Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Karlheinz Pichler · 30. Jun 2015 · Ausstellung

Wenn Literatur zum Bild, Objekt oder Ton wird - Visualisierte Literatur der Meisterschule der "Grafischen" in der Artenne Nenzing

Unter dem Titel "gelesen und gesehen werden" zeigt die Artenne Nenzing derzeit sehenswerte Werke der Meisterschule der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt Wien, bei denen es um die Visualisierung literarischer Texte geht.

Die von dem aus Bludenz stammenden Lothar Aemilian Heinzle geleitete Meisterschule der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt Wien hat schon des öfteren Ausflüge in die Welt von literarischen Inhalten unternommen. Die „Graphische“ selber gilt als einzige Berufsbildende Höhere Schule Österreichs, die eine professionelle Ausbildung im Bereich Medientechnik anbietet. Im Rahmen ihres neuesten Projektes sind die StudentInnen der Meisterschulklasse Prosa- und lyrischen Texten zu Leibe gerückt und haben versucht, diese ins Visuelle zu übersetzen. Die Textvorlagen zu diesen bildnerischen Interpretationen stammen von Autoren, die im Rahmen von Sonntagsmatineen bereits in der Artenne Nenzing gelesen haben –  etwa Stephan Alfare, Michael Donhauser, Lorenz Langenegger oder Nadja Spiegel –, aber auch von anderen SchriftstellerInnen wie Michael Falkner, Ernst Molden, Gerhard Ruiss oder Ferdinand Schmatz. Die von der Graphischen realisierten Ergebnisse dieser literarisch-bildnerischen „Transformationen“ sind genauso interessant wie vielfältig und geben einen schönen Einblick in das praxis- und projektbezogene Schaffen dieser schulischen Einrichtung im Osten Österreichs.

Große technische Anwendungsbreite


Die Spannweite der visuellen Auslegungen reicht von Originaldruckgrafik, wie Linoldruck, Holzschnitt, Lithographie oder Siebdruck über Text- und Toncollagen, bis hin zu Videos, akustischen Umsetzungen und dreidimensionalen Arbeiten, wie Installationen, Montagen, Skulpturen oder Misculanzen. Insgesamt haben sich 25 MeisterschülerInnen an die verschiedenen Texte herangewagt. Manche transformierten dabei eine, andere wiederum gleich mehrere literarische Vorlagen in bildnerische oder akustische Ebenen. Die herausgekommenen insgesamt rund 40 Ergebnisse belegen die intensive inhaltliche Auseinandersetzung genauso wie das handwerklich-technische Können der StudentInnen.

Zu sehen sind etwa eine ganze Reihe von Plakaten, die im Rahmen einer Projektwoche im Kunsthaus Horn entstanden sind und auf fiktive Lesungen der Autoren Bezug nehmen, deren Texte im Rahmen dieses Unterfangens visualisiert wurden. Diese werden genauso in den begehbaren, aus Holzlatten gezimmerten Boxen der Artenne präsentiert, wie etwa die aufwändig und sorgsam hergestellten Faltobjekte von Katharina Lutzky, die sich mit „Höhen und Tiefen“ auseinandergesetzt hat, oder Alexander Neubauers Fantasien zum Ferdinand-Schmatz-Text „Hirsch“. Überaus ansprechend auch die Arbeit „Zamdraht“ von Christina Güttl. Sie hat eine kleine Wäschespinne zeilenförmig verdrahtet und diesen Zeilen das schräge Gedicht „Ho Rugg“ des Wiener Schriftstellers Ernst Molden mit selbstgemachten Drahtlettern eingeschrieben. Andreas Rosenthal wiederum widmete sich dem Prosatext „Schwebeteilchen“ der Vorarlberger Autorin Nadja Spiegel, in welchem es um die Schönheit, die im Hässlichen steckt, und um die Wertschätzung des Mangelhaften geht. Rosenthal schuf dazu einen Siebdruck, bei dem die einzelnen Ebenen teils zerkratzt, fehlerhaft und scheinbar willkürlich übereinandergelegt sind.

Roman Roth hat sich des Textes „Procina“ des Schweizer Schriftstellers Lorenz Langenegger angenommen und dazu eine ästhetisch überaus ansprechende, knallige Acrylglas-Grafik entwickelt, die die zeitliche Kaskade und das Konzept der (Un)Vergänglichkeit entsprechend interpretiert. Ebenfalls das von Ernst Molden in breitestem Wiener Dialekt verfasste Gedicht „Ho Rugg“ unter die Fittiche genommen hat Christoph Aichinger. Aichinger hat eine Reihe von Verszeilen – wie etwa „da bostla bringd an schbiridus / kumm dringg ma no an schlugg“ – in Holzschnitttechnik als Postkarten visualisiert. Er greift darin den Widerspruch zwischen Aufbruch und letztem Abschied (Leben und Sterben) auf, wobei es ihm sehr gut gelingt, die spezifisch wienerische Melancholie des Morbiden illustrativ ins Bild zu setzen.

Das mumifizierte Kinderohr


Im Gedicht „das ohr“ erzählt Stefan Alfare von einem präparierten Kinderohr, das er mit Kaffeesatz einreibt und mumifiziert und immer kurz auf die Theke legt, wenn er in einer Bar zu saufen beginnt. Die vier von Marion Bernhuber dazu gefertigten Linoldruckgrafiken wirken auf den ersten Blick wie eine pastellene Serie illustrierter Stillleben. Doch in der Gegenüberstellung zum Alfare-Text erhalten sie eine ganz neue Qualität, sie werden gleichsam eklig. „Der Kontrast zwischen dem absurden Inhalt und der vollkommen nüchternen Sprache war ausschlaggebend für mein Konzept,“ erklärt die Meisterschulstudentin dazu.

Installativ formiert


Eine Reihe von Arbeiten verteilt sich installativ im Raum. Etwa die auf Stühlen angeordneten genähten Puppen von Flora Schweizer, auf die die Künstlerin das Gedicht „Als gäbe es keine Rückkehr“ von Judith Nika Pfeifer als Endlosschleife mit Originaldruckverfahren aufgedruckt hat. Die abnehmbaren Gliedmaßen erlauben es den Besuchern, mit dem Text zu spielen und Literatur gleichsam anzufassen.

Oder der mit Motorsäge und Stemmeisen aus einem Eichenblock geschälte Pferdekopf der aus Bartholomäberg stammenden Bernadette Vigl, der an Seilen befestigt mitten im Raum schwebt. Es sei ihre erste Holzskulptur, erklärt die junge Künstlerin. Den Block hat sie von ihren Eltern erhalten, in deren Garten die Eiche einst thronte. Vigl hat mit der Arbeit Ernst Moldens Gedicht „Liad ibas Losziagn“ skulptural umgesetzt und damit eine Kostprobe ihres Talents abgelegt. Der Pferdeschädel soll „Aufbruch“ signalisieren. „Denn auch wenn zuhause alles gut ist, muss man sich manchmal ‚zammpacken’ und gehen,“ so die Montafonerin.

Dies sind nur einige Beispiele für die vielfältigen Texttransformation ins Bildnerische. Da zu jeder Visualisierung auch der Ausgangstext aufliegt, bietet die Schau in der Artenne nicht nur viel zum Schauen, sondern auch zu lesen. Letztlich sei noch angemerkt, dass die StudentInnen auch den sehr gefälligen und informativen Katalog selber  gestaltet und gedruckt haben. Ein weiterer Beleg, wie die Grafische schulisches Lernern mit praktischer Umsetzung verbindet.

Gelesen und gesehen werden
Textvisualisierungen der „Graphischen“ in der Artenne Nenzing
Bis 15.7.
Do 17-19, So 15-19
u.n.Vereinbarung und während Veranstaltungen
www.artenne.at