Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Mirjam Steinbock · 05. Nov 2016 · Ausstellung

An den Rändern des Lichts – Die Vorarlberger Autorin Gabriele Bösch präsentiert in der Feldkircher Wexelstube erstmals Fotografien und Zeichnungen

„Fingerhundszahngras und die Stille dazwischen“ nennt die Schriftstellerin ihre poetisch angelegte Ausstellung, zu deren Vernissage viele Menschen kamen. „Das ist ja relativ groß!“, hörte man eine Dame sagen, die offensichtlich zu jenen geladenen Gästen gehört, die zum ersten Mal die Wexelstube betreten. Von außen sieht man nicht, wie viel Raum dieser geschmackvoll eingerichtete Ort bietet. Die Atmosphäre ist warm, herzlich und sehr einladend. Ein vorzüglicher Boden, den die Initiatorinnen Brigitta Soraperra und Janine Köchli bieten, um eine Spielwiese für Menschen zu öffnen, die experimentieren und ihre Projekte an die Öffentlichkeit bringen möchten.

Es braucht viel Fingerspitzengefühl und bedarf einer großen Liebe zur Kunst, einen Raum für Begeisterung zu öffnen und ihn so zu bespielen, dass die Begeisterung sich auf die Besuchenden ausbreitet, in gute Gespräche führt und sinnliche Verbindungen herstellt. Brigitta Soraperra als Theatermacherin und passionierte Netzwerkerin hat dieses Gespür und in Verbindung mit Janine Köchli, Schweizer Kunsthandwerkerin und Sozialarbeiterin bilden beide eine perfekte Symbiose, um besondere Talente zu entdecken und entsprechend zu präsentieren. Wie gut sich das auf eine Öffentlichkeit transportiert, zeigt die aktuelle Ausstellung von Gabriele Bösch. Dass die Schriftstellerin exzellent fotografiert und so filigran wie präzise zeichnet, war bis dahin nur einem Kreis von Facebook-Freunden bekannt, denen sie regelmäßig ihre Pflanzenaufnahmen zeigte. Das fand großen Anklang. Die Fotos ziehen einen nämlich sofort hinein in eine Szenerie. Und ebenso anziehend wirken die Zeichnungen kleinster Pflanzenteile und beflügelter Samen, die eine Blume nach ihrem Verwelken aussendet, um sich an einem anderen Ort zu vermehren.

Das Fingerhundszahngras gehört dazu. Der Name ist nicht unbedingt geläufig, aber dies ist keine jener originellen Wortschöpfungen, die die Autorin oft aus ihren Beobachtungen heraus kreiert, um ihrer ganz eigenen Wahrnehmung Sprache zu verleihen. Das Fingerhundszahngras ist ein sogenanntes Unkraut, das aber so dargestellt kaum wiederzuerkennen ist. Im Schaukasten vor der Wexelstube findet man die Pflanze aufgereiht in kleinen Vasen und erinnert sich. Gabriele Bösch gibt ihnen in ihren Zeichnungen ein geometrisches Muster. Die Samenstengel gleichen Spiralen und das in sich Verdrehte arbeitet die Künstlerin sehr detailliert heraus. Sie ordnet sie wie einer unsichtbaren Formel folgend an. Fast mag man den Lufthauch spüren, der sie im Wind einander zuneigt. Gabriele Bösch zeichnet das Fingerhundszahngras sowohl mit einer Spitzfeder als auch mit Stenographie- und Breitfeder und untersucht geradezu wissenschaftlich, welche Wirkung die Pflanzen in dieser Transformation entfalten. Dafür verwendet sie Eisengallustinte. Nussbaumtinte fügt sie bei Zeichnungen wie der des „Geum urbanum“ zu, besser bekannt als Nelkenwurz. Die Kombination beider Tinten wirkt selbstverständlich. Es duftet beinahe nach Baumrinde und jener roten Erde, die für Paliano so typisch ist. In Paliano, einer Residenz bei Rom, die Vorarlberger Kunstschaffenden regelmäßig für Arbeitsaufenthalte zur Verfügung gestellt wird, hielt sich auch Gabriele Bösch für einen Monat auf. Dort schrieb sie ein Tagebuch und machte viele sehr berührende Fotografien, in die sie den Zauber des Moments zu legen vermochte. Zwei der Fotografien sind in der Ausstellung präsentiert. Sie entstanden ganz in der Früh, noch vor den ersten Sonnenstrahlen. „Ich fotografiere meistens an den Ränder des Lichts“, sagt die Künstlerin.

Ihre in verschiedenen Größen präsentierten Aufnahmen, in denen sie in die Pflanze einzutauchen scheint, hat sie auf Holzplatten kaschiert und so bleibt der Blick auf ein kleines Detail uneingeschränkt und darf sich ausweiten. Ihre zarten Zeichnungen auf Papier hingegen sind in jeweils schlichte schwarze Holzrahmen gefasst und scheinen darin zu schweben. Man läuft diese langgezogene Galerie entlang und betrachtet eigentlich sehr bekannte aber in dieser Kleinteiligkeit noch nie wahrgenommene Naturelemente, die Gabriele Bösch wie meditativ zu wiederholen scheint. In Reihen und Spalten. Jedes Teil mutet gleich an und doch entblättert sich das Individuelle und scheint dann in eine Schwingung zu geraten, welche die Künstlerin in manchen Zeichnungen mit Verdichtungen und Drehungen versieht. Piniennadeln, ganz linear dargestellt, ohne dass je ein Lineal zum Einsatz kam, beginnen bei der ungefähr zehnten Wiederholung zu tanzen. Das Ganze könnte auch eine gezeichnete Choreographie sein.

Dass Gabriele Bösch eine Meisterin der Konzentration und genauen Wahrnehmung ist, transportiert sich über ihre Werke sofort. Stundenlang sei sie mit den Zeichnungen beschäftigt, sagt sie. Diese seien aus einem Guss, sie setze die Feder nie ab. Währenddessen höre sie Gregorianische Choräle und sobald sie ihre Kopfhörer aufsetze, sei dies das Zeichen für ihre Familie, sie nicht zu stören oder gar den Raum zu betreten. „Nur meine Feder und ich“, sagt die Künstlerin, die außerdem eine faszinierende Geschichtenerzählerin ist. Sie berichtet von ihrer Zeichenlehrerin und wie viel Wert sie auf die Übung des Wiederholens legte und man wägt sich mit ihr gemeinsam in eben diesem Unterricht. Sie sagt, das Wiederholen sei ihr immer leicht gefallen, da habe sie viel Geduld. Und dann erzählt sie, dass sie für die Fotos mit ihrer Kamera tief in die Pflanzen eintauche. Auch hier steckt man den Kopf mit hinein in die ballonartige Pusteblume.

Faszinierend ist, dass sich die genaue und langsame Betrachtung der Künstlerin auf einen selbst überträgt und man eine gewisse Zurückhaltung und Vorsicht im Beobachten einnimmt. Das schnelle Werten hat hier keinen Platz. „Nur mit der Betrachtung kommen wir mit den Dingen in Berührung“, sagt Gabriele Bösch und beschreibt auch, dass sie versuche, hörend zu fotografieren. Und spätestens hier eröffnet sich der Titel der Ausstellung: die Stille dazwischen. Es sind letztlich die Zwischenräume, die die Schönheit der Dinge erst zum Klingen bringen und sie offenbaren. Diese Ausstellung jedenfalls ist gefüllt von Schönheit und von einer liebevollen Betrachtung der Natur. Und von einer Zeichensprache, die zartfühlender und melodischer nicht sein könnte.

 

Ausstellung „Fingerhundszahngras und die Stile dazwischen“ im Rahmen der POTENTIALe Feldkirch geöffnet am:
Sonntag 6. November, 10 – 18 Uhr
Freitag, 11. November, 14 – 20 Uhr
Samstag, 12. November, 14 – 22 Uhr

Sonntag, 13. November, 10 – 18 Uhr

www.wexelstube.at