Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Karlheinz Pichler · 26. Mai 2016 · Ausstellung

Was Schwarzsein bedeutet – Theaster Gates im Kunsthaus Bregenz

Der aus Chicago kommende Bildhauer und Stadtplaner Theaster Gates greift für seine Skulpturen und Installationen nicht nur auf verschiedene Materialien und ungewöhnliche Gegenstände wie ausrangierte Feuerwehrschläuche zurück, sondern er nutzt auch Immobilien und öffentliche Räume für seine urbanen Arbeiten, mit denen er den Abstand zwischen Kunst und Leben verringern will. Und er sammelt Magazine, die die schwarze Kultur dokumentieren sowie „Negrobilia“, historische Figuren, die die Schwarzen als Sterotype und verletzend darstellen. Im KUB breitet er noch bis 26.6. sein „Black Archive“ aus.

Teer ist das bestimmende Motiv der Ausstellung. Theaster Gates sagt, ihm erscheine die schwarze Hautfarbe wie Teer. Wolle man den Teer entfernen, reiße man die Haut mit weg. So bekäme man denn auch im KUB nur die Fassade von „Schwarz“ zu sehen. So wie auch er hier nur die Fassade der österreichischen Kultur präsentiert bekommen habe.

Wenn das Niedliche bedrohlich wird


Dass Gates‘ Ausstellung der Welt der Weißen auf den Zahn fühlt, wird speziell im obersten Stockwerk evident. Da sind zunächst zwei kleine schwarze Puppen aus seiner Sammlung. Ein schwarzer Mädchenkopf als Nadelkissen, mit riesigen, weit geöffneten Augen, daneben ein schwarzer Diener, der wie eine kleine Marionette zum Tanzen gebracht werden kann. Gates nimmt diesen Figuren das scheinbar Belustigende und Stereotype, indem er sie zu riesigen Monstern aufbläst. So hat der Bregenzerwälder Schnitzer Wendelin Hammerer den tänzelnden „Minstrel“ in Großversion nachgeschnitzt. Die vier Meter hohe Figur baumelt von der Decke. Will der Besucher sie tanzen sehen, muss er selber zum Tänzer werden und das Brett betätigen, das mit der Skulptur, deren Kopf mit Teer eingefärbt ist, wippenartig verbunden ist. Solcherart wird der Ausstellungsbesucher unmittelbar mit der Rolle des „Weißen“ konfrontiert, der das Schwarze auf rassistische Weise ins Lächerliche zieht. „Wenn man es vergrößert, ist es nicht mehr süß“, hob Gates bei der Führung hervor.

Theaster Gates macht schwarze Kunst. Sein Vater war Dachdecker. In diesem Beruf wird mit Dachpappe, schwarzer Teerpappe gearbeitet. Teer riecht. Im Erdgeschoß des KUB ist eine ganze Staffette von Dachpappenrollen aufgepflanzt. Im oberen Stock hängen Wandgemälde, Teer-Arbeiten, auf denen sich das Material unkontrolliert ausgebreitet hat. Installationen und Gemälde, widerspenstiges Material, und historische Dokumente, das ist der Stoff, mit dem Gates in der Kunst der eigenen Kultur begegnet.

Die schwarze Kultur als Lebensaufgabe

Gates sagt, er sei einmal nach Japan gereist, um dort zu lernen, wie man japanische Teeschalen herstellt. Ein japanischer Meister meinte aber, er soll doch nach Hause in die USA zurückkehren, die schwarze Kultur sei so reichhaltig, er solle sich doch ihr widmen. Dieses kulturelle Zuhause ist ihm in der Folge zur Lebensaufgabe geworden. Er kaufte in Chicago leerstehende Häuser und machte aus ihnen Kulturorte. Räume für Bücher und Plattensammlungen, für Performances und Konzerte. Und er begann scheinbar wertlose Dokumente zu archivieren. Eben diese Puppen, die von Stereotypen erzählen, aber genauso Tausende alter Magazine, Zeugnisse der afro-amerikanischen Alltagskultur.

Gates meinte im KUB: „Ich hoffe, in dem ich diese Dinge aufbewahre, kann ich zeigen, dass sie wichtig sind. Auch damit sie weiter verfügbar sind. Damit wir, wenn wir die Geschichte vergessen, erinnert werden. Ich glaube, der Wert der materiellen Kulturgüter ist, dass man an einen Ort gehen, ein Buch anfassen kann, und erinnert wird, dass es eine Geschichte gibt, die du vielleicht nicht erlebt hast, die aber sehr stark mit dir selbst verbunden ist.“

Gates legt selbst Archive an - er übernahm unter anderem 14.000 Ausgaben des Jet-Magazins, dem Pendant des weißen „Readers Digest“, ordnete sie nach Jahrgängen und ließ sie binden. In der Ausstellung kann man diese Magazine nicht anfasssen oder durchblättern. Sie sind mit ihren einfarbigen Buchdeckeln, die wie edle Ausgaben von Klassikern wirken, eng aneinander geschmiegt in Stahlregale geordnet, so dass sie wie skulpturale Bilder wirken.

Das Dorchester Projekt

Im eigentlichen Sinne international bekannt wurde Gates mit dem Dorchester Projekt. Der studierte Keramiker, Religionswissenschaftler und Städteplaner renovierte 2009 gemeinsam mit arbeitslosen Jugendlichen aus seiner Nachbarschaft in South Chicago ein Abbruchhaus neben seinem Studio an der Dorchester Avenue und verwandelte es in eine Mischung aus Installation und Kulturzentrum, welches das von Leerstand und sozialen Problemen geprägte Viertel inspirierte. Das sogenannte Projekt war derart erfolgreich, dass in der Folge weitere Häuser hinzugekommen sind. Mit den Büchern aus den Beständen einer in Konkurs gegangenen Kunst- und Architekturbuchhandlung richtete Gates zunächst das Archive House ein, eine selbst organisierte öffentliche Bücherei. Als in seiner Nachbarschaft der Plattenladen Dr. Wax schließen musste, erwarb Gates die Sammlung aus 8.000 Platten und eröffnete den „Listening Room“, in dem man Musik hören kann, und in dem Konzerte, DJ-Events und Listening-Partys organisiert werden.

Aus diesen Aktivitäten heraus entwickelte sich auch Gates' Beitrag für die Kassseler Documenta 13, die 2012 stattfand. Mit „12 Ballads for Huguenot House“ bereicherte er diese global wohl wichtigste Kunstschau mit einem ungewöhnlichen transatlantischen Austausch-Projekt zwischen zwei Gebäuden. Aus dem 6901 South Dorchester-Haus in Chicago, welches Gates bis zu seinem Abriss in einen Veranstaltungsort umgenutzt hatte, ließ er Baumaterial, Möbel, Objekte und auch Konzertaufnahmen, nämlich die sogenannten 12 Balladen, nach Kassel bringen und sie dort in das ebenfalls baufällige historische Hugenottenhaus integrieren. Für die Documenta wurde das Hugenottenhaus von Gates’ Team und in Zusammenarbeit mit Handwerkern und Studenten ebenfalls in ein temporäres Veranstaltungslabor und zugleich Wohnhaus für das Team umgebaut, wobei Konzerte und Performances, die während der Eröffnungswoche aufgezeichnet wurden, später wiederum in Gebäuden in den USA, re-präsentiert werden sollten. Die künstlerische Praxis Gates' erinnert stark an ökonomische Kreisläufe, die allerdings nicht an Gewinnmaximierung interessiert sind, sondern dem Gemeinwohl seiner unmittelbaren Lebens- und Arbeitsumgebung verpflichtet sind.

KUB-Edition

Als Edition gibt das KUB diesmal eine Holzversion des Kopfes von „Tar Baby“ heraus, einer kleinen Teerpuppe aus einer Sammlung von Gates, die er von Ed Williams übernommen hat. Es ist dasselbe schwarze Babyköpfchen auf Nadelkissen und mit Häkkelspitzen, wie sie im dritten Obergeschoss zu sehen ist. Zusätzlich wurde dieser Kopf dort auch auf eine Größe von 1,75 Meter „aufgebläht“ und auf einem 12 mal 15 Meter großen, in Vorarlberg produzierten Teppich mit dem Muster und der Farbe des Nadelkissenkörpers von Tar Baby platziert.

Schwitters-Preis

Übrigens erhält Theaster Gates, wie erst kürzlich bekannt gegeben wurde, den Kurt-Schwitters-Preis 2017 zugesprochen. Der 42-Jährige arbeite nicht nur im geschützten musealen Raum, sondern nutze auch Immobilien, urbane Räume und soziale Prozesse für seine Kunst, hieß es zur Begründung. Der mit 25.000 Euro dotierte Preis soll Gates Ende 2017 überreicht werden. Dann wird auch die erste Einzelausstellung des Künstlers im Sprengel Museum in Hannover zu sehen sein. Der Schwitters-Preis wird alle zwei Jahre an Gegenwartskünstler verliehen, deren Werk Bezüge zu Kurt Schwitters (1887-1948) aufweist. Schwitters gilt als einer der wichtigsten europäischen Avantgarde-Künstler.

Theaster Gates: „Black Archive“
Kunsthaus Bregenz
Bis 26.6.2016

Di-So 10-18, Do 10-20
www.kunsthaus-bregenz.at