Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Karlheinz Pichler · 31. Dez 2016 · Ausstellung

Von den Brettern, die die Welt bedeuten, direkt auf die Bühne der Kunst - Nikolaus Büchel im Gasometer Triesen

Der Bühnenbildner und Installationskünstler Nikolaus Büchel ist vom Theater inspiriert. Das ist kaum zu übersehen. Nicht nur, weil er auch Regisseur und Schauspieler ist. Seine Objekte haben mit der Ambivalenz des Theaters, mit dem Situativen zu tun. Dies belegt seine aktuelle Personale im Gasometer, dem Kulturraum der liechtensteinischen Gemeinde Triesen.

In heutigen Theaterszenarien werden Zuschauer von den Darstellern per Handschlag begrüßt, werden hinter die Kulissen geführt und bekommen tiefe Einblicke in die Arbeit der Theatermacher. Sie übernehmen – spontan oder von langer Hand vorbereitet – Hauptrollen und werden zu den zentralen Protagonisten des Abends, berichten aus ihrem Leben oder tanzen um es. Auf dem Theater wie in der bildenden Kunst geht es dabei nicht mehr allein um die Aufmerksamkeit des Publikums. Der Zuschauer wird als Mitspieler gefordert, der agierend, behauptend, erzählend oder richtend auf die Bühne gebeten wird. Nur, wer dabei eigentlich wen zum Helden macht, das bleibt mehr oder weniger in Schwebe.

Inszenierte Objekte

Wie in einer Inszeniereung, zumindest teilweise, fühlt man sich auch, wenn man sich durch die derzeit im Gasometer eingerichteten Objektarrangements von Niko Büchel bewegt. Er selbst bezeichnet das, was zu sehen ist, ja nicht grundlos als inszenierte Objekte. Und als Räume für Wirklichkeiten. Aber was für Wirklichkeiten meint er damit konkret? Sind es Vorstellungen für mögliche Realitäten, oder aus der Realtität abgeleitete Dinge und Situationen, die er für mögliche räumliche Szenerien empfiehlt? Wo ist bei diesen inszenierten Objekten die Wirklichkeit zu finden? Weil Theaterräume sind ja eigentlich künstlich geschaffene Räume. Oder meint Büchel die Wirklichkeit, die sich im Kopf abspielt? Sind Begriffe wie Inszenierung und Wirklichkeit im eigentlichen Sinne nicht Paradoxa, wenn man sie in einem Atemzug nennt? Denn Wirklichkeit und Inszenierung sind ja eigentlich Gegensätze, es sind Begriffe, die sich gegenseitig ausschliessen?

Der 1957 in Wien geborene Liechtensteiner Nikolaus Büchel kommt also vom Film und Theater. Er ist Schauspieler genauso wie Regisseur und Theaterintendant. Und was sicher einmalig ist, er entwirft die Bühnenbilder für seine Aufführungen zu 90 Prozent selbst. Büchel liebt es, sich mit Räumen auseinanderzusetzen. Und er entwirft seine Objekte und Räume häufig nicht nur für ein Stück, sondern darüber hinaus.
Das gewaltige Hirschgeweih zum Beispiel, das als Bühnenbildteil bei der Aufführung der Carl Maria von Weber Oper „Der Freischütz“ beim „Festival Opera Viva“ zum Einsatz kam und im ersten Ausstellungsraum sofort den Blick des Betrachters auf sich lenkt. Dieses Geweih, das einen Stahlkern besitzt und mit Styropor und Expoxyharz ummantelt ist und welches Büchel in Rumänien in einer Spezialwerkstatt fertigen ließ, besetzt den Raum mit einer derartigen Intensität, dass es kein anderes Drum Herum mehr braucht, dass  es auch keinen Freischütz mehr braucht. Sobald man den Raum betritt, beginnt das Gehirn des Betrachters zu arbeiten. Die Monumentalität des Objektes entfacht Bilder und Geschichten im Kopf, die bis ins Zeitalter der Mammuts zurückreichen. Niko Büchel postuliert denn auch selber, dass ein gutes Bühnenbild auch ohne Bespielung Bestand haben muss.

Einstige Bühnenbildstücke werden zu Objets trouves

Eine Theaterinszenierung endet im Regelfall mit der letzten Aufführung. Die von Büchel geschaffenen Objekte aber leben weiter. Sie stehen für sich. Auch wenn sie losgelöst sind von ihrem ursprünglichen Kontext. Sie entwickeln ein Eigenleben und eine ganz spezifische Qualität. Der Regisseur und Künstler entwirft die Bühnenobjekte ergo vielfach schon vorab für eine Weiternutzung in anderen Zusammenhängen. Er zerstört sie nicht, wenn eine Inszenierung ihr Ablaufdatum erreicht hat, sondern deponiert und archiviert sie. Die einstigen Bühnbildstücke werden zu solitären Elementen, zu Objets trouves, die irgendwann wieder aus der Versenkung auftauchen und an anderer Stelle zum Leben erweckt werden. So hat Büchel einen Teil seiner Objekte schon in Wien gezeigt, und im neuen Jahr sollen sie in Bonn präsentiert werden.

Ein anderes Beispiel wäre das textile Wandbild aus Kinderjeansjacken, das mit „Häutungen“ übertitelt ist. Büchel hat dieses „Materialbild“ ursprünglich als Teppich für das von ihm inszenierte Theaterstück „Der Junge im Bus“ von Susanne van Lohuizen konzipiert. Dieses Stück handelt vom Jungen Wichard, der eigentlich Richard heißt und in einem Bus wohnt. Er geht nicht zur Schule, reist durch die Welt, ohne Pflichten und Beschränkungen. Ein Leben, wie es sich sicher viele Kinder wünschen würden, doch für Wichard ist dieser Bus eine Erinnerung an seine traurige Vergangenheit. Er war ein Geschenk seiner Mutter zum zwölften Geburtstag, sein neuer Wohn- und Zufluchtsort. Danach ging sie fort und verließ Wichard für immer. Manchmal lädt sich Wichard Besucher in den Bus ein und erzählt ihnen seine Geschichte, in der Hoffnung, dass sie ihn vielleicht verstehen...
Als Teil des Bühnenbilds untermauerte dieses Objekt die innere Zerissenheit dieses Jungen und die vielen traumatischen Momente, die er durchleben musste. Losgelöst von diesem ursprünglichen Kausalzusammenhang erlangt dieses Häutungsobjekt eine unmittelbere Aktualität für jeden von uns. Denn für uns alle stellt das Leben doch ein fortwährendes Auf und Ab, ein fortwährendes Changieren zwischen Hochs und Tiefs, eine Aneinanderreihung von Häutungsprozessen dar. Und wenn dies bei jemanden nicht der Fall sein sollte, so sollte er sich doch bitte überlegen, ob er denn überhaupt noch am Leben ist.

 

Vier unterschiedliche Werkgruppen

 

Durchstreift man die Räume im Gasometer der Reihe nach, so werden grundsätzlich vier unterschiedliche Werkgruppen evident. Als erstes die Objekte, die wirklich Bühnenbilder waren, wie beispielsweise die Schwartenbretterbühne für das Country-Musical „Eldorado“ von Mathias Ospelt in der Lokremise Buchs-Werdenberg, oder der „Konferenztisch und Tabernakel“ für das Stück „Krach im Hause Gott“ des Tiroler Schriftstellers Felix Mitterer. Dann gibt es als zweites Gegenstände, die sozusagen als „Nebenprodukte“ von Inszenierungen entstanden sind, wie etwa der Couchtisch oder die Jakobsleiter. Und es gibt auch Objekte und Assemblagen zu sehen, die überhaupt nichts mit Theaterinszenierungen zu tun haben, wie zum Beispiel die Arbeit „1939“, eine Installation aus Stahl, Stoff und historischem Spielzeug, die auch als eine Art Referenz an den Gasometer zu werten ist.

Von der vierten Werkgruppe, einer Fotoserie mit Namen „Abandoned Toys“, also verlassenes Spielzeug, ist nur ein Beispiel zu sehen. Nämlich die zwei Lufballons, die offenbar von einer Hochzeitsgesellschaft stammen und am niederösterreichischen Donauufer vergessenen wurden. Das Bild wirft viele Fragen auf: Ist das Brautpaar vielleicht unmittelbar nach der Trauung ins Wasser gegangen? Oder ist es mit einem Schiff zu einer Hochzeitsreise aufgebrochen? Oder sind die Luftballons zufällig hier gelandet? Das Bild wirkt wie eine gefundene Inszenierung. Und es bildet in seiner Offenheit wohl nicht zufällig den Abschluss der sehr geschlossenen und dichten Ausstellung.



Nikolaus Büchel: Inszenierte Objekte
Gasometer Triesen
bis 19.2.2016
Fr 16-20, Sa 14-18, So 14-18

Dialogführung: 13.1., 18 Uhr (mit Nikolaus Büchel und Petra Büchel)

www.gasometer.li