Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Niedermair · 25. Okt 2017 · Ausstellung

Ensemble Tanzufer Ursula Sabatin bei den Krumbacher Bushaltestellen„wart mal“ - Warten als kulturelle Praxis übersetzt in Tanz und Bewegung

Mit „wart mal“ präsentiert das Ensemble Tanzufer unter der künstlerischen Leitung von Ursula Sabatin die Videoinstallation BUS:STOP KRUMBACH, die noch bis 12. Nov. 2017 im Pfarrsaal Krumbach zu sehen ist. Danach sind die Videos vom 20. November bis 3. Dezember im Magazin 4 in Bregenz ausgestellt.

Warten ist mehr als die Kunst geduldig zu sein

Vor gut vier Jahren, im Oktober 2013, wurde das Projekt BUS:STOP, ein Bauprojekt für sieben Bushaltestellen des Landbus Bregenzerwald in der Gemeinde Krumbach eröffnet. Der Direktor des Architekturzentrum Wien, Dietmar Steiner, wurde beauftragt, sieben internationale Architekten zu finden, in der Gemeinde besondere Bushaltestellen, „Bushüsle“, zu errichten. Diese wurde in Kooperation mit lokalen Architekten, Handwerkern in Krumbach und der lokalen Bevölkerung angefertigt und aufgestellt. Die Entwürfe stammen von Smiljan Radic aus Chile, dvvt-Architecten aus Belgien, Rintala Eggertsson Architects aus Norwegen, Alexander Brodski aus Russland, Amateur Architecture Studio mit Wang Shu und Lu Wenyu aus China, Ensamble Studio aus Spanien und Sou Fujimoto aus Japan, die als Honorar eine Woche Urlaub in der Gegend erhielten. „Für BUS:STOP Krumbach spielt das Handwerk eine zentrale Rolle. Die Perfektion und Meisterschaft in der Verarbeitung der unterschiedlichen Materialien – vor allem aber Holz, Glas und Metall, setzen für diese Region gewohnt hohe Maßstäbe. Das Gesamtwerk ist gelungen, weil über 200 Personen es auf großzügigste Weise unterstützt haben. Und die Krumbacher Bevölkerung zeigt Mut, Neues zuzulassen und umzusetzen.“ (Homepage Gemeinde Krumbach) Die Architektur der Wartehäuschen orientiert sich nicht am traditionell-herkömmlichen Aussehen, nutzt aber regionale Materialien, besonders Holz oder Schindeln und geht auf jeweils örtliche Besonderheiten ein, wie eine Straßenkreuzung, Aussichtspunkte oder umliegende Bauten. „Ein sichtbares Zeichen funktionierender Alltagsmobilität ist die Bushaltestelle im Dorfzentrum nach Entwurf der lokalen Architekten Bernardo Bader, René Bechter und Hermann Kaufmann. Eine Haltestelle, die den Dorfkern mitprägt“ (vgl. Homepage Gemeinde Krumbach). Das Krumbacher Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Sonderpreis des Österreichischen Staatspreises für Architektur, dem Österreichischen Staatspreis für Kommunikation und Public Relations, Adwin 2015, die Auszeichnung als „Architects’ Client of the Year 2014“ des internationalen Iconic Award und dem Innovationspreis 2014 des Vorarlberg Tourismus.

Beim Warten entsteht ein neuer Raum: „aspetta un attimo

Beim Warten vergeht die Zeit, eine Zeit, wie Vladimir und Estragon in Samuel Becketts „Warten auf Godot“ beobachten, die an sich eh vergangen wäre. Doch wofür und mit welchem Ziel? Warten bedeutet gewöhnlich sich für eine bestimmte Zeit und für einen Zweck auf etwas zu Erwartendes an einem Ort aufzuhalten. Im Althochdeutschen „wahhon“ steckt auch die Bedeutung, schauen, beobachten, wachsam sein. Warten sind Momente der Kontemplation, der Pause, in der man die Welt auf sich wirken lässt. Man kann schauen und nachdenken. Wenn man heute an Bushaltestellen oder Bahnsteigen wartet, kann man sehen, dass die Wartenden hauptsächlich auf ihre Mobile Phones schauen. Warten an sich ist eine Kunst geworden, ob Haltestellen, Telefonwarteschleifen, Termine. Warten ist kulturelle Praxis. Jeder Mensch kennt diese Erfahrung. Die einen mehr, die anderen weniger, je nach sozialer Stellung und Position in der Gesellschaft. Menschen mit Macht warten nicht, sie lassen warten. In der Arbeitswelt u.a. sind solche Machtspiele und Hierarchien besonders deutlich. Warten in Beziehungen ist ein mitunter leidliches Dauerthema.

Das choreographische Konzept von Ursula Sabatin und ihrem Ensemble orientiert sich an der Perspektive, die eigene Umgebung wahrzunehmen und daraus die Möglichkeit zur Kommunikation zu nützen. Im Beobachten, im Warten, im Experimentieren, im Studieren der Gesten beim Warten lassen sich, so die Choreographin Ursula Sabatin, Bewegungen und Wiederholungen beobachten, die die Grundlagen und Variationen der Sequenzen bilden. Diese zeigen sich vor allem in minimalistisch reduzierten Formen, die einen Alltagsbezug herstellen. An jedem Wartehäuschen wurde der individuelle architektonische Raum, der, wie gesagt, eine eigene Materialität besitzt, für spezifische Choreographien und einen dazu passenden Soundtrack genutzt. Alltagsgeräusche, wie das Gespräch vorbeigehender Kinder oder vorbeifahrender Autos wurden dabei in eine besondere musikalisch-phonetische Erzählung übersetzt, womit die rhythmisierten Kompositionen die Phantasien und Vorstellungen der Betrachter in zusätzliche klangliche und bildliche Räume transponiert werden. Gleichzeitig funktionieren die Sequenzen auf den Videoaufnahmen als Spiegelbilder für die Alltagsrealität an den Bushaltestellen. Alle Filme für sich verfügen über eine jeweils individuelle Dramaturgie, die sich aus den Bewegungsabläufen der Tänzerinnen und Tänzer und der Wartenden an der Haltestelle ergeben, sie reflektieren die landschaftliche Situation. Der Tanz ist dabei das genuin verknüpfende Element, eine feingesponnene, visualisierte Sprache, die vom Warten, einer menschlichen Grunderfahrung an sich erzählt. In der Ausstellung sind auf sieben Screens diese sieben choreographischen Inputs, die getanzten Interventionen ausgestattet mit jeweils individuellen phonetischen Erzählungen zu sehen. Auf einem achten Screen ist eine Zusammenfassung, eine Essenz aller sieben Wartehäuschen in einem speziellen Cinemagraph-Verfahren zu sehen, bei dem sich bewegende Teile für einen Still angehalten werden, um die gesamte Szenerie in Details hervorzuheben. Dies schafft nochmals einen zusätzlich erweiterten visuellen Reiz.

Am Eröffnungsabend begrüßte Bürgermeister Arnold Hirschbühl, der dem Projekt gegenüber sehr offen eingestellt ist, im Gespräch kommentierten Marina Hämmerle vom Büro für baukulturelle Anliegen, die damals Direktorin des Vorarlberger Architekturinstituts war, und der in Hörbranz lebende Maler Richard Bösch die Videos, die in Loops zu sehen sind. Marina Hämmerle weist besonders auf den Aspekt des Rhythmus und der Zwischenräume in der Architektur hin, einem statischen Rhythmus in der Architektur ist ein dynamischer Rhythmus im Tanz gegenübergestellt. Darüber hinaus werden im Tanz, wie Ursula Sabatin gegenüber KULTUR betont, immer wieder auch Räume, in der Art von kurzfristig sichtbaren Gebäuden, „gebaut“. Richard Bösch, der in seiner Malerei wie die im November im Vorarlberg Museum eröffnende Ausstellung und der dazu publizierte Katalog zeigen werden, sehr Raum- und Architektur-affin ist, stellt den Tanz an den Bushaltestellen in einen erweiterten Kunstzusammenhang. Weiters betont Richard Bösch die Bedeutung der Bushüsle, die in der Gemeinde und ihren Bewohnern gut verankert sind.

 

„wart mal“  Tanz - Video - Installation 

Bis 12. Nov. 2017 Ausstellung im Pfarrsaal Krumbach, geöffnet täglich von 8 bis 16 Uhr, an verlängerten Abenden samstags und sonntags bis 20 Uhr
Vom 20. Nov. bis  3. Dez. 2017 Ausstellung im Magazin 4 Bregenz, 9 bis 18 Uhr, Mo bis So, Begrüßung Stadtrat Michael Rauth

Künstlerische Leitung Ursula Sabatin / Film Aaron Sutterlütte / Musik Arno Oehri / Technik Martin Beck / Bauten Reinold Capelli / Ensemble Tanzufer: Ruth Grabher, Maria King, Johanna Gall, Horst Nachbaur, Georg Kühne, Reinold Capelli, Verena Dünser, Anja Burtscher, Ursula Sabatin
Produktion www.tanzufer.at