Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Karlheinz Pichler · 08. Apr 2016 · Ausstellung

Neonreklame für den Wert des Tages im neuen Campus der Zeppelin-Univeristät

Der aus Chile stammende Kunstschaffende Alfredo Jaar hat für den neuen Campus der Friedrichshafener Zeppelin-Univeristät im Rahmen eines Kunst-am-Bau-Projektes eine monumentale Neonskulptur geschaffen.

Alfredo Jaar, 1956 in Santiago de Chile geboren und heute in New York lebend, arbeitet mit beharrlicher Konsequenz gegen die Abgründe unserer Indifferenz an. Seine Werke kreisen immer wieder um die globalen Krisen und Konfliktherde und darum, wie zeitgenössische Kunst das Potenzial zu deren Überwindung aufzeigen könnte. Sein unerschütterlicher Glaube an die Kraft von Bildern und physischen Nachvollzugseffekten hat dabei eine fast schon radikale Stringenz. Jaar geht es von dieser Warte aus gesehen nie nur um die reine Form, sondern um die Inhalte, die die Form transportiert.

Monumentale Wandinstallation


Im Rahmen eines Kunst-am-Bau-Projektes ist von diesem politischen Künstler im neuen ZF Campus der Zeppelin-Universität (ZU) in Friedrichshafen kürzlich eine monumentale Wandinstallation eingeweiht worden. Konkret entwickelte Jaar für das Graf-von-Soden-Forum eine Neonskulptur, die das Zitat „Nichts ist höher zu schätzen als der Wert des Tages“ aus Johann Wolfgang von Goethes Bildungsroman „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ ins Zentrum rückt. Goethe selbst hat diesen Spruch vom irischen Schriftsteller Laurence Sterne übernommen, den er als „Andeuter und Erwecker“ bezeichnete. Wobei die Neonröhren zur Verkörperung der Schrift von einem Berliner Glasbläser nach Bauplänen des Künstlers angefertigt wurden.

Jaar hat die Neonschrift zusätzlich mit Linien, Kurven, Kreisen und Pluszeichen angereichert, die an Diagramme oder Kursverläufe erinnern, wie man sie etwa aus der Wirtschaft oder von Börsenmärkten her kennt. Somit könnte man die Installation als eine Art ökonomischer Bewertungsempfehlung wie etwa „Zeit ist Geld“ auffassen, oder aber auch einfach als schlichten „Carpe-Diem-Appell“ (nutze den Tag). Jaar selbst verwies bei der Eröffnung auf das portugiesische Wort „Saudade“, das er in der Skulptur zum Ausdruck habe bringen wollen. „Saudade“ meint so etwas wie Weltschmerz oder sanfte Melancholie, ist aber im eigentlichen Sinne kaum zu übersetzen. Gemeint sei, dass sich die Leichtigkeit des Seins vor allem aus der Einsicht in die eigene Begrenztheit und Vergänglichkeit entwickle. An die Studentenschaft richtete er gleichsam den Appell: „Genießt diesen Ort der intellektuellen Freiheit, denn wenn ihr hier rauskommt, werdet ihr mit der echten Welt konfrontiert. Und die ist anders. Deshalb ist nichts kostbarer als dieser Augenblick.“

Für Jaar sind es die Museen und Universitäten, die mit ihren Räumen jene kulturellen Sphären bieten, in denen utopisches Denken noch möglich ist. Den Medien traut er intellektuelle Arbeit längst nicht mehr zu. Sie sind ihm mit ihren Strategien zur Banalisierung und Trivialisierung der Welt genauso suspekt wie die gesamte Werbeindustrie. Er bedient sich aber nichtsdestotrotz genau ihrer Techniken, um zu einer Befreiung des Denkens anzuregen. So greift er denn auch in dem von den Neonröhren im Graf-von-Soden-Forum verkörperten Aufruf zum Dasein selber auf jenes schrille, grelle Licht zurück, das Assoziationen zur Werbebranche evoziert.