Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Peter Niedermair · 17. Aug 2018 · Ausstellung

Imelda Wachters „Camera Obscura“ auf dem Kornmarktplatz

Die Künstlerin Imelda Wachter, Jahrgang 1957, lebt und arbeitet in Lustenau und in Marrakesch. Dort in der Altstadt, der Medina, hat sie 2005 in einer Häuserzeile ein Haus gekauft und dieses zu einem Hotel umgebaut. Mehrfach schon hat sie ihre künstlerische Arbeit von dort, in Marokko, hier in Vorarlberg gezeigt. Das letzte größere Projekt war ein Videoprojekt „Un instant à Marrakech“,‚Ein Augenblick in Marrakesch‘, das sie 2012 u. a. im Öltank auf dem Ottenareal in Hohenems präsentierte. Aus dem Leben in diesen beiden Welten, zwischen denen sie hin- und herpendelt, bezieht die Künstlerin Inspiration. Ein Thema unter mehreren ist vor allem der Umgang mit Zeit. Auf dem Kornmarktplatz in Bregenz vor dem Vorarlberg Museum zeigt sie noch bis 8. Oktober 2018 ihre Camera Obscura, ein Projekt, bei dem die Welt auf dem Kopf steht.

Dem Unbekannten einen Platz geben

Das Unvertraute hereinholen, es zuzulassen, ihm in all seiner Unbekanntheit einen Platz geben, an dem man neugierig zuschaut, wie er sich entwickelt. In der Camera Obscura findet etwas Vergleichbares statt, das einem ähnlichen Ablauf und rhythmischen Prinzip folgt. In diesem konkreten Fall wartet man an einem verdunkelten Ort im Inneren eines Gehäuses – Höhe 3,5 m, Durchmesser 2,6 m – und schaut zu, wie das, was draußen im Außen existiert über eine winzig kleine Lichtöffnung als Bild ins Innere hereingeschleust wird und an der gegenüberliegenden Wand ein Bild entsteht. Diese von außen nach innen dringenden Bilder entstehen langsam. „Es braucht Zeit, sich ein Bild zu machen.“ Das sei der Urhebergedanke dieses Projekts, betont Imelda Wachter im Gespräch. Man muss sich Zeit nehmen, bis das Bild da ist, auf dem Kopf stehend. Es ist irritierend, zunächst, Dinge, die auf dem Kopf stehen, gleich zu entschlüsseln. Dabei strengen wir uns an, das Bild zu begreifen, das Sichtbare zu entschlüsseln, wobei der Fokus der Sonne eigentlich das bestimmt, was sichtbar wird.

Wenn die Sonne am stärksten scheint, ist das Bild auch am deutlichsten sichtbar; d. h. das Bild verändert sich im Laufe des Tages. Dieser Aspekt, dass sich Bilder verändern, ist der Künstlerin persönlich wichtig. Wenn es bewölkt ist oder regnet, braucht es sehr lange, mitunter bis zu zehn Minuten, bis ein Bild kommt. Am Kornmarktplatz tritt man ins Innere, ins Dunkle; innen sieht man nur Umrisse und weiß nicht so genau, was passiert. Die Bilder entstehen wie aus dem Nichts und öffnen sich allmählich. Für die Künstlerin ist das eine zum Leben passende Metapher. Bei bewölktem Himmel geht man in die Camera Obscura hinein, hat gewisse dunkle und undeutlich helle Stellen, sieht aber keine Konturen und kann auch nichts Konkretes erkennen. Und plötzlich, mit der Zeit, nach ein paar Minuten taucht ein Fenster, eine Tür, eine Person silhouettenhaft auf, die Bilder werden immer klarer, und plötzlich ist das Haus da, doch es steht auf dem Kopf. Dabei braucht es wirklich lange, bis ein Bild entschlüsselt werden kann, zehn bis sogar fünfzehn Minuten. Die vierjährige Valerie meinte am Tag der Eröffnung der Camera obscura, „schau, die Menschen gehen alle am Himmel und die Dächer stehen alle auf dem Kopf“.

Präsenz, Wahrnehmung und Zeit

Im Inneren dieser Kapsel wird spürbar, dass wir in eine ganz andere Wahrnehmung kommen. Imelda Wachter, die Künstlerin, geht davon aus, dass wir in Momenten leben, wenn es um Präsenz geht. Das beflügelt sie, das beeindruckt sie, das gibt ihr Intensität und Energie. Eine solche Erfahrung, wie sie in der Camera Obscura möglich ist, zeigt ihr die Bedeutung eines Moments in einem besonderen Kontext. Wenn die Welt auf dem Kopf ist, das Bild langsam sichtbar wird, entspricht beides nicht dem normalen Moment im Leben. „Die Situation zwingt mich, dass ich ausharre, dabei entdecke und dass ich geduldig bin“, sagt Imelda Wachter, und damit werde der Moment zu einer Quelle der Inspiration. Der Moment sei das Berührt-Werden, das Neugierig-Machende, das Fragende, das Entstehen-Lassen und auch die Geduld, das Warten beim Entstehen zuzulassen. Sobald Momente ungeklärt sind, wird es für die Künstlerin lebendig. Das Unbekannte und Ungewisse herholen, zulassen ist auch ein sehr sinnlicher, ein anhaltend langer sinnlicher Moment, auch weil im Inneren dieser Momentkapsel die Lichtverhältnisse eine große Rolle spielen. Das Licht im Inneren der Camera Obscura verändert sich ebenfalls.

Ein Prinzip aus der Physik sei für sie interessant, sagt Imelda Wachter, dass nämlich durch diese kleine, eigentlich winzige Öffnung solche Bilder entstehen. Sie habe eigentlich ein Objekt um ein Loch mit zweieinhalb Zentimeter Durchmesser bauen lassen, damit eine Geschichte entstehen kann. Ohne diese winzige Öffnung geschieht gar nichts, alles bliebe im Dunkeln. Das Loch, wenn man so will, ist eigentlich der Urheber dieser Geschichte. Das Objekt an sich könnte man auf verschiedene Art und Weise bauen, eckig, rund, oval, niedriger, höher. Ihre gewählte Form sei eine Anlehnung an das Objektiv einer Kamera, rund und lang; rund, damit das Bild fließen kann, wie die elementaren Ereignisse, die Sonne, die Erde, das Wasser. Mit der Idee des Fließenden knüpft dieses Projekt auch an frühere Arbeiten an. Die Künstlerin hat diese Geschichte zu Hause in Lustenau vor etwa fünf Jahren begonnen, aus purer Neugier, absichtslos; interessiert habe sie die Frage, wie eine Camera Obscura eigentlich funktioniere. Eine Idee, fast der Ursprung ist der Panoramaraum oben im Vorarlberg Museum, weil dieser u. a. auch als Camera Obscura bezeichnet wird. Sie hat schon vom Raum einer Schuhschachtel gehört, doch es war sehr bald klar, dass dieser Raum begehbar sein muss. Zu Hause in Lustenau hat sie mit einem Raum experimentiert, wo es mitunter lange dauerte, bis sie überhaupt ein Bild hatte. Einmal, als es bewölkt war, habe es 20 Minuten gedauert, bis sie das Nachbarhaus auf dem Kopf stehen sah. Das weckte ihre Neugier mehr und mehr, wie das im Winter, im Sommer, am Morgen, am Abend sei… Die Idee etwas zu bauen, kam erst zwei Jahre später.

Der Panoramaraum im zweiten Stock des Vorarlberg Museums

Mit einem rohen Plan eines begehbaren Raums geht sie zu vm-Direktor Andreas Rudigier, bei dem der Funke übergesprungen sei. In der Folge tüftelte die Künstlerin an verschiedenen Fragen, zum Beispiel der Form, des Standorts, des Eingangs, der Größe, Belüftung usw. Dabei arbeitet sie eng zusammen mit Karlheinz Gasser von der Zimmerei und Tischlerei Kaufmann, Reuthe. Prototypen wurden entwickelt, um Form, Dimension und die Größe zu finden. Am Kornmarktplatz vor dem Vorarlberg Museum erkennt man in der Form der Camera Obscura die überzeugende Stimmigkeit, das Objekt strahlt eine gewisse Ruhe aus, der äußere Mantel des Objekts spiegelt in gewissem Sinn das Innen nach außen.

Von Marrakesch über Hohenems nach Bregenz

Das Camera Obscura-Projekt knüpft an frühere Projekte an, wie zum Beispiel „Un instant à Marrakech“, eine künstlerische Arbeit, die sie 2012 im Öltank auf dem Otten Areal in Hohenems zeigte. Bei diesem Zylinder ist sie ebenfalls auf die runde Form gestoßen, die von der Dachterrasse des Hotels in Marrakesch aufgenommenen Fotos in Loops zu projizieren. Das verbindende Element zwischen diesen beiden Projekten ist der Moment, das Sich-Einlassen, die Bewegung, das heißt, man schaut etwas an, das sich bewegt; in Marrakesch die durch die Gasse gehenden Passanten. Das Bild entsteht und der Betrachter bewegt sich mit dem Bild mit. Durch die Form der Präsentation im Otten-Öltank waren die Betrachter gezwungen, sich zu bewegen, herumzugehen, nicht stehen zu bleiben. Bewegung wird zu einem zentralen Thema des Projekts. Während man wartet, bewegt man sich in der Camera Obscura gedanklich. Bewegung bekommt somit auch eine symbolisch-metaphorische Bedeutung. Wenn es sich bewegt, lebt es. So wie Wasser, das frisch bleibt, wenn es fließt, sich bewegt, sagt Imelda Wachter. In der sinnlichen Stille, die in der Camera Obscura „eingerichtet“ ist, spiegeln sich Emotionen, man ist eingeladen zu reflektieren, nachzudenken, man ist ständig am Changieren und letzten Endes führen all diese Punkte zusammen. Immer bin ich es, ich bin jedoch nur das Werkzeug meiner Ideen, die Ideen kommen, wie ich lebe, besonders mit anderen Menschen, die mich beflügeln, inspirieren, beleben, das gesamte Umfeld, die Begegnungen, die Widerstände. In diesem Sinne sind viele an diesem Werk beteiligt, nicht nur ich, sagt sie, sie sei keine monolithische Künstlerin, nur die Ausführende. „Ich komme aus einer Großfamilie und bin überzeugt, dass mich das zudem gemacht, wer und was ich bin. Ich musste lernen zu kommunizieren, zuzustimmen, Widerstand zu leisten, Dialoge zu führen, um Meines zu finden, bzw. das, was mir wichtig erscheint.“ Ich habe mir immer wieder Begegnungen und Erfahrungen ausgesucht, die mich herausfordern, die meinen Widerstand wecken, Marrakesch zum Beispiel. Dabei lerne ich viel über mich. Man lässt das Andere, das Unbekannte, das Unvertraute an sich heran, schaut sich an, wie es sich darstellt und was es macht.

Wechsel vom Ungewissen in eine Vertrautheit

Der Standort am Kornmarktplatz der Camera Obscura ist eine Zweckgeschichte, mit der sie spiegelverkehrt entdecken darf, was da draußen stattfindet. Der Platz ist öffentlich und sehr belebt, es gibt sehr viel Bewegung, er ist mit vielen historischen und gesellschaftlichen Narrativen aufgeladen, ein Umschlagplatz. Die Camera Obscura bedeutet in ihrer künstlerischen Biographie wie jedes Projekt eine Station. An diesem ist ihr besonders das Formale von außen sehr wichtig, es geht darum, die äußere Hülle mit dem Inneren in einen stimmigen Zusammenhang zu bringen. Im Innen des Innenraums kommt man in eine plötzliche Dunkelheit, wenn sich der Vorhang hinter einem schließt; man kommt mit der langsamen Entwicklung der Lichtverhältnisse in eine andere Welt. Der Aufenthalt im Innenkörper wandelt sich vom Ungewissen in eine Vertrautheit, man kommt in einen dunklen, anonymen, eigentlich nahezu existenzlosen Raum – „von fast bei null“ – schwarz, sagt die Künstlerin, sei der Punkt, an dem die Dinge auf null gesetzt werden. An diesem Ort kommt man zur Ruhe und danach Stück für Stück, in gedehnten Augenblicken, entsteht herinnen die Welt von draußen, seitenverkehrt. Weiß lässt sie neu starten, neu beginnen.

Führungen mit Imelda Wachter: Do, 23. August, 17.30 Uhr sowie So, 9. September, 10.00 Uhr; Treffpunkt: Kassa Vorarlberg Museum, Kosten 5 Euro, keine Anmeldung erforderlich. 
Filmpräsentation: Sa, 6. Oktober, 18.00 bis 1.00 Uhr (ORF Lange Nacht der Museen). Der Kurzfilm von Imelda Wachter und Kameramann Alexander Roschanek zeigt einen Tag in der Camera Obscura.