Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Peter Niedermair · 06. Jul 2017 · Ausstellung

„Farbe und Ton“ – Gerhard Mangold und Mario Meusburger im Alten Bad Pfäfers

Bis zum Bahnhof Bad Ragaz fährt man von Bregenz aus eine gute Stunde, mit dem Zug zwei. Dort steigt man in einen stündlich verkehrenden Bus, der entlang der Tamina, die durch ein schmales, enges Tal führt, über das sich an einer Stelle etwa zur Hälfte des Weges weit oberhalb der Schlucht die in diesem Jahr eröffnete, mit einer Weite von 260 Metern größte Bogenbrücke der Schweiz spannt. Ziel ist das Alte Bad Pfäfers, dessen Geschichte um 1240 begann, als zwei Jäger eine 36,5 Grad warme Quelle entdeckten, in der man bald eine heilende Wirkung erkannte. Hoch über dem Fluss wurden bald darauf Gästehäuser in den Felswänden gebaut. Den Ruhm der Therme jedoch begründete ein Gutachten des berühmten Naturforschers, Arztes und Philosophen Theophrastus von Hohenheim, bekannt als Paracelsus, der 1535 an der Kurstätte weilte. Im 17. Jh. wurde das Wasser mit Holzleitungen an den heutigen Ort geführt. 1838 nach Auflösung der Benediktinerabtei Pfäfers gingen Quelle und Badehäuser in das Eigentum des Kantons St. Gallen über. 1839 wurde die Schlucht mit der oben erwähnten Straße erschlossen. Ab 1840 führte man das Thermalwasser nach Ragaz, wo der Weltkurort Bad Ragaz entstand. Zwischen 1983 und 1995 wurde das Badgebäude umfassend restauriert, heute ist es ein beeindruckender Natur- und Kulturort mit überregionaler Ausstrahlung. Das Alte Bad Pfäfers ist ein Stück weit auch ein eindrückliches Modell, wie man mit historischem Bauerbe kulturpolitisch sensibel umgehen kann.

Das Bad Pfäfers beherbergte viele bekannte Bade- und Kurgäste. Unter ihnen waren die junge Johanna Heusser, die spätere Johanna Spyri und Schöpferin der weltweit bekannten Romanfigur „Heidi“, der amerikanische Schriftsteller der „Leatherstocking Tales“ / „Lederstrumpf“ James Fenimore Cooper, der deutsche Philosoph Friedrich Wilhelm von Schelling, der französische Schriftsteller der „Lucrecia Borgia“ Victor Hugo, der für seine 1862 in einer Sammlung erschienenen Kunstmärchen legendäre Däne Hans Christian Andersen und viele andere mehr. Allen Gästen boten sich die Kurzimmer als Rückzugsort an, hier legte man sich nach dem Bade ins Bett, um sich von der Anstrengung zu erholen und um die „Wirkung des Wassers zu verfestigen“. Zur Zimmerausstattung gehörte ein Waschbecken mit Krug, eine Wärmflasche fürs Bett und ein Nachthafen. Einzelne Kurzimmer sind heute museal aufbereitet. Man möchte grad dort bleiben und bei offenem Fenster der tosenden Tamina zuhören.

„Hiersein ist herrlich“

In der Siebenten Elegie der Duineser Elegien von Rainer Maria Rilke, erschienen 1923 im Insel-Verlag in Leipzig, taucht jene Aussage auf, die der Dichter im Alten Bad Pfäfers getan haben soll. „(…) Ihr Kinder, ein hiesig / einmal ergriffenes Ding gälte für viele. / Glaubt nicht, Schicksal sei mehr als das Dichte der Kindheit; / wie überholtet ihr oft den Geliebten, atmend, / atmend nach seligem Lauf, auf nichts zu, ins Freie. / Hiersein ist herrlich. Ihr wußtet es, Mädchen, ihr auch, / die ihr scheinbar entbehrtet, versankt –, ihr, in den ärgsten / Gassen der Städte (…)“ Der Ort, der Rilke zu dieser Aussage rührte, war die heilbringende Quelle und Oase der Inspiration: Das alte Bad Pfäfers. „Und vor sich, den Sommer“, die Überschrift dieser Rezension, ist ebenfalls ein Zitat aus der Siebenten Elegie von Rainer Maria Rilke.

Vom Heilbad zum Kulturdenkmal und Kunstort

Am 1. Juli wurde dort im Alten Bad die Ausstellung „Aquarelle und Werke in Ton“ der beiden Vorarlberger Künstler Gerhard Mangold und Mario Meusburger eröffnet. Die Ausstellung ist täglich bis zum 20. August 2017 von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Gerhard Mangold ist Maler, sein Medium ist die Farbe, Mario Meusburger ist Keramiker, der mit Ton, diesem erdigen Material arbeitet. Beide scheinen auf den ersten Blick „Gegensätzliche“ zu sein, ihrer beider Kunstschaffen, wenn man dem Geheimnis von „Ton“ im Werk Mangolds und dem von „Farbe“ im Werk von Meusburger nachspürt und von dorther zu einem Verständnis ihres handwerklich-künstlerischen Arbeitens kommt, ist es jedoch nicht. Beide Wörter, Farbe und Ton, sind mehrdeutig, wie dies die in Hohenems lebende und arbeitende Kunsthistorikerin, Malerin und Maltherapeutin Heilgard Bertel in ihrer Vernissagerede ausführte.

Gerhard Mangold

Der in Hörbranz lebende Gerhard Mangold ist ein ausgezeichneter Aquarellmaler, virtuos in seiner Technik, der sich die Grundlage für seine Bilder durch sein außergewöhnliches Zeichenvermögen, ein unbestechliches Auge sowie die Beherrschung graphischer Stilmittel von Strichführung und Hell-Dunkel erarbeitet. Auf den ersten Blick erscheinen seine Aquarelle als gegenständlich, womit der 1952 geborene Künstler jedoch nicht alt aussieht, sondern ganz im Gegenteil sehr modern ist. In seinem Handwerk, wie Heilgard Bertel zeigt, zählt der Pinsel, in seinen Bildern führt das Licht Regie. „Ein Licht, das auf leibhaftige Dinge fällt, dessen Ton und atmosphärische Tönung für das Spiel von Schatten und Dunkelheiten zuständig ist.“ In den im Alten Bad Pfäfers ausgestellten Aquarellen wird augenfällig, es ist das Erlebnislicht des Alltags, das der Künstler mit spontaner Treffsicherheit gesetzt hat. Das Aquarell mit seinen transluziden Schichten, führte Heilgard Bertel weiter aus, sei besonders in seiner Leichtigkeit geeignet, bewusst zu machen, dass selbst das Banalste durchleuchtet sei von einem Wissen über das Vergehen der Zeit; das Licht durchwandert die Szenen, wenn Menschen in der Stadt unterwegs sind, schweben sie über ihrer eigenen Spiegelung auf dem regennassen Asphalt oder als Widergänger ihrer eigenen Schatten. Das Werk, sagt Gerhard Mangold, gelingt, so wie es eben wird, so wird es entlassen. Vergleichbar wie bei einem Musiker, der spielt, der keine Töne zurückholen kann, denen er sich aber ganz anvertraut. Der Malerkünstler folgt einem inneren schöpferischen Drang, der seinerseits der künstlerischen Begabung folgt, mit der er dem Gegenstand dient. „Formale Episoden von Strichführungen, zeichnerische Arabesken begleiten das Fließen der Farben, Einteilungen der Bildräume, die immer wieder dem Goldenen Schnitt verpflichtet sind, sind Themen in der Komposition.“ Dabei zeigt sich in der Statik und angelegten Schwerkraft in den Darstellungen ein freies Fließen, als schwebe etwas von oben herab, als senke sich etwas in den freien Raum des Bildes.

Mario Meusburger

Der in Lustenau lebende und arbeitende Mario Meusburger, Jahrgang 1961, beschäftigt sich als Künstler mit der Keramik, der dabei auch die pädagogischen und therapeutischen Möglichkeiten der Urmaterie Ton auslotet. Inspirationsquelle ist die Natur, das „Lebendige im Stoff“. Seine künstlerische Arbeitsweise fokussiert stark auf das Explorieren, Erforschen und weiterführende Experimentieren mit dem Ausgangsmaterial Ton, den Prozessen des Brennens und Glasierens. Seit 2003 ist er Leiter des Ateliers Gaia in Lustenau und gibt dort Seminare für Kinder, Erwachsene sowie Studentinnen und Studenten. „Kunst verhält sich zur Schöpfung gleichnisartig. Sie ist jeweils ein Beispiel, ähnlich wie das Irdische ein kosmisches Beispiel ist.“ Diese Aussage Paul Klees ruft in Erinnerung, wie nahe ein Künstler durch sein Schaffen als Töpfer ein Bild eines Schöpfungsaktes kreiert. Die große Kulturgeschichte ist ohne den Lehm, ohne in die Erde zu greifen und etwas zu formen unvorstellbar. Arbeiten mit Lehm ist etwas zutiefst Archaisches. Dieser Lehm ist ein Urstoff, ein elementares Narrativ, das in die Anfänge der Zivilisation zurückreicht, als in den ersten Städten in Mesopotamien, zwischen Euphrat und Tigris, in Städten wie Urk, Uruk, Tontöpfe gebrannt wurden, um Olivenöl und Getreide einzulagern. Ton ist darüber hinaus mit der Entwicklung der Schrift verknüpft, die das Geformte benennt und beseelt und den Menschen an der Wiege der Zivilisation mit einer schöpferischen Kreativität und Mächtigkeit ausstattet. Mario Meusburger, der Künstler, bezieht sich in der Namensgebung für sein Atelier in Lustenau auf die Erdgöttin Gaia, aus deren Schoß das Lebendige kommt. Dieser Schoß ist, wie Heilgard Bertel darlegt, auch die Urform der Schale, ein bewahrendes und gebärendes Gefäß. „Die Gefäße von Mario Meusburger sind Urformen des Seins, sind stillgewordene, stehen-gebliebene Bewegungen des Schaukelns, Wiegens, des Kreisens und Drehens um einen Mittelpunkt herum, Zeichengebärden des Daseins, die Volumen und haptische Qualität erhalten.“

Archetypische Formensprache

Das oben erwähnte explorierende Beobachten und Nachforschen zeigt uns in dieser Ausstellung auch einen Keramikkünstler, der nicht erst neuerdings über die Gefäßformen hinausgeht, der in die Natur im Wechsel der Jahreszeiten hineinschaut, seine Augen kaleidoskopartig in den Gärten seiner Umgebung schweifen lässt. Dort findet er allerhand, zum Beispiel Samenkapseln, hört sie springen, teilt sie in Hälften, die er als Modelle für seine Schiffchen betrachet und sie unter seiner künstlerischen Ägide zum großen Archetyp des Bootes, zur Arche und zum Kahn werden und bereit stehen Fracht aufzunehmen. Mario Meusburger beobachtet mit großer Ruhe und Aufmerksamkeit die Rhythmen des Wachsens in den Gärten, sucht Blattformen, Früchte und Stengel, Stile und korallenartige Wurzeln, die er dem Thema der Ausstellung folgend, Ton und Farbe, meisterhaft mit Glasuren überzieht. Seine besondere Gabe, das schattenhöhlenhafte Innen und das dem Licht exponierte Außen zu spiegeln, eine Erforschung keramischer Dialektik, Häute und Oberflächen geheimnisvoll in Farbnuancen von Perlmutthell bis Azurblau ineinander zu verschränken, zeigt den jahrelangen konsequenten Weg des Keramikkünstlers Mario Meusburger.

In dieser Ausstellung ist mir in der Bewegung des mäandernden Gehens bewusst geworden, wie kongenial sich die atmosphärische Tönung der Aquarelle von Gerhard Mangold sowie die Gefäße und keramischen Naturstudien von Mario Meusburger ergänzen und aufeinander beziehen. In ihrer Hängung und Setzung konstruieren die in diesem außergewöhnlichen Ausstellungsraum gezeigten Kunstwerke für die betrachtenden Augen Brücken und visuelle Geländer, die uns mit dem Geheimnis der Schöpfung, mit der Kunst, verbinden. An beiden Enden dieses langen Ganges sowie an den großzügigen Seitenfenstern tropft das Tageslicht der Taminaschlucht gefiltert herein, bricht sich das Granitgrau des Felsens und das regennasse Grün und breitet sich auf den Bodenfliesen aus. Der Verein der Freunde des Alten Bad Pfäfers hat eine schöne Sommerausstellung eingerichtet. Dort hat man leicht sagen „Hiersein ist herrlich“ … wenn man den ganzen Sommer vor sich hat.

 

Gerhard Mangold und Mario Meusburger
„Aquarelle und Werke in Ton“
Ausstellung im Alten Bad Pfäfers bei Bad Ragaz
Bis zum 20. August 2017, täglich geöffnet von 10 bis 17 Uhr