Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Karlheinz Pichler · 08. Aug 2018 · Ausstellung

Von möglichen Grenzen, Oberflächen und Umschichtungen – Vier Künstlerinnen intervenieren im öffentlichen Raum in Feldkirch

Unter dem Titel „Schichten. Mögliche Grenzen“ experimentieren Alice von Alten, Ursula Gaisbauer, Nora Gutwenger und Nadine Hirschauer in Feldkirch mit natürlichen und kulturellen Grenzen und dem Abtasten von Schwellen zwischen Körpern und Umwelt.

Von Alten, Gaisbauer, Gutwenger und Hirschauer kennen sich vom gemeinsamen Besuch der Hochschule für angewandte Kunst in Wien her. Zunächst studierten sie bei dem aus Feldkirch stammenden Professor Mario Terzic „Landschaftsdesign“, anschließend bei Paul Petritsch „Ortsbezogene Kunst“. Bei letzterem geht es darum, „einen Ort und seinen Kontext als treibende Kraft, als Arbeitsmaterial, Handlungsraum und Aktionsfeld zu verstehen.“ (Petritsch). Ansätze, die einen Ort zum Ausgangspunkt eines künstlerischen Prozesses nehmen, bilden denn auch die Basis für das von Nadine Hirschauer kuratierte aktuelle Projekt in der Montfortstadt.

Die Muschel als Sinnbild für Nomadismus

Begonnen hat das Unterfangen bereits vergangenes Wochenende mit einer Installation der 1987 in München geborenen Alice von Alten. In einem derzeit leerstehenden Geschäftslokal in der Feldkircher Gymnasiumstraße hat sie 46 Säcke angeordnet, die mit kleinen Muschelschalen angefüllt sind, die in der Regel von Südostasien bis an die Küsten Nordamerikas gespült werden. Von Alten hat die Säcke zunächst am alten Rhein, der Landschaftsgrenze zwischen Vorarlberg und der Schweiz, in einer Linie aufgestellt und von dort in den Feldkircher „Offspace“ transportiert. Solcherart kann man diese Muscheln  insgesamt sind es gut 400 Kilogramm – als Metapher für Begriffe wie Globalisierung, Grenzüberschreitung, Transport etc. werten. Alice von Alten: „Die Muschel, die an ferne Urlaubsorte denken lässt und kulturell und philosophisch stark aufgeladen ist, ist hier Allegorie unserer zeitgenössischen Lebensweise, welche Beweglichkeit fordert, Flexibilität voraussetzt und damit einen Nomadismus bedingt, welcher positive und negative, sichtbare und unsichtbare Konsequenzen hat.“

Momentaufnahmen einer Berührung

Für die ebenfalls in München geborene Künstlerin Ursula Gaisbauer, Jahrgang 1986, besteht jeder Raum grundsätzlich aus einer oberflächlich sichtbaren Hülle und den darunter liegenden unsichtbaren Schichten, Geschichten, Nutzungen und Ansprüchen. Gaisbauer: „Ein Raum kann genauso gut eine Tasse wie ein Gebäude sein, ein Auto genauso wie ein Baum, ein Stein genauso wie eine Straße.“ Für „Schichten. Mögliche Grenzen“, das übrigens eines der Startprojekte von Kulturperspektiven 2024 darstellt, hat sie in der Feldkircher Umgebung Lehm gewonnen und zu Ziegeln geformt, deren Oberflächen sie bearbeitet. Das Material weist die unterschiedlichsten Erdtönungen auf, von ockergelb über rotbraun bis zu graublau. Lehm stellt in vielen Regionen des Globus einen wichtigen natürlichen Baustoff dar. Bei uns ist es der Schlinser Lehmbaukünstler Martin Rauch, der diesem Material in den letzten Jahren und Jahrzehnten wieder eine große Popularität verschafft hat. Bei Gaisbauer nimmt die „oberflächliche Hülle“ des Lehms die Formen der Haut an und widerspricht damit der Funktion des immer gleichen Bauens. „Aus den trocknenden Ziegeln entsteht nach und nach ein dreidimensionaler Körper,“ so die Künstlerin. Was sie konkret geschaffen hat, zeigt sie im Rahmen einer Vernissage am 9. August um 19.00 Uhr am Feldkircher Gymnasiumplatz.


Das "Schwarze Loch"

Parallel dazu werden am Gymnasiumplatz auch die Ergebnisse von Nora Gutwenger präsentiert. Bei ihren oft raumgreifenden Installationen im Freien geht es darum, landschaftliche und urbane Strukturen aufzubrechen und den Betrachter mit neuen Situationen und Konditionen zu verunsichern. Für ihren Feldkirchbeitrag fügt sie privaten Gärten und öffentlichen Plätzen der Stadt Verletzungen und Narben zu, indem sie „domestizierte“ Rasenstücke aussticht. Am Gymnasiumplatz wird das ausgestochene Gras aber nicht zum Weiterwachsen etwa in Form eines Rasenteppichs ausgelegt, sondern die Künstlerin färbt die Rasenstücke dunkel ein und lässt damit formal eine Art schwarzes Loch erstehen. Sie strebt also keinen Ausgleich mit dem verletzten Ursprungsort an, sondern die natürliche Materie verschwindet sinnbildlich doppelt.

Zeltarchitektur als Basislager

Die 1990 in Feldkirch geborene Nadine Hirschauer hat sich seit ihrer Rückkehr aus ihrer Studierstadt Wien in die Montfortstadt schon mehrfach als umtriebige Kunstaktivistin ausgezeichnet. Für das von ihr kuratierte aktuelle Projekt hat sie die Aufgabe des Dokumentierens, Vermittelns und Erzählens übernommen. Sie hat eine zeltähnliche Architektur aus Stahlrohren am Gymnasiumplatz aufgestellt, in dem die Interventionen vorbereitet werden und sich die Künstlerinnen zur Lagebesprechung treffen. Von hier aus werden auch Passanten und Interessenten informiert und die Prozesse der Auseinandersetzung sichtbar gemacht. Und von hier aus macht Hierschauer zudem eine schriftliche Bestandsaufnahme des Raums und seiner Schichten, „von Gesellschaftsschichten bis zu Bodenschichten und der Haut als Schicht, in der wir wohnen.“ Hirschauer: „Es werden neue Geschichten in den Ort eingeschrieben. Jeder Ort besteht aus Geschichten, durch die wir ihn erst konstruieren. Das Darstellen dieser lässt neue Räume erstehen.“ Im Rahmen der Gaisbauer- und Gutwenger-Vernissagen wird Hirschauer am 9. August um 19.00 Uhr auch eine Lesung mit Textfragmenten durchführen. Texten kommen auch im bildnerischen Werk der Feldkircher Künstlerin eine tragende Funktion zu.