Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Karlheinz Pichler · 31. Okt 2016 · Ausstellung

Die Skulptur als Fackel der Malerei - Bertrand Lavier im Kunstmuseum Liechtenstein

Der 1949 in Châtillon-sur-Seine geborene französische Künstler Bertrand Lavier ist durch die Bemalung von Bildern und Alltagsobjekten sowie durch die „Superpositions“, die durch das Aufeinanderstellen von Gegenständen aus der Warenwelt entstehen, international bekannt geworden. In der bislang größten Einzelausstellung zum Schaffen Laviers gibt das Kunstmuseum Liechtenstein derzeit einen impossanten Einblick in die verschiedenen „Baustellen“ Laviers, wie der Künstler seine Werkserien in progress gerne bezeichnet.

Auf Bertrand Lavier, der zunächst in Versailles Gartenbau studierte, ehe er 1972 damit aufhörte, um sich künstlerisch zu betätigen, hatten nicht zuletzt Marcel Duchamp, die Pop Art und die Neuen Realisten großen Einfluss. Von Beginn an erforschte Lavier mit seinem Werk, das von einer großen narrativen Stärke getragen wird, den Bereich der Wahrnehmung.
Er provoziert, indem er Objekte aus dem täglichen Leben wie etwa Kühlschränke, Klaviere oder Fotoapparate aus ihrem Umfeld herausreißt, sie bemalt und in einen neuen Kontext stellt. Er nimmt den Status des Kunstwerks, die Ambiguität der Objekte ins künstlerische Kreuzverhör und untersucht, inwiefern der Ausstellungsort die Kunstwerke verwandelt. Anhand der verschiedenen künstlerischen Kategorien befasst er sich mit dem Sockel in der Malerei, der Hybridisierung und anderen zentralen Fragen der bildenden Kunst. Er bedeckt Gegenstände wie Autos, Schränke oder Kameras mit einem dicken Farbauftrag, wobei die Gegenstände weiterhin verwendbar bleiben. Die Werke sind der Gegenstand selbst und aber auch gleichzeitig das Bild des Gegenstandes.

Vier Räume

Friedemann Malsch, der Direktor des Museums und gleichzeitig Kurator dieser Lavier-Schau hat die Ausstellung in vier thematische Kapitel gegliedert, denen jeweils ein Raum gewidmet ist: Bildgründe, 2D – 3D, Objektskulptur sowie Übertragung. Im Abschnitt „Bildgründe“ sind etwa Laviers berühmte Übermalungen von funktionalen Gegenständen wie etwa einer Zenit-Kamera oder eines in italienischem Design gehaltenen Kühlschrankes der Marke Smeg zu sehen. Aus der Entfernung wirken diese Gegenstände völlig alltäglich. Beim Nähertreten wird der dicke Farbauftrag allerdings unübersehbar. Auch eine Reihe von Klavieren fällt in diese Werkkategorie. Für das Kunstmuseum Liechtenstein hat der französische Künstler eigens einen Steinberg-Flügel übermalt. Sind für Flügel dieser Klassenordnung üblicherweise gediegene Hochglanzlackierungen state of the art, so wirkt der dicke Farbauftrag Laviers hier wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Obgleich jedes Detail, vom angebrachten Schriftzug bis zu den Tasten, akribisch nachgemalt ist, wird im Grobauftrag jeder einzelne Pinselstrich offenkundig. Aber das Gerät selber bleibt bespielbar und dürfte auch von der Klangfarbe kaum etwas einbüssen. Was sich aber sicher ändert, ist die taktile Haptik für den Pianisten.

In einem Brief an Benedetto Varchi schrieb Michelangelo Buonarotti 1549, dass ihm die Malerei umso besser erscheine, je mehr sie der Skulptur ähnle, und die Skulptur umso schlechter, je mehr sie der Malerei ähnle. Die Skulptur sei die Fackel der Malerei. Lavier setzt dem Disput um die Vorherrschaft zwischen Malerei und Skulptur einfach auf seine Art und Weise einen Schlusspunkt, indem er einfach alltägliche Gegenstände mit dicken Schichten von Acrylfarbe überzieht und somit die beiden Bereiche fusioniert.

In einem Interview meinte Lavier einmal, dass es die Funktion dieser „Objets peints“ sei, den Betrachter zu täuschen. „Von weitem sieht man einen Feuerlöscher und dann erkennt man, ah ja, er ist angemalt, aber es ist trotzdem ein Feuerlöscher. Wenn man ein schönes italienisches Trompe-l’oeil dechiffriert hat, bleibt man dennoch von ihm fasziniert. Ein schlechtes Trompe-l’oeil dagegen ist nicht mehr von Interesse, wenn man es erst mal dekodiert hat. Es ist etwas in der Art, was ich mit Kurzschluss meine. Es gibt diese winzige Verschiebung, die in eine Bewegung ohne Ende mündet. Um beim Beispiel des Feuerlöschers zu bleiben, dieses Verhältnis, dieses Hin und Her, das sogar physisch stattfindet, da der Feuerlöscher unter der Farbe existiert, dieses Hin und Zurück, das man auch das weiße Rauschen nennen könnte, das ohne Ende ist.“ (In: Kunstforum, Bd. 175, 2005, S. 226 ff)

Im zweiten Raum, 2D – 3D, präsentiert Lavier mit „Intervoile“ (1989) unter anderem ein mit Acryl übermaltes Segel. Das Segel ist sofort als solches erkennbar, wirkt aber auf der anderen Seite wie ein geometrisches Wandbild. Bei der Arbeit „Husqvarna/Art deco“ (2012) wiederum wirkt der untere Teil, ein Art deco Möbelstück, wie ein Wandrelief oder ein Werk der Minimal Art. Ein darüber gehängter Laubsauger wirkt jedoch wie ein „Querschläger“ und entillusioniert den Betrachter.

Superpositions

Ein Sofa auf einer Kühltruhe, ein Kühlschrank auf einem Tresor, ein Sessel auf einem Grafikschrank – Bertrand Laviers „Superpositions“, die neben anderen Objektskulpturen im dritten Raum zu besehen sind, sind stets das Ergebnis einer Addition. So besteht etwas das Werk „La Bocca/Bosch“ (2005) aus einem Sofa auf einer Kühltruhe. Die Statik der beiden Objekte lässt prinzipiell auch eine Verkehrung der beiden Teile zu. „Philips dans Rue de Passy“ (1988) zeigt nämlich genau dies, einen Kühlschrank auf einem Sessel. Im Katalog schreibt Thorsten Schneider dazu: „Das Design von Bosch liegt dabei jedoch näher an der kühlen Ästhetik geläufiger Museumssockel, die sich mit ihrem üblichen weißen Anstrich zurücknehmen sollen, um die Wahrnehmung des exponierten Kunstwerks darauf nicht zu stören. Das Sofa Bocca hingegen ist mit seiner ausladenden, vollmundig roten Lippenform ein stark sexualisierter Fetisch. 1971 entwarf das Turiner Studio 65 das Design-Sofa Bocca als ein Tribut an den surrealistischen Künstler Salvador Dalí und spielte zugleich mit Formen der Pop-Art. Damit ist bereits das Sofa selbst eine Aneignung der Designer aus dem Bereich der zeitgenössischen Kunst. Die Kühltruhe hingegen überzeugt durch ihre reduzierte Formgebung nach dem modernen Design-Paradigma 'form follows function'. Der Kussmund darauf bildet dazu einen postmodernen Kontrast. Laviers Werk spielt in der Kombination dieser beiden Gegenstände mit der Form und der Funktion, die nicht als immanente Qualität der Objekte in diesen selbst begründet liegt, sondern vielmehr als zwei Weisen der Betrachtung angesehen werden können.“

Neben vielen anderen Objektskulpturen wie einer E-Gitarre, einem Kotflügel auf einem Kühlschrank, einem Unfallmofa oder einem Skateboard wird in diesem Raum auch ein Teddybär als Objet trouvé an einer Stange auf einem Sockel gezeigt. Im Interview mit Friedemann Malsch, das im Katalog abgedruckt ist, der anlässlich der Ausstellung produziert wurde, erzählt der Franzose, er habe diese Art der Präsentation bei einem Sammler gesehen, der Objekte unabhängig von ihrer Herkunft wertschätze und inszeniere. „Nikki“, wie Lavier dieses Stück benennt, verweist auf die warenförmige Präsentation, andererseits werden emotionale Erinnerungen an die Kindheit evoziert. Der anonyme Warencharakter der Plüschfigur geht Hand in Hand einher mit den individuellen Bezugssystemen der Betrachter.

Supermarkt und Museum inspirieren gleichermaßen

Wie Bertrand Lavier selber sagt, inspirieren ihn Supermärkte und Museen gleichermaßen. Verwechslungen dieser Einrichtungen der Moderne seien wohl kalkuliert, egal in welche Richtung. Diese Haltung ist auch im letzten Ausstellungsraum nachvollziehbar, die den „Übertragungen“ vorbehalten ist. In dieser Abteilung ist etwa die Serie „Walt Disney Production“ (1985-94) enthalten, in denen Lavier verinnerlichte Klischeebilder moderner Kunst thematisiert. Die Reihe basiert auf einem Mickey Mouse Comic, der in einem Kunstmuseum spielt. Darin gezeigte abstrakte Bilder und Skulpturen setzt der Franzose mittels reproduktionstechnischer Verfahren in die Realität um und reintegriert damit in humorvoller Weise Vorstellungen über moderne Kunst aus einem populärkulturellen Kontext in das Museum. Es ist gleichsam ein Reflex von Lavier auf die Vermassung der Kunst auf der Ebene der Malerei.

Lavier wählt vielfach „Trivialobjekte“ aus, die er durch seine Bearbeitung für die Ewigkeit konserviert. Grund dafür sei, dass Trivialobjekte gerade dadurch, dass man sie nicht beachtet, im Laufe der Zeit zu den seltensten würden. „Eine Colaflasche von 1932 ist heute ausgesprochen selten. Es wurden Millionen produziert, aber man beachtete sie nicht. Ich bin sicher, dass man dank Warhol eine präzise Erinnerung der Campell-Suppendose hat,“ sagt der französische Künstler.

Laviers vielfältige Aneignungsstrategien wirken mitunter banal. Gleichzeitig sind seine Werke intellektuell durchdrungen und werden von strukturalistischen wie semiotischen Bild-Zeichen-Theorien tangiert. Dass sich mitunter auch Sprödigkeiten einschleichen, verleiht den Serien, die Lavier prozesshaft weiterentwickelt, zusätzliche Reibungsflächen.

Bertrand Lavier
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz
Bis 22.1.2017
Di-So10-17, Do 10-20
Öffenliche Führungen: 24.11. (18 Uhr) u. 19.1. (18 Uhr)
17.11., 18 Uhr: Vortrag von Bice Curiger: „Bertrand Lavier und seine 'touche von Gogh'“
1.12., 18 Uhr: Vortrag von Thorsten Schneider: „Die feinen Unterschiede in den Werken von Bertrand Lavier“
www.kunstmuseum.li