Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Karlheinz Pichler · 03. Apr 2018 · Ausstellung

Der dekonstruierte und genötigte Körper als Metapher – zu aktuellen Ausstellungen in Bozen, Meran, St. Gallen und Basel

Als das vom Berliner Architektenbüro KSV entworfene Museion Bozen vor zehn Jahren mit der Gruppnausstellung „Peripherer Blick und kollektiver Körper“ eröffnet wurde, sorgte ein gekreuzigter Frosch von Martin Kippenheuer („Zuerst die Füsse“) für einen Skandal ungeheuerlichen Ausmaßes. Eine wahre Flut an Leserbriefen mit Blasphemie-Vorwürfen ergoss sich über die Verantwortlichen, und auch die öffentliche Finanzierung des Museumsprojekts wurde in Frage gestellt. Selbst der Papst mischte sich in die Auseinandersetzung ein.

In der aktuellen Ausstellung „Body Check“, in der in einer Art Parallelparcours 60 Werke von Maria Lassnig und Martin Kippenberger präsentiert werden, geht Direktorin Letizia Ragaglia anlässlich des Jubiläums zusammen mit Gastkurator Veit Loers auf Konfrontationskurs mit der eigenen Geschichte des Hauses. Denn erneut ist ein Werkbeispiel aus Kippenbergers Serie „Fred the Frog“ zu sehen. Allerdings blieb der Skandal diesmal aus. Direktorin Ragaglia sagt denn auch: „Wir haben Frieden mit Kippenberger und mit Südtirol geschlossen, die Kunst hat triumphiert.“

Body Check

Es ist bereits Tradition, dass das Museion Bozen alljährlich einen externen Gastkurator mit einer Themenausstellung beauftragt. So waren in dieser Funktion bereits etwa Rein Wolfs oder Pierre Bal-Blanc, Mitglied des Kuratorenteams der Documenta 14, tätig. Veit Loers, der diesjährige Gastkurator, war unter anderem Direktor des Fridericianum in Kassel (1987 – 1995), des Museums Abteilberg Mönchengladbach (1995-2003) oder des Kunstraum Innsbrucks (2010 bis 2012).

Mit „Body Check“ hat Loers eine durchaus risikoreiche Gegenüberstellung angedacht: Kippenberger, der ewige Störenfried, der sein eigenes Leben zur Dauerperformance gemacht hat und dessen Umfeld ihm gleichermaßen als Atelier und als Bühne gedient hat, sollte abseits von Provokation aus einer neuen Perspektive beleuchtet werden. Dazu wurde ihm die 35 Jahre ältere, aber nicht weniger brisante Maria Lassnig gegenübergestellt. Gemälde, Zeichnungen, Videos und Installationen aus zwei Jahrzehnten, vorwiegend von den 1990er Jahren bis zur Jahrtausendwende, legen die Schnittstellen zwischen den beiden Persönlichkeiten brach. Obsessiver, introvertierter und feministisch geprägt bei Lassnig, grotesker und humorvoller bei Kippenberger.

Ausgehend von der Aufmerksamkeit der beiden Künstler für den Körper als individuelle und kollektive Leidenserfahrung, hat Loers eine durchaus plausible Konstellation geschaffen. Denn immer wieder sind frappierende Übereinstimmung in der Dekonstruktion des Körpers auszumachen. Obwohl aus unterschiedlichen Generationen stammend, stellen beide das Selbstbildnis in den Mittelpunkt ihres Schaffens. Der fragmentierte und vielfach verformte und genötigte Körper wird bei beiden Künstlern zur Metapher für soziale und psychische Konflikte. So wie sich die beiden Kunstschaffenden im realen Leben nie getroffen habe, werden auch die Arbeiten in einem ständigen Gegenüber präsentiert. Auch wenn der Betrachter solcherart von der Aufgabe des unentwegten Vergleichens enthoben scheint, legt sich die Seelenverwandtschaft zwischen Lassnig und Kippenberger wie ein sich lüftender Schleier über die Ausstellung.

Lassnig auch in den Kunstmuseum von St. Gallen und Basel

Der körperbezogenen Malerei von Maria Lassnig wird ab 5. Mai auch im Kunstmuseum St. Gallen eine große  Ausstellung gewidmet. In enger Zusammenarbeit mit der Maria Lassnig Stiftung in Wien und deren Vorstand Peter Pakesch entsteht für St.Gallen eine Ausstellung, die einen konzentrierten Einblick in die Entwicklung ihres malerischen Schaffens mit Beispielen aus allen Entwicklungsphasen umfasst. Ein Kern der Präsentation, die von Roland Wäspe kuratiert wird, besteht aus selten gezeigten Werken der Frühzeit, welche den Weg zum weltbekannten späteren Schaffen unter neuen Aspekten darlegen soll. Phantastische Bilder in der Tradition der Klassischen Moderne sind gemäß Mitteilung des Kunstmuseums ebenso zu sehen wie Werke, die Lassnig dem Informel zugeordnet hat. Ergänzt wird die Präsentation durch signifikante Leihgaben aus Privatbesitz.

Parallel zu St. Gallen zeigt das Kunstmuseum Basel im Kupferstichkabinett eine umfassende Präsentation des zeichnerischen Werks von Maria Lassnig. Auch in der Zeichnung wurde nicht das, was sie sah, sondern wie sie sich spürte, zum Bild. Ihre sensiblen Beobachtungen von Tieren und Menschen gehen weit über die Wiedergabe des rein Sichtbaren hinaus und enthalten das Wesentliche der jeweiligen Charaktere und spüren dem Einzigartigen im Gegenüber nach. Diese Zwiesprache mit innen und außen, mit Gefühlswelten und Realitäten, entwickelte Lassnig besonders anschaulich auf dem Papier. Die Zeichnung wird als intimes Medium zum Experimentierfeld spontan gesetzter Linien und Farbfelder.

Kunst Meran: Das Verhältnis zur Natur in der post-digitalen Gegenwart

Mit Helan Mirra (USA) und Gianni Pettena (I) präsentierte Kunst Meran im vergangenen Jahr zwei künstlerische Positionen, die sich mit der Landschaft sowie mit dem Verhältnis des Menschen zur Natur auseinandersetzten. Mit der aktuellen Ausstellung „Into the Wild“ knüpft Kuratorin Christiane Rekade an dieses Thema an und zieht den Diskurs in die „post-digitale“ Gegenwart weiter, in der die Natur als Bildschirmschoner vielfach vertrauter scheint als die reale Außenwelt.

Den Titel zur Ausstellung entlehnte sich Rekade vom gleichnamigen Spielfilm Sean Penns aus dem Jahre 2007, in welchem er die wahre Geschichte des aus einer wohlhabenden Familie stammenden US-Studenten Christopher McCandless nachzeichnete, der nach seinem Universitätsabschluss in die entlegene Wildnis Alaskas aufbrach, um dort ein „besseres, authentischeres“ Leben zu führen. Der Bus, in dem McCandless hauste und 1992 verhungert aufgefunden wurde, wird heute noch von unzähligen Touristen und Aussteigern aus aller Welt besucht.

In „Into the Wild“ nun stellt Redake eine kleine, gescannte Auswahl aus dem über 6000 Pflanzen umfassenden Herbarium des früheren Kurarztes Franz Tappeiner (1816-1902), nach dem der berühmte botanische Spazierweg Merans benannt ist, voran. Die Werke der fünf jungen Kunstschaffenden, die sich im Anschluss auf drei Stockwerken des Hauses verteilen, beschäftigen sich zum einen mit der ungebändigten Wildnis, zum anderen mit der vom Mensch gezähmten „designten“ Natur.

Eindringlich dabei die wandfüllende Video-Projektion „Parallel Worlds“ der 1986 geborenen Meraner Künstlerin Linda Jasmin Mayer. Sie begleitete 27 KünstlerInnen, AutorInnen und WissenschaftlerInnen auf einer Expedition ins Arktische Meer. In ihrer Arbeit stellt sie die Ursprünglichkeit der gewaltigen Natur den inneren Erfahrungswerten der Teilnehmer gegenüber. Anhand der archaischen Gletscherlandschaft wird evident, „dass in unserer Wahrnehmung plötzlich weder die Vergangenheit noch die Zukunft eine große Bedeutung hatte. Was zählte, war hingegen der Augenblick.“ (Mayer)

Stefano Pedrini (* 1980 in Sondrio) transformiert in einer Serie von Acryl-auf-Papier-Arbeiten wie etwa „Palmeti“ (2014) grafische Elemente, die er aus der Natur ableitet, malerisch in dichte, ornamentale Strukturen. Iterative Anordnungen sind auch die Basis der Werke der argentinischen Künstlern Alek O. In einem Wald bei Como sammelte sie Blätter, trocknete sie und setzte sie als ordnende Strukturen für ihre Wandinstallation „L'impero delle luci“ (2017-2018) ein. Natur, wie man sie über das Internet bestellen kann, zeigt die aus Zürich stammende Gina Folly. Mit ihrer Werkgruppe „Unfinished Business (Ling Zhi) I-VI“, einer Reihe von Pilzkolonien, holt sie sprichwörtlich die „heilende Natur“ in den Kunstraum, hat der „Pilz der Unsterblichkeit“ (Ling Zhi) in der Traditionellen Chinesischen Medizin doch eine ähnliche Funktion wie ein Tonikum. Zu einem unfreiwilligen Nachruf auf das letzte männliche weiße „Nördliche Breitmaulnashorn“ ist das berührende Video-Porträt von Luca Trevisani geworden. Im Film zeigt der Künstler aus Verona, wie „Sudan“, so der Name des Nashorns, von paramilitärischen Einheiten bewacht wird, obwohl es zu alt ist, um sich noch fortzupflanzen. Anfang März dieses Jahres musste der 45-jährige Bulle krankheitsbedingt eingeschläfert werden.

Martin Kippenberger, Maria Lassnig: Body Check
Museion Bozen
Kurator: Veit Loers
Bis 6.5.
Di-So 10-18, Do 10-22
www.museion.it

Into the Wild: Gina Folly, Linda Jasmin Mayer,
Alek O., Stefano Pedrini, Luca Trevisani
Kuratorin: Christiane Rekade
Kunst Meran
Bis 8.4.2018
Di-Sa 10-18, So u. Fe 11-18
www.kunstmeranoarte.org

Maria Lassnig: Be-Ziehungen
Kunstmuseum St. Gallen
Kurator: Roland Wäspe
5.5.-23.9.
Di-So 10-17, Mi 10-20
www.kunstmuseumsg.ch

Maria Lassnig: Zwiegespräche
Kunstmuseum Basel, Neubau
Kuratorin: Anita Haldemann
12.05.-26.8.
Di-Mi 10-18, Do10-20, Fr-So 10-18
www.kunstmuseumbasel.ch