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Karlheinz Pichler · 25. Nov 2015 · Ausstellung

Die Schönheit der Mauer als Material – Joan Miró im Kunsthaus Zürich

Unter dem Titel „Mauer, Fries, Wandbild“ setzt sich das Kunsthaus Zürich derzeit in einer grandiosen Werkschau mit dem katalanischen Maler Joan Miró (1893 - 1983) und dem Gemäuer auseinander. Mirós großformatige Wandbilder werden im Kontext zu seinem Gesamtwerk präsentiert und eröffnen ein neues Verständnis seines Zuganges zur Malerei.

Salvador Dalí bezeichnete Mirós Malerei dereinst als „zu grandios für die dumme Welt unserer Künstler und Intellektuellen.“ Er stellte ihn als einen Erneuerer der Kunst dar, der nur mit Picasso vergleichbar sei; für ihn verkörpere er die „Osmose zwischen Surrealismus und Realität, grenzenlos geheimnisvoll, dazu fähig uns mit der lebendigsten Intensität ferner und ergreifend magischer Schöpfungen in den Bann zu ziehen.“

Miró erklärte in seinen Selbstzeugnissen die Wand an sich zum Ausgangspunkt seiner Malerei. Und genau auf diesen Aspekt fokussiert sich das Kunsthaus Zürich in seiner aktuellen Ausstellung. „Vögel, die wegfliegen“ (Oiseaux qui s’envolent, 1971/72) heißt ein markantes Keramikfries von 1972, welches Mirós übergreifende Faszination für Mauern aller Art auf anschaulichste Weise festhält und dokumentiert.

Die Gleichsetzung der Bildfläche mit der Wand


Begonnen hat jedoch alles mit den gemauerten Wänden des Bauernhofs der Familie Miró in Montroig bei Tarragona. Sie bildeten den Ausgangspunkt des bekannten Gemäldes „Der Bauernhof“ (La Ferme, 1921/22), in dem der Künstler die Schönheit ihrer materialen Beschaffenheit mit akribischer, außerordentlich poetisch wirkender Detailgenauigkeit festhielt. Dieses Bild gilt als Schlüsselwerk für das weitere Schaffen des Katalanen. Die Wand oder die Mauer war für Miró nicht nur Gegenstand der Abbildung, sondern sie gab auch die physisch-haptische Qualität des Malerischen vor. Die Abkehr von der einfachen Wiedergabe der Wirklichkeit hin zur Gleichsetzung der Bildfläche mit der Wand prägte sein weiteres Vorgehen. Am Anfang des Ausstellungsrundgangs im Kunsthaus hängt „Der Bauernhof“ gegenüber dem Werk „Die Hoffnung des zum Tode Verurteilten I–III“ (L’Espoir du condamné à mort I–III, 1974). Damit wird ein Bogen geschlagen zwischen Mirós frühen Darstellungen gemauerter Wände und den wandähnlichen Graffiti in diesem monumentalen späten Triptychon, das auch als erschütternde Anklage gegen die anhaltende Grausamkeit Francos während der letzten Jahre seines Regimes gelesen werden kann.

Diese Gegenüberstellung eines frühen und eines späten Werks ist Teil des Konzeptes der Werkschau im Kunsthaus und zieht sich durch die gesamte Ausstellung hindurch. Mirós besonderes Verhältnis zur Wand erklärt die Sorgfalt, mit der er seine Bildgründe in jeder Phase seiner künstlerischen Laufbahn auswählte und vorbereitete. Er arbeitete dabei vielfach in Serien. Der Ausstellungsrundgang veranschaulicht diese Praxis auch, indem Werke mit farblich ähnlichen Grundierungen oder solche, in denen gleichartige Alltagsmaterialien verarbeiten wurden, zu Gruppen gebündelt sind.

Die Mauer als Ausgangspunkt


Auffällig ist, dass Miró speziell in politisch bewegten Zeiten den Kontakt zur „Basis“ suchte, zur Materie, Kies und Sand in die Bilder einarbeitete und so bedrohliche Stimmungen erzeugte. 1937 schuf er sein erstes öffentliches Wandbild für den Pavillon der Spanischen Republik an der Weltausstellung in Paris, für welchen Picasso „Guernica“ malte. Wie Picassos Beitrag war auch Mirós „Der Schnitter“ (Le faucheur, verschollen) ein politisches Statement – nicht nur zum Spanischen Bürgerkrieg, sondern auch zu der weltweit zunehmend bedrohlichen politischen Lage. Eine Serie von Gemälden auf rauer Sackleinwand, die Miró zwei Jahre später schuf, widerspiegelt nach wie vor die herrschenden politischen Unruhen und unterstreicht zugleich die Vorliebe des Künstlers für starke Materialbetontheit und belebende Texturen. Der kühne Stil dieser Werke, in denen er der Malerei auf der nackten Wand vielleicht am nächsten kam, verrät aber auch die zunehmende Niedergeschlagenheit des Künstlers angesichts der verhängnisvollen politischen Ereignisse.

Nach dem Krieg knüpfte Miró wieder an frühere Werke an und zeichnete frei und ganz fein auf weiße oder graue Gründe und schuf Bilder, die wie Fresken wirken. Die strukturierten weißen Bildgründe ahmen erneut die visuelle Vielfalt der weißgetünchten Wände nach, die ihm aus seiner Jugend auf dem Bauernhof in Erinnerung waren und für ihn stets ein wichtiger Bezugspunkt darstellten. Für die grauen Bildgründe verwendete er Stroh, mit dem er die Fläche so aufraute, dass sie wie eine wunderschön verwitternde Wand wirkt.

Auch seine Vorliebe für ein gelängtes, extrem schmales Bildformat spiegelt Mirós Auseinandersetzung mit der Wand und verweist zugleich auf seine monumentalen Triptychen und späten Keramikfriese. Das verstörende Spätwerk, wie beispielsweise die Serie „Toiles brûlées“ (Verbrannte Leinwände) war eine inszenierte Zerstörung, ein Protest gegen die Kommerzialisierung der Kunst und ein Ausdruck seiner Forderung, die „Malerei zu ermorden“.

Die Mauer als Material ist für den Katalanen also zum Ausgangspunkt seines Bilderkosmos geworden. Die brillanten Werke aus geschütteter Farbe und bewusst gesetzten Flecken, weißgewaschenen Leinwänden, auch roher Jute und ungewöhnliche Materialien wie Pressspanplatten, Masonit, Sandpapier oder Teerpappe kann man im Kunsthaus Zürich noch bis zum 24. Januar bewundern.

 

Joan Miró: Mauer, Fries, Wandbild
Kunsthaus Zürich
Bis 24.1.2016
Di/Fr-So 10-18, Mi/Do 10-20
www.kunsthaus.ch