Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Karlheinz Pichler · 05. Okt 2017 · Ausstellung

Wenn Bilder im Doppelpack miteinander korrespondieren - „Dialog #2: Imagination“ im QuadrART Dornbirn

Das vorarlberg museum hat es gleichsam zum Programm erklärt, Werke aus dem Depot der Landessammlung ans Tageslicht zu holen und über Kooperationsausstellungen mit anderen Kunsteinrichtungen im Lande verstärkt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine solche Zusammenarbeit hat sich mit dem QuadrART Dornbirn bereits bestens eingespielt. Nach „Dialog #1: Vom Zeigen und Verbergen“ läuft in dem von Uta Belina Waeger und Erhard Witzel privat geführten Kunstraum „QuadrART“ Dornbirn mit „Imagination“ aktuell bereits die zweite Ausgabe dieser Dialogreihe. Regionale Kunstwerke aus dem Bestand des vorarlberg museums werden dabei auserwählten nationalen und internationalen Exponaten aus der Sammlung Witzel gegenübergestellt. Für die Auswahl der KünstlerInnen zeichnet diesmal Galerist Witzel verantwortlich. Seitens des Museums wird die Schau von Ute Denkenberger kuratiert.

Kurator Witzel hat sich als thematische Vorgabe der Schau den Begriff „Imagination“ ausgesucht. Einen Begriff also, der für Einbildung, Einbildungskraft, bildhaft anschauliches Vorstellen und Phantasie steht. Laut seiner Intention sollen damit die vielfältigen künstlerischen Möglichkeiten und Ausdrucksformen präsentiert werden, „die unsere Phantasie aktivieren“. Der Galerist hat zu diesem Zweck gezielt zwanzig künstlerische Positionen zusammengestellt, die seine ganz persönliche Sicht auf das Thema widerspiegeln sollen.

Schwerpunkt Fotografie

Einen Schwerpunkt von Dialog #2 bildet die Fotografie, wobei dieses Genre weit gefasst ist und auch Grenzbereiche einbezogen werden.
Der inszenierten Fotografie zuzurechnen ist David Murray. Der 1962 in Glasgow geborene und seit vielen Jahren in Dornbirn beheimatete Künstler ist dafür bekannt, dass er Scheinidyllen oft auf verschiedene Art und Weise stört und zerstört. Seine Bildmotive werden im Atelier kreiert und konstruiert. Dabei geht Murray vor wie ein Modellbauer. Er errichtet miniaturisierte Stadt- und Bergwelten, idyllische Szenerien, Fast-Food-Landschaften oder Wohnräume, die an Puppenhäuser erinnern. Zumeist kreisen die Themen, die Murray mit seinen „Bühnenwelten“ anschneidet, um Konsum, Natur, Künstlichkeit, Schönheit und Verführung. Wobei Murrays Bildkosmos immer zweischneidig ist. Die Idylle ist bei ihm stets trügerisch. Im QuadrART hängt eine Arbeit aus der Serie „God lives only in America“. Eine kitschige Tapete, von der offenbar das Blut förmlich auf den Fußboden trieft und sich zu einer Lache sammelt, könnte eine schreckliche Tat, einen Ort des Verbrechens andeuten.
Murray gegenübergestellt ist Sabine Dehnel. Anders als beim Schotten findet die bühnenbildnerische Transformation der Ausgangsbedingungen bei ihr in einer Realdarstellung statt, in der die Protagonisten Teil einer künstlichen Szene werden. Kurator Witzel: „Gerade diese Verfahrensweise, 'Stille Post' nennt es die Künstlerin, scheint zum Geheimnisträger, ganz im Sinne des Dichters Pierre Reverdy, zu werden, der bereits Anfang des 20. Jahrhunderts schrieb: 'Das Bild ist eine reine Schöpfung des Geistes.'“

Die 1952 in Frankfurt am Main geborene Karin Hoerler lotet mit ihren Collagen die Grenzen zwischen figürlich-gegenständlicher und ornamental-abstrakter Darstellung aus. Grundlagen ihrer Arbeiten sind unter anderem private Fotos und Filme, aber auch beispielsweise Pasta-Verpackungen wie bei der Collage „9 minuti“, die in der Ausstellung gezeigt wird. Mit simpelsten Mitteln und dennoch äußerst präzise deckt sie Beziehungsverhältnisse auf. Auch Wolfgang Häusler zeigt mit seinem Mappenwerk „Konfrontation“ Beziehungsebenen auf, „aber in der situativen Entfremdung und Entfernung voneinander“, wie es Kurator Witzel ausdrückt.

Imaginiertes Schönheitsideal

Um ein imaginiertes Schönheitsideal dreht sich der „Dialog“ von tOmi Scheiderbauers „Porträt-Textur III“ und „Plastic Surgery“ von Guangyun Liu. Wobei die zwei Gesichter, die Scheiderbauer miteinander verwebt, unweigerlich an „Die Schöne und das Biest“ erinnern, während bei Liu der Mensch durch eine Schönheitsoperation seine Originalität zu verlieren scheint.

Sisi Klocker wiederum verlagert die inszenierte Kabinettsitzung ihres „kaiserlichen Hofstaates“ in die Wüste, dazu passend im Dialog ein als „Glasplasma“ betitelter Luster in Mischtechnik von Helga Schmidhuber, den man allerdings in der Wüste wohl nicht unbedingt benötigt.

Markus Gohm, der philosophische Part von „Gohm Hiessberger Architekten“, hat sich wie der in Seoul arbeitende und lebende Hong Sung Do in seinem zweiten Standbein der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Fotografie verschrieben. Beide warten mit Architekturfotografien auf, die dem Betrachter einen weiten Auslegungsspielraum eröffnen.

Beim Ölbild von Ingmar Alge steht ein angekleideter Mann verloren an den Einstiegsholmen zu einem Pool. Beim Ölgemälde „Susanne sollte sich entscheiden“ von Thomas Hoor bewegt sich eine Frau allein inmitten einer Häuserschlucht. Beide Arbeiten verströmen eine große Einsamkeit und Melancholie. Eine Verlassenheit, wie man sie ansonsten nur von den Bildern des großen Edward Hopper her kennt. Der politische Schriftsteller Robert Misik meint, dass radikale Individualität Einsamkeit erzeugt, Alge stellt die Gegenfrage: „Ist Einsamkeit der Preis für radikale Individualität und Bestandteil des modernen Lebens?“ Eine Antwort darauf zu finden, ist wohl müßig.

Gerold Tagwerker nennt seine an der Wand lehnenden, mit einem großen X symbolisch verbarrikadierten Tür aus verzinktem Stahl im Untertitel „Liebe ist kälter als der Tod - für R.W.F“ (Rainer Werner Fassbinder). Ähnlich kühl gibt sich vis-a-vis ein gekrümmtes Wandobjekt aus eloxiertem Aluminium von Heiner Thiel.

Goldene Kälber

Geheimnisvoll mutet die Arbeit „Investment“ von Alessandra Beltrame an. Der Betrachter wird zunächst von den goldenen Päckchen geblendet, geheimnisvolle Täschchen mit möglicherweise vielversprechendem, aber verborgenem Inhalt. Die Installation nimmt Bezug auf Aktiengeschäfte und die sich in unserer Zeit immer pervertierender entwickelnde, haarsträubende Finanzwelt. Die Aktienmärkte locken mit hohen Renditen, wie goldene Kälber, können aber im nächsten Augenblick ins Verderben führen. Neben Beltrame Christine Lederers Rauminstallation „Erinnerungsträger und emotionale Bruchstücke in einem Selbst“. Im Gegensatz zur Abgehobenheit der Börsenparkette geht es hier um Identität, Ortsbezug, Lebensgefühl, Weltauffassung und die Liebe zu Vergangenem.

Bei Ilse Haider werden alte Schwarz-Weiß-Fotografien, entwickelt auf dreidimensionalen Bildträgern, zu Wandskulpturen. Beim Entlanggehen werden die Bildmotive erkennbar, um dann gleich wieder zu verschwinden. In Entsprechung dazu eine Farbfotografie des Dornbirner Künstlers Christian Grass, auf der wie hinter einer Papierstreifenleuchte ein Gesicht zu erahnen ist.

Armin Rupprechters Stuhlobjekt „Giraffe“ ist wohl für den Alltagsgebrauch untauglich. Sie wirkt genauso ironisch wie die „Ytong-Porenbeton“-Skulptur des spanischen Künstlers Melende Navarro: Ein Kopf ohne Körper mit einer übergroßen Brille und dazu rote Augen („Ojos Rojos“). Interpretieren darf der Betrachter.

Im Grunde genommen mutet das gesetzte Thema „Imagination“ simpel an. Ist es aber nicht. Im Gegenteil; es eröffnet komplexe Zugänge. Dazu hat Witzel die einzelnen Statements mit viel Gefühl aus den Archiven des vorarlberg museums und des QuadrARTs herausrecherchiert. Übereinstimmungen liegen neben Widersprüchlichkeiten, Ergänzungen neben Reibflächen. Vor allem wird ersichtlich, dass sich viele Vorarlberger Kunstschaffende nicht vor einem Vergleich mit der internationalen Kollegenschaft verstecken müssen. Zur Ausstellung ist übrigens ein von Nina Sturm nicht alltäglich gestalteter Katalog erschienen. Die Publikation zur letztjährigen Dialog-Ausstellung ist mit einem Red-Dot-Award ausgezeichnet worden. Die diesjährige könnte hier durchaus nachziehen.

Dialog #2: Imagination
QuadrART Dornbirn 
in Kooperation mit dem vorarlberg museum, Bregenz
Bis 11.11.
Mi / Do / Fr / Sa 17-19 u.n.tel.V.
www.quadrart-dornbirn.com