Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Karlheinz Pichler · 10. Dez 2015 · Ausstellung

Entfunktionalisierte Alltagsgegenstände als Startrampen in den Raum - Aldona Kut und Sebastian Kuhn in der Bludenzer Galerie allerArt

Zum Abschluss des ausklingenden Programmjahres gibt die Galerie allerArt in der Bludenzer Remise einen Einblick in das Schaffen des polnisch-deutschen Künstlerehepaares Aldona Kut und Sebastian Kuhn. Da Kut und Kuhn autonom und sehr unterschiedlich voneinander arbeiten, werden keine Gemeinschaftsarbeiten präsentiert, sondern Kurator Alfred Graf lässt die beiden Positionen direkt aufeinander prallen. Wobei sich die beiden Statements aber durchaus nicht gegenseitig aushebeln. Das Nebeneinander der feinsinnigen und durchdachten Zeichnungen und Faltungen Kuts und der aus dem Alltag abgeleiteten und neukonstruierten Objekte von Kuhn evoziert keine Brüche, sondern die Werke scheinen viel eher in einen Dialog miteinander zu treten. Denn beide Haltungen bergen auf ihre jeweils spezielle Art transformatorische Prozesse.

Der „Hangover-Konstruktivist“


Sebastian Kuhn, 1977 im schwäbischen Krumbach zur Welt gekommen, studierte freie Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg bei Tim Scott und Bildhauerei und Kunsterziehung bei Claus Bury. Nach einem Studienaufenthalt in Santiago de Chile bei Francisco Gazitua und einem mehrmonatigen Symposium an der Hiroshima City University erweiterte er seine Studien am Wimbledon College of Art der Universitisty of the Arts in London. Ulrike Lorenz, Direktorin der Kunsthalle Mannheim, schreibt über den Künstler: „Kuhn ist einer jungen Garde international tätiger Bildhauer zuzurechnen, die über die postmoderne Konzeptkunst hinweg und mit großem Selbstbewusstsein wieder bei Altmeistern wie Eduardo Chillida, Anthony Caro und David Smith anknüpfen, ohne jedoch die wesentlichen Impulse der anthropologischen Durchdringung der Plastik im Sinne von Joseph Beuys und Bruce Nauman zu ignorieren. Das Spannungsfeld in dem Kuhn arbeitet wird durch die Auswahl aktueller Materialien oder Alltagsobjekte und deren Kombination zu hybriden Konstellationen unmissverständlich in die gegenwärtige Lebensrealität übersetzt und dabei mit physikalischer und poetischer Dynamik aufgeladen.“

Kuhn wartet in Bludenz mit ganz neuen Werken zur Serie „Display Devices“ auf. Ausgangspunkt solcher „Devices“ können etwa eine Waschbeckenhalterung oder ein Bügelbrett sein, die an der Wand montiert werden und von denen aus er dann in den Raum hinein arbeitet. Die eingesetzten Stoffe verweisen auf Materialien, wie sie heute in Baumärkten, Gartenzentren oder Fachgeschäften für Haushaltsartikel gang und gäbe sind. Schrauben, Haken und Ösen kommen genauso zum Einsatz wie Nadelfilze, Schaumstoffe, Stahlrohre, Kabel oder Schlauchaufhänger. Die ursprüngliche Funktion, die Halterung etwa, tritt zugunsten der skulpturalen Entwicklung solcher Materialschlachten sukzessive in den Hintergrund. Wenngleich sie latent präsent bleibt. Denn sie stellt das Bindeglied zwischen Objekt und Alltagswelt dar. Im Unterschied zur freien Form halten die „Display Devices“ von Kuhn stets den Kontakt zur realen Welt. Der Künstler selbst hat sich einmal als „Hangover-Konstruktivist“ bezeichnet. Kuhns kalkulierte Materialschlachten bewegen sich letztlich auf dem Grat zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, changierend zwischen dem „konstruierten Gegenstand“ selbst und dessen vermeintlichem Wiedererkennungswert.

„Wohin du fährst, dort wirst du sein!“


Die 1976 im polnischen Przemysl geborene Aldona Kut studierte in Krakau Modedesign, Malerei sowie Bühnenbild und später in Nürnberg Master of Arts in Architektur und Stadtforschung. Entsprechend dieser multidisziplinären Ausbildung ist auch ihr künstlerisches Werk sehr vielschichtig aufgebaut. Kut ist es gewohnt, die Dinge aus unterschiedlichsten Perspektiven zu betrachten und anzugehen. Ihre Arbeit tangiert zumeist das Performative, Skulpturale und Soziale zugleich.

Kut zeigt in Bludenz Beispiele aus dem Zyklus „Nomada“, an dem sie seit drei Jahren arbeitet. Leitgedanke dieser Serie ist der Satz „Wohin du fährst, dort wirst du sein!“, den sie dereinst im Aufzug eines Krakauer Studentenheimes für sich entdeckte. Auf sehr subtile Weise und mit den unterschiedlichen Zugängen ihrer verschiedenen Metiers, in Objekten, Malerei, Zeichnung, Papierfaltungen und Collagen setzt die heute gemeinsam mit Sebastian Kuhn in Nürnberg lebende und arbeitende polnische Künstlerin die Eindrücke, Erfahrungen und Gedanken um, die Orte und Räume in ihr auslösen. Das kann beispielsweise eine Landschaftszeichnung sein, kann sich aber genauso gut in der Schaffung neuer Raumempfindungen wie etwa durch Papierfaltungen niederschlagen. Manche Arbeiten sind im Zusammenhang mit einem längeren Aufenthalt in den USA entstanden, andere resultieren aus einem „inneren Unterwegssein“. Auf jeden Fall markieren die Werke Kuts einen sehr persönlichen Nomadismus. Zu den erwähnten Faltungen, von denen auch Beispielhaftes in der Galerie allerArt zu sehen sein wird, schreibt die mit ihr befreundete Schriftstellerin Nora Gomringer: „Aus der Linie erwächst bei ihr die Faltung, die überzeichnete Linie sozusagen: die Falz, aus der Falz erwächst die Struktur, aus der Struktur das Komplexe, die Bündelung, aus der Bündelung auch die Metamorphose, das Spiel.“

Aldona Kut vernetzt bildende Kunst mit Mode, Design, Architektonik und Geschichtlichkeit. Diese Pluralität immunisiert gegen Schubladendenken und prädestiniert für Grenzüberschreitungen. Diese übergreifende Vielseitigkeit verdichtet sich gerade im Werkzyklus „Nomada“ zu einer sehr persönlich ausgelegten Karthographie der Künstlerin.

 

Aldona Kut und Sebastian Kuhn
Galerie allerArt in der Remise Bludenz
Bis 10.01.2016
Mi-So 15-18
www.allerart-bludenz.at