für den der Wahrheitsbegriff ein zunehmend dehnbarer wurde, wenn es etwa um Whistleblower oder Überwachungsszenarien ging, und in „Crisis“ werden Guantanamo und IS in einen Zusammenhang gebracht. Insgesamt elf Songs, die es in sich haben – mit 44 Jahren statt Midlife-Crisis ein in jeglicher Hinsicht radikaler und fulminanter Neustart – Respekt!

(Rough Trade/Beggars Group)