Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Karlheinz Pichler · 26. Jän 2016 · Ausstellung

Warum Kunst gerade jetzt, und wozu? – Kunsttriennale „Heimspiel“ in St. Gallen und Vaduz

Die im Dreijahres-Rhythmus stattfindende, jurierte Kunstausstellung „Heimspiel“ hat sich längst als Gradmesser für das regionale zeitgenössische Kunstschaffen aus den Kantonen St. Gallen, Thurgau, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, aus Liechtenstein und Vorarlberg etabliert und strahlt inzwischen weit über die Region hinaus. 450 Werke wurden diesmal eingereicht. 76 Kunstschaffende wurden schließlich ausgewählt. Darunter finden sich bekannte Namen genauso wie noch weitgehend unbekannte Newcomer. Wobei die Arbeiten der jungen KünstlerInnen nicht selten die spannenderen sind.

Nebst der Kunst Halle Sankt Gallen sowie dem Kunstmuseum St. Gallen sind neu das Kunstmuseum Liechtenstein und der Kunstraum Engländerbau in Vaduz als Ausstellungsorte hinzugekommen. Das Altersspektrum reicht dabei von 26 bis 92 Jahren. In der Ausstellerliste tauchen mit Bernard Tagwerker, Josef Felix Müller, H.R. Fricker, Alex Hanimann, Norbert Möslang oder Lutz & Guggisberg und anderen viele bekannte Namen auf. Mit Roland Adlassnigg, Albert Allgaier, Maria Anwander, Ruben Aubrecht, Bildstein/Glatz, Gabriele Fulterer, Christoph & Markus Getzner, Thomas Hoor, Christoph Luger und Maria Mäser ist die Vorarlberger Kunstlandschaft zwar nicht gerade überrepräsentiert, aber immerhin mit Positionen vertreten, die sich in den letzten Jahren mit sehr durchdachten Projekten und Werken stark in den Vordergrund schieben konnten.

Auswahlverfahren wie die beim „Heimspiel“ spiegeln letztlich sehr stark den Geschmack der Jury wider. In diesem Jahr bestand die international zusammengesetzte Heimspiel-Jury namentlich aus Eva Birkenstock (Kuratorin KUB-Arena Kunsthaus Bregenz), Raffael Dörig (Direktor Kunsthaus Langenthal) und Andrea Thal (künstlerische Leiterin Contemporary Image Collective Kairo). Dass das "Heimspiel" nun erstmals in vier statt wie bisher in zwei Häusern stattfindet, macht das Spiel der Zuteilungen komplexer, das Resultat reichhaltiger. Dabei übernahmen die KuratorInnen der verschiedenen beteiligten Institutionen die anspruchsvolle Aufgabe, aus der thematisch und medial breit gefächerten Auswahl der Jury eine stimmungsvolle Ausstellung zu arrangieren und die einzelnen Werke effektvoll zu inszenieren.

Neben den Schweizer Kantonen und dem Fürstentum Liechtenstein beteiligt sich auch das Land Vorarlberg kostenseitig am „Heimspiel“. Konkret steuern die Vorarlberger 20.000 Euro zu den Projektkosten bei. Und wie die Kulturabteilung des Landes gegenüber KULTUR betonte, wäre es durchaus denkbar, dass es ab dem nächsten „Heimspiel“ in drei Jahren auch in Vorarlberg einen Ausstellungsort geben könnte.

Von der „Münzputzete“ bis zum „extrem ungenauen Quadrat“


Die vier Ausstellungen unterstreichen die Vielfalt des regionalen Kunstschaffens. Für Abwechslung ist jedenfalls gut gesorgt. Im Kunstmuseum Liechtenstein etwa stellt Maria Anwander, die vergangenes Jahr mit dem internationalen Vorarlberger Kunstpreis ausgezeichnet wurde, via eines Neon-Schriftzuges die Frage „Why art now?“, um dann im angrenzenden zweiten Ausstellungsraum nachzuhaken „and what for?“ Wozu überhaupt Kunst? Anwander regt dazu an, über Sinn und Zweck der Kunstproduktion nachzudenken. Sie thematisiert immer wieder die eingefahrenen Hierarchien im Kunstbetrieb. In einem zweiten Beitrag, der den Titel „Baldessari without Balls“ trägt, reproduziert sie die John-Baldessari-Arbeit „Throwing Three Balls in the Air to Get a Straight Line (Best of 36 attemps)“ ohne die Bälle und referenziert solcherart ironisch die Potenz einer wichtigen Figur der zeitgenössischen Kunst.

Mitten im zweiten Raum steht auch die ganze Apparatur von Roland Adlassnigg, mit der er im Rahmen der Ausstellungseröffnung die Performance „Das schöne Geld“ durchgeführt hat. In Anspielungen auf Aktualitäten wie etwa Finanzkrisen, Geldwäschereien, Schmiergeldaffairen, Bestechungen etc. wartete er mit einer „Münzputzete“ auf, polierte mit Hilfe seiner mitgebrachten Apparaturen und Werkzeuge Münzen und gab diesen den verlorengegangenen Glanz zurück. Von Christoph und Markus Getzner sind drei für sie typische, mit China-Tusche und Eitempera ausgeführte Arbeiten auf Papier zu bestaunen, die in Objektkästen präsentiert werden, wie sie gerade erst vor kurzem auch im Kunstraum Dornbirn zu sehen waren. Die zeichnerische Konzentration auf die Umrisse und die Überzeichnung der figurativen Elemente in einem fast comicartigen Stil verpasst ihren Arbeiten einen eigenwilligen, mitunter fast absurden Charakter. Von der 1985 in Dornbirn geborenen Katharina Fitz wiederum sind Beispiele ihrer C-Print-Serie „Dornbirn Houses“ gehängt, in denen sie sich mit der bürgerlichen Mentalität der Bewohner einer Kleinstadt auseinandersetzt, die sich in den äußeren Fassaden und der Gestaltung des Gartens widerspiegelt. Bei diesen C-Prints muss man automatisch an die Häusergemälde denken, mit denen Ingmar Alge, ebenfalls in Dornbirn ansässig, vor etlichen Jahren international bekannt geworden ist.

Der in Bregenz lebende und arbeitende Thomas Hoor ist mit zwei Ölgemälden am Start, die mit Bob Dylan und Miley Cyrus zwei amerikanische Musikschaffende zum Inhalt haben, die auf gegensätzliche Weise die Popkultur beinflussen und zu Ikonen von unterschiedlichen Generationen geworden sind. Hoor arbeit in Gesten, die zwischen wilder, freier Großzügigkeit und fast exaktem Realismus changieren.

Neben vielen weiteren Arbeiten springen dem Ausstellungsbesucher speziell auch die ironischen Beiträge von Beni Bischof und Marco Eberle ins Auge. Bischof führt mit der direkt auf die Wand applizierten Kreiszeichnung mit dem Titel „Extrem ungenaues Quadrat“ in einer für ihn typischen Manier ein Motiv mit einem überspitzten Bildbeschrieb zu einer humorvollen Darstellung zusammen. Eberle verwendet für seine Arbeit „Raumbinder“ eine vergrößerte Anfertigung von Ringschrauben und Haken, welche oft als Schließvorrichtungen für Käfige oder Schuppen gebraucht werden. In der Ausstellung soll der Haken ein verbindendes Element für Architektur und Werk sein.

Revolutionen werden nicht mit Rosenwasser gemacht


In dem dem Kunstmuseum schräg gegenüberliegenden Engländerbau stehen vor allem jüngere Positionen im Zentrum. Mitten im Raum etwa hat Valentina Stieger unübersehbar ihren Fußabdruck hinterlassen. Die Profilsohle eines Turnschuhs wurde in Keramik gebrannt. Die Künstlerin macht Spuren sichtbar, die wir alle hinterlassen, ob gewollt oder nicht. Die in St. Gallen und Basel lebende Barbara Brülisauer hat mit „It is sometimes said that revolutions are not made with rosewater“ eine an ein Labor erinnernde Installation aufgebaut, in der sich reines Rosendestillat aus dem Iran langsam mit Wasser vermischt. Die Anlage soll nach dem Willen der Künstlerin zum Sinnbild für die Unberechenbarkeit gesellschaftlicher Prozesse in geschlossenen Systemen werden. Der in Wien lebende Vorarlberger Künstler Christoph Luger ist mit einer abstrakten Raumlandschaft, die er aus übereinandergeklebten Papieren erzeugt und die er mit Leimfarben bemalt, präsent. Lugers Bilder entstehen direkt an der Wand. Er klebt dabei einzelne Papierfragmente collagenartig mehrschichtig übereinander. Das vom Künstler für beendet erklärte Bild wird schließlich von der Wand wie eine kunstvolle Tapete abgelöst.

St. Gallen


Eyecatcher in der Kunst Halle St. Gallen ist eine große, in den Raum hinein wuchernde Wandinstallation des Künstlerduos Lutz & Guggisberg. Eine Herde abstrakter, tierähnlicher Wesen quillt aus einer bemalten Fotografie heraus. Formal zurückhaltend hingegen gibt sich Jeannice Keller. Die Appenzellerin verwandelt monochrome Baumwollstoffe durch abgenähte Faltenwürfe in eigenwillige Kunstwerke. Ein stilles Kunstwerk, das die Themen Farbe und Abstraktion auf ungewohnte Art aufgreift. Mit Albert Allgaier, Ruben Aubrecht und Matthias Bildstein sind hier gleich drei Vorarlberger Positionen zu sehen.

Im großen Oberlichtsaal des Kunstmuseums St. Gallen fällt der Blick zunächst auf die poppige Wandmalerei von Marianne Rinderknecht. Davor sind fünf mit Autolack überzogene, bunt schillernde Polyeder gestrandet. Sie stammen von Hanna Roeckle, die auch wissenschaftliche und architektonische Fragestellungen in ihr Schaffen einbezieht. Die Seitenkanten der Polyeder scheinen sich in einem geheimnisvollen Farbenspiel aufzulösen. Die kristalline Beschaffenheit des Autolacks, mit dem die Polyeder überzogen sind, führt dazu, dass sich je nach Standort und Lichteinfall die spiegelnde Oberfläche der Körper von einem blaugrünen in einen warmrötlichen Farbton wandelt.

Die Zürcher Performancekünstlerin Manon wiederum fokussiert sich ganz auf ihren eigenen Körper. Mehrere Fotoarbeiten von ihr werden gezeigt. Dazu ein Uhrenobjekt mit dem Titel: „Die gesammelten Ängste.“ Andy Guhl hingegen spielt mit einer Überwachungskamera und bezieht den Ausstellungsbesucher ins Geschehen ein. Als einziger Vorarlberger Beitrag ist die in Dornbirn ansässige Künstlerin Maria Mäser, Jahrgang 1984, mit Fotoarbeiten im Kunstmuseum vertreten.

 

Heimspiel
Kunstmuseum St. Gallen, Kunst Halle St. Gallen,
Kunstmuseum Liechtenstein, Kunstraum Engländerbau
Bis 21.2.
www.heimspiel.tv