Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Karlheinz Pichler · 31. Aug 2014 · Ausstellung

Aus dem Blickwinkel des Künstlers - Edgar Leissing kuratiert die Jubiläumsausstellung „Ansichten XX“ im Dornbirner QuadrArt

In dem nach einem Kuratorenkonzept geführten Dornbirner Kunstraum „QuadrArt“ ist gerade die 20. der mit „Ansichten“ titulierten Ausstellungen angelaufen. Als Kurator für die Jubiläumsausstellung haben die Betreiber des auf zeitgemäße Kunst fokussierten Hauses, Uta Belina Waeger und Erhard Witzel, mit dem Bregenzer Edgar Leissing erstmals einen Künstler ausgewählt. Aus diesem Grund tragen die „Ansichten XX“ auch den Untertitel „The Artist’s Eye“.

Leissing ist es auch, der das Konzept des QuadrArts nun erstmals auf den Kopf stellt. Er präsentiert nicht ein Werk aus dem Kunstfundus des Hauses in Opposition zu Statements, die sich außerhalb der Sammlung befinden, sondern geht von einer ihm selbst geschaffenen Arbeit aus, die er zu rund 70 Werken, die er aus der Sammlung Witzel herausgepickt hat, in Relation stellt. Leissing hat sich zu dieser Konzeptumdrehung von der Londoner National Gallery inspirieren lassen. Dort wird beispielsweise eine Arbeit von Francis Bacon oder Lucien Freud als Ausgangspunkt gewählt, um diese mit Werken aus dem Eigenbesitz in einen Kontext zu setzen.

Rotzrinnen Tiefenströmung

Edgar Leissing ist dafür bekannt, dass er in allen möglichen Bilderrevieren wildert und solcherart Gefundenes oder Geklautes zu eigenen Reservoirs zusammenführt, aus denen er dann seine figurativen Bildkompositionen nach Lust und Laune speist. In der Regel fusioniert er zwei Menschenkörper, um daraus eine optisch kuriose, gegen alle Regeln der Natur und des gewohnten Sehens verstoßende neue Figur erstehen zu lassen. Für „Ansichten XX“ hat er mit „Rotzrinnen Tiefenströmung“ ein Ölbild ausgewählt, das eine kauernde Männerfigur darstellt, aus deren Rücken sich ein zweiter Körper mit einem in die Luft ragenden Hintern herausentwickelt. Der Bildtitel steht dabei in keinem Zusammenhang mit dem Bild selber. So wie der Künstler Fotografien, Zeitungsausschnitte und bebilderte Magazine sammelt, so hortet er auch Headlines, die er ausschneidet, in Schachteln. So wie er aus zwei Menschen einen einzelnen bastelt, so setzt er auch seine Bildtitel aus zwei oder mehreren Headlines zusammen. Mitunter ergeben sich aus dieser puzzleartigen Zusammenstellung überaus ironische und komische Wortfindungen.

Hinter die Kulissen schauen

Mit „Rotzrinnen Tiefenströmung“ im Hinterkopf begab sich Leissing also in das Kunstdepot Witzels, um interessante Arbeiten für seine Ausstellung auszuwählen. Es sei für ihn überaus spannend gewesen, in den rund 2200 Bildern und Objekten zu stöbern. Ihn interessiere, den Blick hinter die Kulissen zu werfen, zu erfahren, was denn genau hinter einer Sammlung und dem Sammelnden steckt. Dem Bregenzer Künstler wurde schnell gewahr, dass im Kunstarchiv von Witzel das Konstruktive, das Reduzierte, das Nüchterne und die klare Formalsprache dominieren. Dennoch haben ihn, in dessen Werken es von Anzüglichkeiten und Erotik nur so knistert, 70 Werke besonders angesprochen, die nun die Wände der Ausstellungsräume des QuadrArts füllen.

Unter den vertretenen KünstlerInnen finden sich viele bekannte Namen. So etwa Julian Opie, Mel Ramos, Andy Warhol, Stefanie Schneider, Tom Wesselmann, Alberto Giaccometti, Werner Berges, Dirk Brömmel, Käthe Kollwitz, Irina Polin, Johan Lorbeer oder C.O.Paeffgen. Und auch die Vorarlberger Szene ist mit Markus Grabher, Conny Hefel, Gert Hoor, Ch. Lingg, U.B. Waeger und Albrecht Zauner relativ stark vertreten.

Körper und Rhythmik

Wie in seiner Malerei hat sich Leissing in seiner Auswahl auf die Darstellung von rhythmischer Bewegung und der menschlichen Figur oder besser des Menschen schlechthin konzentriert. Julian Opies „Suzanne Walking“ zum Beispiel resultiert aus Bewegungsstudien, die der 1958 in London geborene Künstler an real existierenden Personen vornahm, mit der Videokamera festhielt und durch präzises Nachzeichnen am Computer auf diejenigen Charakteristika reduzierte, die für Haltung, Pose und Gang der gefilmten Personen typisch sind. Opie spricht mit der Schematisierung individueller Merkmale und alltäglicher Bewegungen zu piktogrammähnlichen Darstellungen nicht nur ein geschultes Kunstpublikum an. Er wendet sich gerade mit seinen vielen Arbeiten im öffentlichen Raum auch an ein breites Feld von Rezipienten, die dadurch gleichsam im Alltäglichen en passant die Möglichkeit erhalten, in den Genuss eines ästhetischen Erlebnisses zu kommen.

Die 1971 in Moskau geborene Irina Polin wiederum, die seit 1995 in der Schweiz lebt und arbeitet, ist mit hintergründigen, sinnlich-erotischen und in jedem Fall irritierenden Fotos von Püppchen, die in eindeutigen Stellungen inszeniert wurden, bekannt geworden, von denen auch eines in Dornbirn zu sehen ist.

Oder vom deutschen Fotografen Dirk Brömmels ist eine Überblendungsfotografie aus der Serie „Villa Tugendhat“ zu sehen. Motiv dieser Serie ist jene von Mies van der Rohe in Brünn erbaute Fabrikantenvilla „Tugendhat“, die zu einer Architektur-Ikone geworden ist. Brömmels Trick scheint genauso einfach wie effektvoll. Er montierte historische Schwarz-weiß-Aufnahmen der ehemaligen Bewohner auf aktuelle Farbaufnahmen – und zwar passgenau, in Millimeterarbeit. Dass ein Raum seine Bewohner nicht los wird, dass da immer noch Schemen und Schatten sind, wird auf gespenstische Weise augenfällig.

Inszenierte Träume in Polaroid

Ebenfalls in der Ausstellung präsent ist eine typische Arbeit von Stefanie Schneider, die an der Essener Folkwang-Schule Fotografie studiert hat. Schneider hat 1996 in Los Angeles am Sunset Boulevard drei Kisten mit alten Polaroid-Filmen erstanden. Seither erkennt man ihre Werke nicht nur durch das für Polaroids so typische, quadratische Format, sondern auch an einer geradezu surrealen Farbigkeit. Wie genau ein fertiges „Schneider Werk“ aussieht, bleibt bis zuletzt im Ungewissen. Denn die veralteten chemischen Substanzen verhalten sich bei der Entwicklung völlig unvorhersehbar. So bleibt ihren Arbeiten immer ein Moment des Spontanen eingeschrieben. Alles andere als dem Zufall überlassen sind dagegen die skurrilen, fantasievollen Inszenierungen. Kostümierung und Szenerie arbeitet Schneider bis in die kleinsten Details aus.

Balance und Gleichgewicht

Wie in seinen Gemälden spielt Balance, Gleichgewicht und Statik auch beim Hängekonzept von Edgar Leissing eine zentrale Rolle. Zurückhaltung, wie etwa bei der Arbeit von Käthe Kollwitz, für welche der Kurator nur noch eine zweite kleine Zeichnung von Berengar Laurer auf einer ganzen Wand zulässt, steht neben dichter Fülle, wie etwa bei jener Wand, bei der sich über dem in die Luft ragenden Arsch seiner eigenen Arbeit ein ganzer Reigen von Werken auftürmt.

 

Ansichten XX: The Artist’s Eye
Kuratiert von Edgar Leissing
QuadrArt Dornbirn
Bis 1.11.2014
Bis 18.9. Do/Fr/Sa 17-19,
danach jederzeit nach Vereinbarung
www.quadrart-dornbirn.com/