Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Karlheinz Pichler · 30. Jän 2014 · Ausstellung

Irritierende Streifen und erstarrte Fließbewegungen - Gerhard Richters Spiel mit den Farben im Kunstmuseum Winterthur

Als „Picasso des 21. Jahrhunderts“ wird er von der Zeitschrift „The Guardian“ gerühmt, „The New York Times“ betitelte ihn als „Europas größten modernen Maler“. Die Rede ist von Gerhard Richter, dem 82-jährigen deutschen Vorzeigekünstler, der auf Ranglisten stets die ersten Plätze belegt und dessen Arbeiten am internationalen Kunstmarkt Rekordpreise erzielen. Unter dem Titel „Streifen und Glas“ zeigt das Kunstmuseum Winterthur jetzt das Neueste aus Richters Kölner Atelier, außerdem im Graphischen Kabinett Papierarbeiten.

Als das 1968 entstandene Bild „Domplatz, Mailand“ von Gerhard Richter im Mai des vergangenen Jahres bei Sotheby’s in New York für 29 Millionen Euro versteigert wurde, war er für kurze Zeit der teuerste lebende Künstler. Mittlerweile ist er von Jeff Koons von dieser Position verdrängt worden, erzielte dessen „Balloon Dog“ letzten November bei Christie’s ebenfalls in New York doch unglaubliche 43,6 Millionen Euro. Bei der Medienkonferenz in Winterthur bekundete Richter, dass ihn die hohen Preisen seiner Bilder anwidern, andererseits aber auch schmeicheln würden.

Maßgeschneiderte Ausstellung


In seiner jüngsten Schaffensperiode entwickelte der gebürtige Dresdner, der 1961 von der DDR in den Westen geflohen ist und heute in Köln lebt und arbeitet, gleich mehrere neue Werktypen: Per Inkjet-Verfahren hergestellte Streifenbilder, Hinterglas-Lackbilder und raumfüllende Skulpturen aus Glasplatten. Zwar war die jetzt im Kunstmuseum Winterthur angelaufene Richter-Schau teils schon in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens zu sehen, aber konzipiert wurde sie maßgeschneidert auf die Räumlichkeiten in Winterthur. Gerhard Richter und der Chef des Kunstmuseums Winterthur, Dieter Schwarz, haben schon vor einem Jahr mit den Vorbereitungen dazu begonnen. Richter überließ nichts dem Zufall. Er baute die drei Säle als Modelle nach und spielte das Konzept in seinem Atelier genau durch. Auch bei der Hängung hat er selber mitgewirkt, denn dies mache ihm Spaß, betonte er bei der Begehung der Ausstellung.

Hommage an die Farbe


Richter hat zwei große Glasskulpturen mit nach Winterthur gebracht. Bei der einen sind fast raumhohe Glasplatten parallel hintereinander gestaffelt. Bei der zweiten sind die Glasplatten so gegeneinander gestellt und verschachtelt, dass sie an ein überdimensionales Kartenhaus erinnern. Oder an das Gemälde „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich. Nicht von ungefähr, wird dem Künstler doch eine Nähe zur deutschen Romantik nachgesagt. Obwohl die Scheiben durchsichtig sind, reflektieren sie die ganze Umgebung.

Sind die Skulpturen transparent, so darf man den Rest der Ausstellung getrost als ein Fest der Farben bezeichnen. Und bei den Streifenbildern, den Strips, mit Inkjet auf Papier gedruckt, kann man sich geradezu schwindelig sehen. Die Streifen sind unendlich fein und anziehend, beginnen aber beim Nähertreten Op-Art-mäßig zu flimmern. Richter treibt hier sein Spiel der Irritation, für das er schon fast berüchtigt ist. Die ersten dieser Streifenbilder, die zwischen 2011 und 2012 entstanden sind, waren noch ganz vom Zufall bestimmt. Erst die neueren hat Richter „komponiert“, wobei die jüngsten, in Winterthur erstmals gezeigten, eine Länge von zehn Metern erreichen.

Diese Bilder sind also nicht gemalt, sondern sie sind in einem komplizierten Recycling-Verfahren entstanden. Konkret liegt ihnen die Reproduktion eines seiner eigenen abstrakten Bilder von 1990 zugrunde, welche systematisch bearbeitet wurde, nämlich „geteilt gespiegelt wiederholt“. Museumschef und Kurator Dieter Schwarz erklärt: „Die Vorlage wurde erst vertikal halbiert, dann geviertelt, geachtelt uns so fort bis zur Teilung in 4096 feine Streifen. Diese 4096 schmalen Streifen wurden in sich gespiegelt, und die Spiegelung zahllose Male wiederholt. Durch diesen Vorgang resultieren aus den vertikalen Farbstreifen horizontale Linien. Richter konnte nun irgendeinen der 4096 Streifen wählen und die zufällige, nicht vorherbare Linienkombination zum Bild machen. Dafür wurden die digitalen Daten im Inkjet-Verfahren auf Papier gedruckt und aufgezogen.“

Das Flüchtige fixieren


Die zweite Werkserie an Wandarbeiten heißt „Flow“ und besteht aus Lackbildern. Auch bei diesem Zyklus sind Willkür und Zufall Tür und Tor geöffnet. Richter schüttet dazu Lackfarben in eine flache Wanne, in der sie dann ineinander verfließen. Mit Pinsel und Spachtel greift er in den Verlauf und Mischung der Masse ein, bis er – nach „Lust und Laune“, wie er angibt – den künstlerischen Vorgang unterbricht, um den gewünschten Zustand mittels Abklatschtechnik auf einer Glasplatte festzuhalten. Durch die Fließbewegungen sind bizarre Strukturen von berückender Schönheit und intensiver Farbigkeit entstanden. Sie stellen nichts dar und erinnern doch an Naturphänomene wie etwa die Maserungen von Steinen.

Das Fixieren eines flüchtigen visuellen Eindrucks ist eines der Merkmale von Richters Arbeit. Er wolle die Dinge festhalten und „haben“, und der Vergänglichkeit etwas entgegensetzen, betonte der Künstler bei der Medienkonferenz.

Richter ist nicht an einer Handschrift interessiert, sondern nur am Bild an und für sich. Und dieses hat etwas Anonymes an sich. Es steht für sich allein. Jedes. Richter braucht keine Geste, in der sich eine Subjektivität niederschlägt.

Von Elbe bis November


Parallel zu den Gemälden und Skulpturen ist im Graphischen Kabinett des Kunstmuseums mit „Von Elbe bis November“ eine weitere Richter-Ausstellung zu bestaunen, die aber nur Papierarbeiten zeigt. Diese Werke stellen keine Studien für Bilder dar, sondern verkörpern ganz eigenständige Arbeiten. Sie eröffnen einen völlig anderen Zugang zu Richter als etwa die Gemälde.

Laut Gerhard Richter ist das Kunstmuseum Winterthur sein Lieblingsmuseum. Nicht nur weil dieses Haus weltweit die größte Sammlung von Zeichnungen und Aquarellen von ihm besitzt, sondern weil er einen engen persönlichen Draht zu ihm hat. Als Zeichen der Verbundenheit hat der Künstler dem Museum nun ein Konvolut von 35 bislang noch nirgends gezeigten Zeichnungen überlassen. Neben den bereits vorhandenen Beständen von Papierarbeiten sind diese nun ebenfalls im Graphischen Kabinett zu bestaunen.

Lust zu malen


Richter wird nun im Februar 82 Jahre alt. Trotz seines Alters steckt er noch voller Energien und Tatendrang. Sein Werk ist so unabgeschlossen, wie es unendlich viele Bilder in der Welt gibt. Die Streifenbilder aber, die seien nun beendet, sagt er, und er wisse noch nicht, was als nächstes komme. Das einzige das er wisse sei, dass er wieder Lust zu malen habe.

 

Gerhard Richter: Streifen und Glas
Kunstmuseum Winterthur
Bis 21.4.2014

Gerhard Richter: Von Elbe bis November
Arbeiten auf Papier
Graphisches Kabinett des Kunstmuseums Winterthur
Bis 27.7.2014 
Di 10–20, Mi-So 10–17
www.kmw.ch