Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Karlheinz Pichler · 21. Aug 2014 · Ausstellung

In jedem Ding schlummert ein Knall – „Kleine und große Ereignisse“ von Roman Signer im Kunstmuseum St. Gallen

Der 1938 in Appenzell geborene und in St. Gallen lebende und arbeitende Künstler Roman Signer ist mit „explosiven“ Aktionen international bekannt geworden. Er selbst spricht von „kleinen und großen Ereignissen“. Nach einer ersten Retrospektive im Jahre 1993 widmet ihm das Kunstmuseum St. Gallen jetzt erneut eine große Ausstellung. Diesmal stehen allerdings fast nur neuere Werke auf dem Programm, die er teils eigens für diese Schau entwickelt hat.

Roman Signer kennt die Räumlichkeiten des Kunstmuseums St. Gallen wie seine Westentasche, denn er nutzte sie in den Achtzigerjahren, als das Museum umgebaut wurde, als Atelier und Werkstatt. Er war dort also praktisch eine Zeitlang zu Hause und weiß daher das Raumangebot jetzt optimal für seinen Werküberblick zu nutzen. Diese beginnt bereits beim Treppenaufgang mit der Videoarbeit „Start“. Nomen est omen - was wäre besser geeignet als Ausgangspunkt einer Ausstellung? Im Video ist ein petrolblauer Piaggio zu sehen, der senkrecht wie eine startende Rakete auf dem Hinterteil seines Laderaumes steht und die Räder in die Luft streckt. In der Fahrerkabine, die Richtung Decke schaut, sitzt wie ein Kosmonaut der behelmte Künstler. Und dann beginnt der Countdown. Signer leistet hier Ablaufprozessen und Bildern, die jeder aus eigener Erfahrung kennt, schalkhaften Widerstand. Dieses Video wurde übrigens von seiner Tochter Aleksandra Signer aufgenommen, die sich bereits auch schon erfolgreich in der Kunstszene festgesetzt hat.

Eine Treppe weiter oben im Foyer des Museums empfängt den Besucher dann ein „echter“ Piaggio. Dieser war schon einmal im St. Galler Kunstmuseum zu sehen, nämlich 2013 im Rahmen der thematischen Schau „Flex-Sil Reloaded“.

„Ich kann auch anders!“

Im nächsten Zimmer hat der Künstler eine Barrikade aus auf den Kopf gestellten Stühlen errichtet, an deren Beine er Raketen befestigt hat. „Ich bringe die Leute nicht nur zum Schmunzeln, ich kann auch anders“, sagt Signer mit listiger Ironie. Etwas weiter hat er seine Brille auf dem Fußboden unter einem Holzbrett versteckt. „Ich bin sicher, dass ein Besucher draufsteht und einen Schock kriegt“, so Signer. Zwischenzeitlich ist die Brille schon mehrfach zersplittert und musste entsprechend durch neue ersetzt werden. Allerdings kam das Museumspersonal immer zu spät, um eruieren zu können, was genau die Zerstörung bewirkt hat.

Dann mit der ganz neuen Arbeit „Luftschlauch mit Stühlen“ ein echter „Aufsteller“ im Seitensaal Nord - Zehn Metallstühle liegen mit der Rückenlehne auf einem breiten, weißen Luftschlauch. Wird der Schlauch mit Luft gefüllt, was die Museumsmitarbeitenden auf Nachfrage gerne machen, entwickelt sich eine Kraft, die die Stühle in einem fast synchronen Akt in die Luft katapultiert und im Gleichtakt und bühnenreif auf ihren Beinen landen lässt. Als Ergebnis des Prozesses stehen die Stühle abgewendet, aber in Reih und Glied rund um den gefüllten Luftschlauch und ergeben das Bild einer merkwürdigen abgewandten Tischsituation. Für die Kuratoren Roland Wäspe und Konrad Bitterli ist diese Arbeit sehr chrakteristisch für das Vorgehen Signers. An ihr offenbaren sich die Systematik und die Einfachheit der eingesetzten Mittel. Wäspe: „Die Installation ist ein Zusammenspiel präziser Planung und Variationen eines letztlich unberechenbaren Zufalls: das Ereignis wird nie ganz genau gleich ablaufen.“

Das obligatorische Fass

Natürlich dürfen auch Objekte wie Regenschirm, Fahrrad, Helikopter oder das obligatorische Fass als Ausgangspunkt für Arbeiten schrägster Machart in einer Roman-Signer-Ausstellung nicht fehlen. Das Fass ist sogar zweifach präsent. Einerseits gibt es eine Art abgedunkelten Ruheraum mit Fassdeckeln, die mit Wasser gefüllt sind. Andererseits steht im südlichen Seitensaal ein silbernes Fass und davor ein Super-8-Filmprojektor, der über eine Öffnung unablässig seine Bilder hineinprojiziert. „Blue Movie“ heißt der zweideutige Titel, den Roman Signer der Installation von 2011 gegeben hat. Wer sich davon überzeugen will, ob es tatsächlich ein unanständiger Film ist, der im Innern des Fasses läuft, kann dies über ein Guckloch nachprüfen, muss sich dazu aber ganz schön verrenken.

Referenz an das Yves-Klein-Blau

Neben den Arbeiten, bei denen sich Signer mit den dynamischen Kräften von Raketen und gespannten Gummiseilen beschäftigt, gibt es auch andere, die fast einen meditativen Charakter aufweisen. So stehen etwa in einem abgedunkelten Raum Bistrotische mit verspiegelter Platte und erhöhtem Rand, gefüllt mit blau gefärbtem Wasser. Auf einen der Tische zielt ein Scheinwerfer – der scharfe Kegel wird an die Decke gespiegelt und füllt den Raum mit diffusem Licht. Diese Arbeit ist laut Signer eine Referenz an das berühmte Blau des Avantgardisten Yves Klein, genauso wie auch „Blue Movie“ sowie die Videoarbeit „Kugel mit blauer Farbe, Shanghai Biennale“. Letztere ist im Vortragssaal des Museumsuntergeschosses zu sehen: In China wurde eine hohle Holzkugel mit einem Durchmesser von einem Meter von lokalen Handwerkern in horizontalen Schichten aufgebaut und mit Teer abgedichtet. Dann wurde sie zu zwei Dritteln mit 800 Liter blauer Farbe gefüllt und aus einer Höhe von 30 Metern auf den Boden fallen gelassen. Die tiefblauen Farbpigmente segeln dank der Aufnahme mit einer Highspeed-Kamera mit 800 Bildern pro Sekunde in beinah zähflüssiger Langsamkeit auf den Betrachter zu.

Sehgewohnheiten „in die Luft sprengen“

Natürlich sind Signers lauten und explosiven Arbeiten, mit denen er gängige Normen und Sehgewohnheiten sprichwörtlich in die Luft sprengt, spektakulär. Nicht minder interessant sind aber auch seine ruhigeren Arbeiten. Etwa die Installationen, in denen regelmäßig tropfendes Wasser, glimmendes Feuer oder stetig rieselnder Sand eingesetzt werden, um Veränderungen und Transformationen zu realisieren. Immer geht es dem Künstler aber auch um eine Akzentuierung des kontinuierlichen Verfließens der Zeit. Oder um den Aspekt der ruhenden Energiepotenziale, wie sie etwa in Form von gespannten Gummiseilen, als Sprengstoff oder als Fallhöhen sich manifestieren. Und eben auch das Moment der Spannung und der Entspannung vor und nach den "schnellen Veränderungen", durch die die Ereignisse und Aktionen des St. Galler Künstlers überhaupt erst wirklich zu erfahren sind.

 

Roman Signer
Kunstmuseum St.Gallen
Bis 26.10.2014
Di-So 10-17, Mi 10-20
www.@kunstmuseumsg.ch