Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Karlheinz Pichler · 01. Sep 2015 · Ausstellung

Der Raster als struktureller Baustoff der Welt – Gerold Tagwerker im Kunstmuseum Appenzell und in der Dornbirner Galerie C.Art

Der 1965 in Feldkirch geborene und heute in Wien lebende und arbeitende Künstler Gerold Tagwerker setzt für seine zwei- und dreidimensionalen Arbeiten vor allem auf alltägliche und industriell vorgefertigte Materialien wie etwa Spiegel, Gitterroste, Leuchtstoffröhren, Aluminiumrohre oder Spanplatten. Aber auch die Fotografie spielt bei ihm werkstrategisch eine wichtige Rolle. Anhand von vielfach modular aufgebauten Werkkomplexen reflektiert er über die Raster (Grids) von Architekturen, Stadtbildern sowie der menschlichen Existenz und dekodiert gleichermaßen die Strukturen, aus denen die Welt gebaut ist.

In den vergangenen Jahren hat sich der aus Feldkirch stammende Künstler Gerold Tagwerker im Ländle ziemlich rar gemacht. Umso mehr hat er sich mit internationalen Ausstellungen wie etwa in Chicago, Barcelona, Brüssel, Amsterdam, Wien, Hamburg oder München auf breiterer Ebene ins Blickfeld geschoben. Es ist das Verdienst der Galerie C.Art, dass es seit Längerem nun wieder auch für Vorarlberger Kunstinteressierte vor Ort die Möglichkeit eines größeren Einblicks in sein Schaffen gibt. Unter dem Titel „mirror.zeroXV“ zeigt die Dornbirner Kunsteinrichtung einen Querschnitt an Spiegelarbeiten und –objekten, die zwischen 2007 und 2015 entstanden sind.

Dem nicht genug, widmet im grenznahen Ausland das Kunstmuseum Appenzell mit „_grids.zeroXV“ dem Künstler zudem die erste monografische Ausstellung in der Schweiz. Konzentriert sich die Galerie C.Art mit den Spiegelarbeiten auf einen ganz speziellen Ausschnitt seines Schaffens, so ist die Tagwerker-Schau in Appenzell thematisch wesentlich breiter angelegt, obwohl insgesamt nur 19 Arbeiten aus vierzehn Schaffensjahren zu sehen sind. Im Mittelpunkt der zehn kleinen bis mittelgroßen Räume in dem von Gigon und Guyer entworfenen Museum in Appenzell, das sich selbst wie ein skulpturaler Solitär in die Landschaft schmiegt, stehen mehrheitlich dreidimensionale Arbeiten sowie Lichtinstallationen, ergänzt durch fotografische Werke.

Konstruktives Kalkül in existenzieller Erweiterung


Gerold Tagwerker gehört zu jenen Kunstschaffenden, die auf die Tradition des Konstruktivismus zurückgreifen, dessen kalkulierte und reduzierte Formalsprache jedoch durch existentielle respektive narrative Impulse anreichern. So stellt auch bei ihm der geometrische Raster ein immer wiederkehrendes Bild- und Objekt-Element dar. „Die Idee einer Struktur, aus der die Welt, gleich ob ästhetisch oder real, gebaut sein könnte, bildet einen wesentlichen formalen wie auch inhaltlichen Bezugspunkt“, betont Kurator Roland Scotti. Mit seinen Werken bringt Tagwerker jedenfalls architektonische und ästhetische Strukturen, aber auch gesellschaftliche und politische Muster in Wechselwirkungen.

Im Gigon-Guyer-Bau, der selbst ein herausragendes museales Raster- oder Modulbeispiel der jüngeren Architekturgeschichte ist, werden die Arbeiten von Tagwerker in einen spannungsvollen Dialog zu den einzelnen Kabinetten, aber auch zur schindelartigen Außenhaut des monolithisch erscheinenden Gebäudes gesetzt.

Der Ausstellungsrundgang im Kunstmuseum Appenzell beginnt bereits im Foyer mit einem „scan.portrait“. Das armierte grünliche Glas vor einer Spiegelfläche in einem Metallrahmen wirkt teils banal, teils poetisch und wirft, etwa auf digitale Überwachungsmechanismen verweisend, ein gerastertes, unscharfes Spiegelbild des Betrachters zurück. Aus seitlichem Blickwinkel reflektiert die Arbeit pointilistisch aufgelöste Fragmente des Interieurs oder Landschaftsausschnitte. „Malerei ohne Pinsel und in jedem Augenblick anders“, nennt es Kurator Scotti.

Motiv des Raumteilers


Eine besonders spannende Arbeit füllt mit „mirror.paravents“ den zweiten Ausstellungsraum. Hier flechtet der Künstler das Motiv des Raumteilers ein. Es ist ein Moiré-Labyrinth, bestehend aus acht Standspiegeln und Lochblechen, angeordnet in einem logischen Raster. Je nach Standpunkt ergeben sich mal nüchterne, mal psychedelische Bildeindrücke. Scotti dazu: „Der Alias-Effekt, der im menschlichen Auge aufgrund seiner ‚fehlerhaften‘ Konstruktion unmittelbar eintritt, wenn unterschiedliche (Punkt-) Raster miteinander kombiniert werden, ist notwendig, um noch nicht gesehene Phänomene zu erschaffen.“ Zudem stellen die Spiegel auch einen Bezug zum Körper des Betrachters her, während die unterschiedlichen Lochgrößen verschieden starke Moiré-Effekte hervorrufen.

Nach weiteren Räumen mit Spiegelobjekten, Wandarbeiten und Lichtinstallation folgen in Raum sechs zwei klassisch anmutende Skulpturen. Eine ist aus Holz, die andere aus poliertem Stahl. Sie tragen den Titel „Alexander“ auf sich und referenzieren das berühmte Vorbild Alexander Rodtschenko. Sie könnten aber auch einen Schwank auf Ikea- und sonstige Fertigteilmöbelhersteller versinnbildlichen.

Die größte Skulptur Tagwerkers steht im letzten Raum. Eigentlich ist es eine Doppelskulptur. Bei den sogenannten „johnson.twins“ handelt es sich um eine maßstabsgetreue Re-Inszenierung der von den Architekten Philip Johnson und John Burge in Madrid erbauten 144 Meter hohen „Twintower“, die die „Puerta de Europa“ symbolisieren. Das Tor Europas trägt im Original auf dem rechten Turm den Schriftzug einer spanischen Bank, auf dem linken jenen einer spanischen Immobilienfirma. Im Maßstab des Künstlers werden daraus ästhetisch vollkommene Käfige in Schräglage.

Es ist frappant, zu beobachten, mit welcher Konstanz und Konsequenz Gerold Tagwerker seine Formalsprache durchexerziert. Aber keineswegs monoton und langweilig, sondern immer wieder einzelne Module seines künstlerischen Sprachkanons variierend und neu definierend.

Parallel zur Ausstellung produziert das Kunstmuseum Appenzell übrigens einen reich bebilderten Katalog mit Essays verschiedener AutorInnen, die aus unterschiedlichen Gesichtspunkten das Werk Tagwerkers beleuchten. Die Publikation erscheint im Göttinger Steidl Verlag und wird am 11. September um 18 Uhr offiziell im Kunstmuseum Appenzell präsentiert.

 

Gerold Tagwerker
„_grids.zeroXV“
Kunstmuseum Appenzell
Bis 18. Oktober
Di-Fr 10-12 u. 14-17, Sa/So 11-17
11.9., 18.00: Präsentation des Ausstellungskataloges
www.kunstmuseumappenzell.ch

Gerold Tagwerker
„mirror.zeroXV“

Galerie C.Art, Dornbirn
Bis 26. September
Di-Fr 9-12 u. 15-18, Sa 10-12
www.c-art.at