Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Karlheinz Pichler · 08. Aug 2018 · Ausstellung

Fressen und gefressen werden - Willkommen im Clubcannibal von Thomas Feuerstein

Die Installation „Clubcannibal“ des Tiroler Künstlers Thomas Feuerstein ist wohl eine der aufwendigsten, jedenfalls eine der imponierendsten Projekte, die der Kunstraum Dornbirn bislang realisiert hat. Unter einem mächtigen Stahlgerüst hat der an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Kunst und Philosophie operierende Kunstschaffende eine Laborsituation eingerichtet, wo in Bioreaktoren respektive Fermentoren Mikroorganismen gezüchtet werden, die aus dem aus Eisen und Schwefel bestehendem „Katzengold“ (Pyrit) Nahrung für menschliche Zellen produzieren.

Der raumgreifende Organismus mit bis zu zehn Meter langen Tentakelarmen aus Stahlrohren erinnert formal an einen Oktopoden oder eine monumentale technoide Spinne und verwandelt den Kunstraum Dornbirn in eine befremdlich-mysteriöse begehbare Skulptur. Die Stahlteile der „Krake“ wurden laut Kunstraumleiter Thomas Häusle in Bulgarien vorgefertigt, um den Kostenrahmen nicht gänzlich über den Haufen zu werfen. Das Ungetüm umschließt Schläuche, Pumpen, Bioreaktoren, Glasbehältnisse und Substanzen, die an eine Raffinerie erinnern, in der geheimnisvolle, chemische Prozesse ablaufen.

Vor eineinhalb Jahren verwandelte Feuerstein in der Bludenzer Galerie Allerart unter dem Titel „Sternenrotz“ mit bakterieller Unterstützung Algen in halluzinogenen Schleim. In seiner nun im Kunstraum Dornbirn errichteten „Fabrik“ produzieren Bakterien Nahrung für menschliche Zellen. In den Fermentoren blubbern in dunklen und hellen Rottönen Flüssigkeiten, die an Blut erinnern.

Der sich auflösende Prometheus

Auf einem erhöht angebrachten Podest erblickt man als Teil der Installation auch die marmorne Skulptur eines gefesselten Prometheus. Über das Weiß der Skulptur rinnt großflächig ein brauner Saft und zersetzt das Gestein sukzessive. Das solcherart entstehende Gemisch wird in den fermentaren Kreislauf eingespeist. Ziel Feuersteins ist es, Gestein in Fleisch umzuwandeln.

Der Mythos von Prometheus spielt im Konzept Feuersteins eine zentrale Rolle. Etwa in Bezug auf den Schöpfungsmythos. Zur Auffrischung: Prometheus war wie alle griechischen Götter der Herrschaft des Göttervaters Zeus unterworfen. Im Zuge eines Tieropfers täuschte Prometheus den Zeus und überließ ihm nur die wertlosen Teile des Opfertiers, während er das genießbare Fleisch für die Menschen zurückbehielt. Zur Strafe dafür verweigerte der erzürnte Zeus den Sterblichen den Besitz des Feuers. Darauf entwendete Prometheus den Göttern das Feuer und brachte es den Menschen. Deswegen wurde er auf Befehl des Göttervaters gefesselt und in der Einöde des Kaukasusgebirges festgeschmiedet. Dort suchte ihn regelmäßig ein Adler auf und fraß von seiner Leber, die sich danach stets erneuerte. Als Feuerbringer gilt Prometheus auch als Urheber der menschlichen Zivilisation. Einer Variante des Mythos zufolge hat er als Demiurg die ersten Menschen aus Lehm gestaltet und mit Eigenschaften ausgestattet. In der Moderne steht Prometheus, der sowohl in der Literatur als auch in der bildenden Kunst immer wieder ein beliebtes Sujet darstellte, als Symbolfigur für den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt und die zunehmende Herrschaft des Menschen über die Natur. Daher wird er je nach geschichtsphilosophischem Standort unterschiedlich beurteilt: Für Fortschrittsgläubige stellt er eine Allegorie der sich emanzipierenden Menschheit dar, Zivilisationsskeptikger hingegen halten den „prometheischen“ Impuls für zwiespältig oder fragwürdig und problematisieren den Drang des Menschen zu möglichst schrankenloser, gottähnlicher Macht. (Vgl. dazu Wikipedia - „Prometheus“)

Vom Gestein zum Leberschnaps

In einem Begleittext zur Ausstellung heißt es, dass bei Thomas Feuerstein die Ästhetik der Kunst mit der Poesis der Maschine und des Labors verknüpft werde und nicht ohne Ironie veränderte Materialitäten hervorbringe, die in der Ausstellung als Wandlung von Stein in Fleisch vollzogen werden und destilliert als Spirituose im Clubcannibal einverleibt werden können. „Dass Feuerstein für seinen experimentellen Prozess menschliche Leberzellen wählt, verweist auf die Tradition der Leberschau. Das seit der Antike mit dem Leben assoziierte Organ wird zum Ausgangspunkt, die Zukunft des Menschen im Kontext einer zellulären Ökonomie zu lesen. In einem mehrstufigen Prozess wird aus Gestein Fleisch produziert. Am Anfang steht Pyrit, von dem sich chemolithoautotrophe Bakterien (Acidithiobacillus ferrooxidans) ernähren und Glucose und Proteine für biotechnologisch kultivierte Leberzellen (Hepatozyten) bereitstellen. Am Ende fließt Alkohol, der aus dem Glykogen der menschlichen Leberzellen gewonnen wird.“ (Ebd.) Feuerstein stellt als Nebenprodukt also auch „Leberschnaps“ her.

Künstliches Fleisch

Mit dem Projekt Clubcannibal erzählt der Tiroler Künstler via biotechnologische Prozesse eine Geschichte zwischen Science-Fiction und Horror, Utopie und Dystopie. Wobei die Herstellung von künstlichem Fleisch durchaus keine Utopie mehr darstellt. Im kalifornischen Silicon Valley etwa gibt es bereits mehrere Startup-Unternehmen, die Muskelstammzellen züchten und daraus Fleisch produzieren. Der US-amerikanische Lebensmittelhersteller Hampton Creek will schon bis Ende 2018 künstliches Fleisch verkaufen. Und die Schweizer Coop-Tochter Bell hat eine Milliardensumme in das niederländische Startup Mosa Meat heineingebuttert, das Rindfleisch kultiviert. Laut Forschern schmeckt künstlich hergestelltes Fleisch genau gleich, wie man Fleisch kennt. Auf molekularer Basis sei das Labor- und das Viehfleisch ein und dasselbe. Geschmacklich gebe es keinen Unterschied. Trotz aller Fortschritte steckt die Forschung im Bereich Laborfleisch allerdings immer noch in den Kinderschuhen. Mosa Meat etwa sucht zurzeit noch nach einer passenden Nährstofflösung für die Zellen. Vielleicht sollten die mal bei Thomas Feuerstein anklopfen?

Thomas Feuerstein: Clubcannibal
Kunstraum Dornbirn
Bis 2.9.2018
Di-Sa 16-19, So 10-13 u. 16-19
www.kunstraumdornbirn.at