Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Karlheinz Pichler · 24. Jän 2016 · Ausstellung

Wenn die Dinge anders liegen als sie scheinen – Nico Krebs und Taiyo Onorato im Fotomuseum Winterthur

Die beiden in Zürich lebenden und arbeitenden Fotografen Nico Krebs & Taiyo Onorato führen den Betrachter immer wieder mal aufs Glatteis. Vielfach täuschen ihre Bilder, es ist nicht immer alles so, wie es scheinen mag. Für ihre aktuelle Ausstellung „Eurasia“ im Fotomuseum Winterthur haben sie Osteuropa und Teile Asiens zwischen 2013 und 2015 mit dem Auto bereist. Sie besuchten die Ukraine, Georgien, Aserbaidschan, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan, Russland und fuhren bis in die Mongolei. Ein Teil des immensen Foto- und Filmmaterials, mit dem sie zurückkehrten, ist derzeit im Fotomuseum als klassisch bis räumlich installative Einrichtung zu besehen.

Die Schweizer Künstler Nico Krebs und Taiyo Onorato, beide Jahrgang 1979, arbeiten seit 2003 im Rahmen einer Produktionsgemeinschaft zusammen. Sie fotografieren und filmen, sind aber auch in den Disziplinen Installation, Videokunst, Skulptur, Relief und Plastik wohl beheimatet. Schlagartig bekannt wurden sie mit der umfassenden Fotoreihe „The Great Unreal“, an der die beiden von 2005 bis 2009 herumexperimentierten. Ausgangspunkt für dieses Werk war ein einjähriges Sti­pen­di­um der Stadt Zü­rich für die US-Metropole New York. Von hier aus un­ter­nah­men sie mehrere Road-Trips quer durch die Vereinigten Staaten. Beeindruckt von den Weiten und der Vielfalt der Land­schaf­ten, woll­ten sie die my­tho­lo­gi­schen Ame­ri­ka­bil­der, die überlicherweise in den Köpfen herumschwirren, mit den All­tags­bil­dern kombinieren, die ihnen am Weg­rand be­geg­ne­ten. In der Folge konstruierten Krebs und Onora­to Mo­del­le und ver­wen­de­ten il­lu­sio­nis­ti­sche Tricks, wie man sie aus den Filmfabriken von Hollywood her kennt. Beispielsweise produzierten sie eine Fo­to­ar­beit, auf der im Hin­ter­grund Wohn­wa­gen zu sehen sind, die lo­cker zu einer Sied­lung grup­piert wurden. Daneben wachsen Rie­senk­ak­te­en, Pal­men und Te­le­fon­mas­ten aus dem Boden. Eine typisch „amerikanische Idylle“, die aber abrupt durch einen klaffenden Abgrund im Vordergrund des Bildes manipulativ gestört wird. Solchen „gefakten“ Bildern, in denen sie die Realität mit Modellen kombinieren und unterlaufen, stellen sie auch „echte“, unverfälschte Fotografen gegenüber. Die beiden Künstler bewegen sich unentwegt im Grenzbereich zwischen Realität und Fiktion, zwischen Wirklichkeit und der Erfindung von Wirklichkeit. Wobei Krebs und Onorato ihre Tricks oft direkt vor Ort oder in Handarbeit entwickeln, und nicht etwa via Photoshop. Denn, so die beiden, „im Photoshop weht kein Wind.“

Zwischen Realität und der Erfindung von Realität


So auch in ihrem Werkkomplex „Eurasia“, den nun Thomas Seelig als Kurator für das Fotomuseum Winterthur aufbereitet hat. Auf dem großen Wurf von „The Great Unreal“ aufbauend, starteten sie 2013 für ein neues Großprojekt einen Trip in die entgegengesetzte Richtung. Ihr Weg führte sie diesmal durch Österreich, Ungarn, Rumänien, Moldawien, Ukraine, Georgien, Aserbaidschan, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan, Russland und die Mongolei. Sie bewältigten die Strecke mit dem Auto, denn sie wollten laut eigenem Bekunden wissen, wie es sich anfühle, wenn man eine Strecke von 15.000 Kilometern über den Landweg zurücklegt, und nicht über die Abkürzung über den Jet-Stream oder das Glasfaserkabel. Sie bewegten sich also mit ihrem fahrbaren Untersatz durch Regionen, über die man im Westen kaum etwas weiß und von denen sich die meisten in einer massiven Umbruchphase befinden. Die als Ergebnis dieses Trips entstandene Bildserie ist gleichsam ein imaginäres Gegenstück zu „The Great Unreal“. Kurator Seelig: „Im Gegensatz zu den allgegenwärtigen kulturellen und visuellen Erzeugnissen der USA hatten die Künstler vom ‚Osten‘ im Vorfeld kaum markante Vorstellungen. Die Fotos und Filme, die sie während ihrer Reise machten, bilden den Ausgangspunkt einer Serie von Arbeiten – teils wirkliche, teils unwirkliche –, in denen Bilder des Erlebten mit aus der Vorstellungskraft und der Erinnerung konstruierten Bildern verbunden werden.“ Für „Eurasia“ spielten Krebs und Onorato mit analogen Dokumentationsmitteln wie etwa dem 16mm-Film und großformatigen Plattenkameras mit dem Mythos des Road Trip und mit der Exotik des Ostens. „In ihrer Arbeit begreifen sie die Reise als eine experimentelle Herangehensweise, bei der der Zufall als kreative Kraft willkommen ist. Die entstandenen Bilder, Filme und installativen Interventionen sind ebenso Konstruktionen, wie sie Dokumentationen sind“, so Seelig.

Wobei das Unvollständige eine wesentliche Rolle spielt, genauso wie auch technische „Fehler“ und absichtlich erzeugte „Leerstellen“. Denn Krebs und Onorato wollen keine Wissenschaftler sein, die ein Land mit der Kamera erforschen, sondern der künstlerischen Imagination soll freien Lauf gelassen werden. In einem Interview mit Aaron Schuman in einer eigens für die Ausstellung produzierten Zeitung, die ausgiebiges Dokumentationsmaterial zu „Eurasia“ enthält und gratis zur Entnahme aufliegt, meint Onorato: „Ich stehe der Idee, alles unter Kontrolle zu haben, skeptisch gegenüber. Vor allem wenn man sich auf unbekanntem Terrain bewegt: Man kann die Abzweigung links nehmen und faszinierende Dinge antreffen, weiß aber nie, was man dadurch auf der rechten Abzweigung verpasst. In diesem Sinne verpasst man immer etwas.“ Und Nico Krebs ergänzt: „Es kann auch Spaß machen, einfach zu erfinden, was man denn alles verpasst hat. Fotografie wurde viel zu lange in die ‚objektive‘ Schublade gesteckt, und es wird Zeit, sich endlich daran zu gewöhnen, dass sie von Anfang an auch in vielen anderen Schubladen gewohnt hat.“

In diesem Sinne ist also „Eurasia“ ein Raum voller Möglichkeiten. Während Krebs und Onorato in „The Great Unreal“ mit den US-Klischees in unser aller Köpfen jonglieren, stellt der Osten für uns Westler eine große Leerstelle dar. Und mit dieser Leerstelle zaubern die beiden Künstler und entwickeln Echtes und Falsches und lassen den Betrachter immer wieder auf dem Glatteis ausrutschen. Die Vorstellung und Idee eines Dings stehen auf kuriose und groteske Weise genauso im Vordergrund wie ihre faktische Realität.

 

Nico Krebs & Taiyo Onorato: Eurasia
Fotomuseum Winterthur
Bis 14.2.
Di-So 11-18, Mi 11-20
www.fotomuseum.ch