Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Niedermair · 28. Nov 2017 · Ausstellung

Wolfgang Bender „KARABINER“ - Eine Raumintervention im Künstlerhaus Bregenz

Am 24. November 2017 wurden im Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis vier Ausstellungen eröffnet: Wolfgang Bender KARABINER | Carmen Pfanner Reset |#vaporfolk Andreas Ervik, Lona Gaikis, Bernhard Garnicnig, Zwiener Transforming Realities. Benders plastische Wandarbeit „KARABINER“ setzt sich aus drei Teilen zusammen: einem zur Ausstellung publizierten Journal in Form einer Bodenskulptur, einer großformatigen Fotografie eines Herrenschuhs im Eingangsfoyer, die Bezug nimmt auf den Bijouterie-Warenfabrikanten Güllich, der das Palais Thurn und Taxis 1848 als Wohnhaus errichten ließ, und einem an der Wand fixierten Seil im parkseitigen Ausstellungsraum des Erdgeschoßes. Die Installation „KARABINER“ besteht aus geschnitzten Balsaholz-Rundstäben, die zu einem 100 Meter langen Band zusammengesetzt, drei Zentimeter von der Wand entfernt, zu schweben scheinen. An diesem Balsa-Seil, das den gesamten Ausstellungsraum umschließt, hängen in unregelmäßigen Abständen Balsa-Karabinerhaken. Peter Niedermairs Text zur Ausstellungseröffnung fokussiert diese künstlerische Raumintervention.

Wolfgang Benders Arbeit ist ein spielerischer Charakter eigen. Und zentral. Alles hat etwas Spielerisches. Wolfgang Bender und die Arbeit machen etwas. Eine andere Perspektive. Nicht vordergründig. Seil. Karabiner. Inklusion. Exklusion. Der Künstler arbeitet wie ein Forscher. Er bewegt sich jedoch nicht stringent in einem kognitiven Feld, was augenfällig und nachvollziehbar ist, sondern eher flechtenartig, wie der Wilde Knöterich, ein Wachstumswunder unter den Wildpflanzen, angeblich schafft er einen Zentimeter pro Stunde. Der Japanische Staudenknöterich (Fallopia japonica) wächst nicht nur unglaublich schnell, er breitet sich auch extrem stark aus – und zwar durch sein Wurzelwerk, weniger über die Blüten. Er wächst dann in dichten, buschartigen Beständen. Meist wird er gehasst, weil seine „Vernichtung“ – sagen die wilden Biomechanics – immens aufwändig ist und sich über Jahre hinweg ziehen kann. Der Staudenknöterich ist süß und kann wie Rhabarber zu Fruchtmus eingekocht werden. Wie beim Rhabarber zieht man dem Japanischen Knöterich vor dem Kochen die äußere Schale ab. Meine Nachbarin, Martha, empfiehlt Zitronenschale und Vanille mitzukochen.

Netze auslegen

Wolfgang Benders Kunst arbeitet netzartig. Das Netzartige trifft sich mit dem Visuellen und dem Haptischen, weil dieses Seil und vor allem die Karabiner, an jedem beliebigen Punkt erlauben, einzuhaken oder auszuhaken. Der Künstler erarbeitet ein Feld, das heißt, er öffnet Leerstellen, was Betrachter-seitig gewisse Geduld erfordert, das Band, das Seil, spielerisch und ernst in einem, absichtslos, quasi leer und doch in Fülle. Manche mögen das als ein bisschen ins Schwammige gehend begreifen, für andere wäre das nachvollziehbar. Das ist nicht unbedingt so konzise, wie man es sich in der Kopf-Schwebe vielleicht wünscht oder erhofft. Doch da gibt es keine Instruktionen, nur die offene Tür, sich an den Karabinern einzuhaken, das heißt, als Besucher sich einzulassen. Und in dieses weite Feld eintauchen. Man folge hier nicht Theodor Fontanes Effi Briest, wo der Autor Herr von Briest jegliches weitere Grübeln mit seinen leitmotivisch im gesamten Roman immer wieder geäußerten Worten beendet: „Ach, Luise, lass … das ist ein ‚zu‘ weites Feld.“

Der Körper

Das Seil und der Karabiner, sie haben immer eine immanente Verweisfunktion auf den Körper. Das ist ja eigentlich ein Gerät, das einen sozusagen an der Hand nimmt, gleichzeitig sind die Hilfsmittel ebenfalls wieder Hilfsmittel. Implizit kommt der Körper als geleitetes, bzw. als durch Extentionen Vermitteltes immer wieder vor. Es geht immer wieder um das Binden, das Anbinden, um das Seil, um den Verschluss, um das Führen, das Herstellen von Kontexten, Verbindlichkeiten haben, um das Außen und das Anschließen, das Verknüpfen.

Der Katalog

Die Bilder, man sieht es an dieser Broschüre, diesem Katalog hier, den Sie eingeladen sind mitzunehmen, diese Bilder sind weiter verarbeitet, collagiert, und wenn Peter Weibel, von Valie Export geführt wird, sie erinnern sich, dieses Bild 1968 im Rahmen eines Projekts in Wien entstanden, war anlässlich der Valie Export Ausstellung im Kunsthaus Bregenz zu sehen, hat er weiter verarbeitet, als er in Vincenca war, wo es Kuchenglocken in der Auslage gab. Die Glocke wiederum ist eine Referenz an die „Air de Paris“ und Marcel Duchamp. Dieser Marcel Duchamp in Paris wiederum hatte sie sich von einem Apotheker leeren und wieder verschließen und betiteln lassen „Air de Paris“. Dann gibt es einen Prothesenhersteller von 1830, 1840, der Prothesen für Kriegsinvalide herstellte, „Articles/war- and-prosthetics“. In diesem Zusammenhang ist ein Stück weit erfahrbar, dass Seil und Karabiner immer eine immanente Verweisfunktion auf den Körper haben. Oder, da gibt es Vera Frenkel, die 1974 mit Studenten in Vancouver, die sog. String Games spielte. Vera Frenkel Installationen und Videos thematisieren zentrale Fragen in einem Zeitalter, das wie nie zuvor von Migration, Flucht und Gewalt geprägt ist. Dazu gehören die Politik des Archivs, der mediale Einfluss auf kulturelles Gedächtnis und Vergessen, das Wechselspiel zwischen institutionellem und individuellem Erzählen. Und der Anknüpfungspunkt für Bender: Die String Games: Improvisations for Inter-City Video. Wolfgang Bender ist mit seiner Kunst ein meisterhafter Geschichtenerzähler. Er legt Fährten aus, Spuren, schafft Analogien, die ihrerseits wieder zu Subtexten führen. Man wird zum Komplizen, wenn er wie hier die Objekte, draußen das Foto, hier herinnen das Seil, wenn er also die Bedeutungsebenen auch räumlich getrennt zeigt. Wir schauen ihm zu, wie er diesen Objekten Bedeutungszusammenhänge zudenkt, den Betrachter an seinen Intentionen teilhaben lässt. Und da gibt es einen mitunter subtilen und nur kurz angedeuteten Humor.

Anknüpfen

Der spielerische Charakter von Wolfang Benders Arbeit ist – wie bereits erwähnt – ein zentraler. Was macht der Künstler? Er hat die Fotographie dupliziert, vermischt sie mit anderen Dingen, die er teilweise selbst hineingezeichnet hat. Oben mit einer Arbeit Tizians aus Venedig. Scuola di San Rocco. Er war dort, jetzt gerade, und der Menschenauflauf habe ihm gut gefallen. Die Erzählung geht weiter. Die Stränge wechseln. Tagebuchartig. Der String produziert Überlappungen. Es geht in diesem Journal ums Anknüpfen. Wie an jenes Projekt aus 1983-1984, als die beiden Künstler Linda Montano und Tehching Hsieh während ihrer Art/ Life Performance für die Dauer eines Jahres mit einem zweieinhalb Meter langen Seil um ihre Hüften gebunden miteinander verknüpft waren und sich dabei nicht berühren durften.

Nichtsdestotrotz versucht man im Felde der Kunst, auch hier im Palais Thurn und Taxis, einzuhaken, Anhaltspunkte zu finden. Somit hat es auch eine politische Bedeutung, weil es eigentlich vor Augen führt, dass man den affinen Besuchern den Handlauf, quasi den Leitfaden der Ariadne – ohne das pädagogisch zuzuspitzen oder moralistisch zu sein, anbietet. Im 20. Jahrhundert gab und gibt es wiederholt Künstler, wie Marcel Duchamp, die den Faden oder das Seil verwenden, wie Vera Frenkel die String Games oder Eva Hesse, die wie Sol LeWitt aus dem Minimalismus kommt.

Man sollte die Arbeit Wolfgang Benders diskutieren. Das Foto mit dem Schuh draußen im Foyer, das Journal hier am Boden und die 100 Meter Balsaholz. Der Betrachter nimmt sich etwas und hakt sich in einen dieser Karabiner ein. Nicht auf Augenhöhe, es ist keine Augenkunst, eher Körperkunst. Doch eigentlich macht er keine Körperkunst. Aber es ist der Körper als radiale Achse in diesem Feld. Dieser hier ist zerbrechlich.

Vom Gesellschaftlichen, von der Geschichte und der Politik kommend, zum Seil, wie der ursprüngliche Titel früher einmal hieß, Szeil, später umbenannt in KARABINER. Dieses Aushaken und Einhaken ist gleichzeitig auch das Spiel um die Varietäten mit diesem Seil, das hier durch den gesamten Raum führt. Auch über die Fensteraussparungen, das heißt es zeichnet die Architektur ab, diesen Erker, der wie eine Apron Stage im Sinne der Shakespeare’schen Bühne, hinausragt in den Garten, während das Seil wie ein Handlauf vor den Fenstern durch geht. Abgehalten von der Wand, um drei Zentimeter, an nahezu unsichtbaren Stahlstiften zur Wand hin befestigt. Die Stahlstifte werden in die Wand geklopft, herausgezogen, umgekehrt wieder hineingetrieben und was dann am spitzen Ende steht, wird ins Balsaholz eingedrückt.

Vom Politisch-Gesellschaftlichen

her betrachtet, geht es um die Seilschaften, das Inkludierende und das Exkludierende. Zumal um politische Bezüge zur Gegenwart. Leute, die neu von außen dazu-kommen, Leute, die versuchen Anschluss zu finden. Gleichzeitig wird ein neues, bis dato nur in Ansätzen herübergesickertes Paradigma deutlich und relevant spürbar. Was sich auch hier seit einigen Jahren wie ein Zeppelin hereinfährt und als Diskurs sich längst abzeichnet, ist die nahezu kritiklose Euphorie für die Digitalisierung des Lebens. „Digitaleres Österreich geplant. ÖVP und FPÖ setzen auf Bürgerkonten und digitale Identitäten.“ So titelt die Zeitung des Landes heute, am 24. November 2017. Ihre Pläne, so die Kurzzeile auf Seite 1 unten, „reichen von einem Bürger- und Unternehmerkonto für digitale Amtswege über einen Breitbandausbau hin zu digitalen Identitäten, um via Handy-App etwa den Personalausweis abrufen zu können. Außerdem kündigen sie an, digitale Betriebsstätten zu schaffen. Damit wolle man Steuerschlupflöcher schließen, die Betrieben wie Google oder Facebook bisher zugutekommen.“ Die Überschrift auf Seite 3 zieht das weiter: „Koalitionsziel ist der digitale Mensch“ – Eine solches Feld kommt gesellschaftlich nicht allein daher, es spiegelt und komplementiert sich in anderen Teilen, u.a. in den neuen Denkweisen der Organisationsentwicklung, wo die Menschen zweitrangig sind.

Vor dem Schatten

Und diese Welt hat mit Kunst im Grunde genommen gar nichts zu tun. Was Wolfgang Bender und das Objekt hier zeigen, eröffnet jedoch Felder, Transmissionen, Projektionen und Übertragungen. Respektive eröffnen sie Leerstellen, in die man hineindenkt bzw. assoziativ die Fäden zur Reflexion weiterspinnt. Jeder rezipiert es auf seine bzw. ihre individuelle Weise, in einem auf das Kunstwerk rekurrierenden Kontext. Man kann es auch nochmals auf Marcel Duchamp zurückreflektieren, der gemeint hat, dass das Kunstwerk maßgeblich vom Betrachter mitgemacht wird, oder wie es Hans Robert Jauß, der Literaturwissenschafter in Konstanz in seiner Rezeptionsästhetik bezeichnete, dass der Leser auf der Folie seiner individuellen Eigenheiten und Dynamiken sowie jener der Gesellschaft die Leerstellen füllt und somit quasi den Text neu schreibt. Als Reflektierendes aber auch als Schatten Werfendes. Das ist radikal gedacht. Wie wenn man sagt, Öl auf Leinwand. Doch es ist immer auch eine Sache der Hierarchie, also der Autorität. Es ist Farbe auf Fläche, es ist nicht mehr eins davor, sondern dahinter, doch in diesem Dahinter genügt es sich ebenfalls nicht, es ist nämlich dahinter und davor. Es ist vor dem Schatten, der das selber wirft. Dies ist das Konzept des Reflektierens. Und: Dabei geht es immer auch um Verankerung. Im übertragenen Sinn. Wolfgang Bender stellt Fragen, die dem aktuell vorherrschenden Denken der Gesellschaft gegenüberstehen. Und anregen. Auch wenn man hunderte Knoten knüpft, die Schnur bleibt immer dieselbe. Es gibt weiterhin keinen Grund, sicher zu gehen.

Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis | Gallusstrasse10 | A-6900 Bregenz | AUSTRIA |
T +43 (0)55 74-427 51 | Dauer: 25.11.2017 - 07.01.2018
Öffnungszeiten: Dienstag-Samstag 14-18 Uhr | Sonntag & Feiertag 11-17 |
Montag geschlossen
www.wolfgang-bender.com