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Karlheinz Pichler · 25. Dez 2014 · Ausstellung

Das Fatale von Butter an der Sonne – Gary Kuehn im Kunstmuseum Vaduz

Im Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz ist derzeit eine beeindruckende Ausstellung zum Schaffen des amerikanischen Künstlers Gary Kuehn zu sehen. Kuehn ist einer der interessantesten Vertreter der postminimalistischen Bildhauerei, dessen Œuvre in der Breite viel zu wenig bekannt ist. Die Werkschau im Vaduzer Städtle ist die erste umfassende Retrospektive dieses 1939 in Plainfield, New Jersey, geborenen und heute in New York lebenden und arbeitenden Künstlers.

Im Jahre 1966, als Gary Kuehn erstmals seine Werkgruppe der „Melt Pieces“ in der legendären Bianchini Galerie in New York präsentierte, schrieb er in sein Skizzenbuch: „Butter in der Sonne. Was könnte fataler sein?“ Auch wenn dieser Satz respektive diese Frage zunächst lakonisch anmutet, enthält er doch im Kern ein zentrales Grundprinzip Kuehn’scher Überlegungen. Denn der im Big Apple lebende Bildhauer setzt sich mit prozessualen Vorgängen auseinander. Mit Veränderungen. Mit Übergängen. Etwa wenn sich Festes verflüssigt, oder wenn natürlich Vorhandenes domestiziert und in Formen gezwängt wird. Es sind die Gegensätze, die ihn interessieren: Starr und flexibel, hart und weich, stark und schwach. Wobei Kuehn mit unterschiedlichen Materialien (Teer, Fiberglas, Latex, Metall, Holz) und einer unglaublichen Breite an Gestaltungsmöglichkeiten experimentiert. Verformungen und Veränderungen werden, bei unangetastet bleibender Grundform, sichtbar und bewirken ein narratives, metaphorisches Moment.

Die Minimal Art schmilzt dahin


Dazu die Metapher von der Butter: Der Quader beginnt zu schmelzen, er verliert seine Gestalt, seine Strenge, der Körper verwandelt sich in eine zähflüssige Masse. Der US-Künstler aber lässt nicht nur die Butter schmelzen, auf seinem Denktablett schmilzt die ganze Minimal Art dahin, einschließlich ihres autoritären, diktionsgebundenen Ausdrucks. Er macht auf Grundfiguren wie Kreis, Quadrat oder Pyramide erst dadurch aufmerksam, dass er ihre harmonische Form stört. Die Geometrie wird bei Gary Kuehn zu einem fast menschlichen Zug und die ursprünglich klar gesetzte Geste sich selbst überlassen.

Bereits in den Sechzigerjahren stellte er sich mit seinen Arbeiten also gegen die rigiden Formensysteme des Minimalismus. Und er greift eine wesentliche Frage der menschlichen Existenz auf, nämlich die Frage von Bregenzung und Freiheit. Im Jahr 2000 hält Gary Kuehn fest, dass sein Werk, „irgendwo zwischen Sex und Geometrie“ angesiedelt sei. Von dieser Notation leitet sich denn auch der Ausstellungstitel in Vaduz ab: „Between Sex and Geometry“.

Dass er nicht nur physikalische Vorgänge sichtbar macht, sondern gleichzeitig auch psychische Bereiche anspricht und emotionale Aspekte berücksichtigt, macht seine Skulpturen auf gewisse Weise unauslotbar. Er arbeitet auch immer wieder mit leuchtenden Farben, die unmittelbar auf den Betrachter wirken und mal ein bestimmtes, dann wieder ein diffuseres Gefühlserlebnis auslösen. Prägend im Werk Kuehns ist die enge Verbindung von Form und Inhalt.

Schwerpunkt auf dem Frühwerk


Die Retrospektive in Vaduz ist eine Eigenproduktion des Kunstmuseums Liechtenstein und wird von Christiane Meyer-Stoll kuratiert. Gelistet sind Werke aus fünf Jahrzehnten, wobei Meyer-Stoll einen klaren Schwerpunkt auf die frühen Werke legt. Beispielsweise wird in einem Raum des Hauses Kuehns Ausstellung von 1971 in der Neuen Galerie Aachen rekonstruiert. Die Schau zeigt insgesamt eindrücklich, wie Kuehn die Kunst seiner Zeit reflektiert hat und bis heute mit Form und Material experimentiert.

Insgesamt sind über 120 Werke zu sehen, darunter Gemälde und Skulpturen aus den Werkgruppen der „Black Paintings“, des „Gesture Projects“, der „Berlin Series“, der „Branch Pieces“, „Melt Pieces“, „Pedestal Pieces“, „Twist Pieces“ und ein weites Spektrum des zeichnerischen Œuvres, von experimentellen Zeichnungen wie den „Drill“ oder „Stencil Drawings“ bis hin zu Zeichnungen seiner Skulpturen. Ein Leitgedanke der Ausstellung ist die enge Verknüpfung von Malerei und Skulptur in Kuehns Werk. So zeugen etwa seine kontrastreichen „Black Paintings“ sowohl in ihrem Farbauftrag als auch in ihrer Thematisierung des Bildrandes von der Hand des Bildhauers, wohingegen seine Skulpturen von malerischen und prozessualen Ideen durchdrungen sind.

Nicht getriebene Triebkraft


In einem Text des umfassenden und informativen Katalogwerkes, das anlässlich der Ausstellung herausgegeben wurde, zitiert Kuratorin Meyer-Stoll den Künstler: „Meine Arbeit entwickelte sich aus meiner Erfahrung und meinem Wissen um Bautechniken; die metaphorischen Möglichkeiten von Materialien und ihre gemeinsame Verwendung brachten den Durchbruch. Indem ich es zuließ, dass sich die (inhärent expressiven) Materialien und Techniken behaupten konnten, gelang es mir, mich von Entscheidungsprozessen fernzuhalten und so unter dem Strich zu einem Initiator, zu einer ‚nicht getriebenen Triebkraft' zu werden.“

 

Gary Kuehn: „Between Sex and Geometry“ 
Kunstmuseum Liechtenstein
Bis 25.1.2015
Di-So 10-17, Do 10-20
www.kunstmuseum.li