Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Karlheinz Pichler · 31. Dez 2013 · Ausstellung

„Glaubst du, dass er nicht wusste, was er tat ...?“ – Dani Gal in der Kunst Halle St. Gallen

Der 1975 in Jerusalem geborene Künstler Dani Gal bezieht sich in seinen Arbeiten oft auf bereits vorhandene Dokumentationen und historische Grundlagen, die er manipuliert oder auf Basis seiner Recherchen künstlerisch rekonstruiert und fiktiv weiterentwickelt. In der Kunst Halle St. Gallen sind derzeit unter dem Titel „Do you suppose he didn't know what he was doing, or knew what he was doing and didn't want anyone to know?“ fünf markante Werkbeispiele zu sehen, die gleichermaßen schwierig wie interessant sind.

Inhaltlich dreht sich das Œuvre des heute in Berlin lebenden und arbeitenden israelischen Künstlers Dani Gal um Geschichte, Geschichtsschreibung und damit verbundenen Auswahl- und Ausschussmechanismen. Dabei greift er zur Veranschaulichung neben konventionellen Text- und Bildanalysen immer wieder auf Sprache und Ton zurück. „Ihm ist es ein Anliegen, gemachte Meinungen zu historischen Geschehnissen zu relativieren oder neue Impulse zu geben,“ sagt Giovanni Carmine, der Direktor der Kunst Halle Sankt Gallen. Gal selber konstatierte einmal: „Die Frage der Authentizität stellt sich, wenn man sich zu fragen beginnt, wie Information weitergegeben wird und wann dokumentierte Ereignisse in die verschiedenen Medien gelangen." (2009)

Text, Ton und Bild


Medienkünstler Gal hat seine Ausstellung in St. Gallen dramaturgisch so angelegt, dass die inhaltliche Schwere der Beiträge sukzessive ansteigt. Anhand der Arbeit „i.e. (screensaver version x2), 2013“ etwa thematisiert er im ersten Raum den Gebrauch und die Interpretation von Sprache. Wobei „i.e.“ für „id est“ steht und dem deutschen „d.h.“ entspricht. Der Israeli wirft hier via Doppelprojektionen immer jeweils zwei Sätze aus dem Oxford Advanced Dictionary, die nach einem Zufallsprinzip ausgewählt wurden, an die Wand. Das Oxford Advanced Dictionary veranschaulicht die Verwendungsmöglichkeiten eines Wortes anhand von Beispielsätzen. Durch Gals wechselnde Kombinationen entstehen endlos viele Narrationen, die teils ins Absurde gehen.

Ebenfalls im ersten Raum sind 20 Frottagen (Abriebe) der Grabinschrift eines Trommlers der britischen Kolonialarmee, der 1917 auf dem Ölberg in Jerusalem begraben wurde, zu sehen. Die einzelnen Abriebe lassen nur immer bestimmte Inschriftsfragmente erkennen. In der Hängung folgen sie dem „immer schneller werdenden Rhythmus der Swiss Army Triplet, der als Grundlage für Musikstücke verschiedenster Stile von Metal bis Jazz verwendet wird.“ (Begleittext)

In der Mitte dieses ersten Saales ist mit „Gespräche v. John Cage/Morton Feldman, Radio Happenings I-V, 16. Januar 1967, 2013“ auch eine Toninstallation eingerichtet. Schon beim Betreten des Raumes wird dem Besucher von hier aus der Titel der Ausstellung „Do you suppose he didn't know what he was doing, or knew what he was doing and didn't want anyone to know?“ akkustisch entgegengeworfen. Ein Satz, der auch im letzten Raum beim Film „Wie aus der Ferne (As from Afar)“ eine gewichtige Rolle spielt. Die Soundinstallation selber geht von der Transkription eines Gespräches zwischen den Pionieren der elektronischen Kunstmusik John Cage und Morton Feldmann über Edgar Varese in den 1960er-Jahren aus. Wobei der von Gal verwendete Ausschnitt zwei Sätze referenziert sowie dazwischen den Vermerk, dass 15 Sekunden des Tonbandes beschädigt sind. „Durch diese Lücke verliert die Aussage bereits ihren Zusammenhang“, konstatiert Kurator Carmine.

Mauthausen als Modell


Im mittleren und im letzten Raum widmet sich Dani Gal dem Holocaust respektive dem Konzentrationslager Mauthausen. Im abgedunkelten mittleren Saal präsentiert er ein „Modell für ein Filmset vom Konzentrationslager Mauthausen nach der Erinnerung von Herrn Kruck“ (2013). Im Film „Wie aus der Ferne (As from Afar)“, der im letzten Raum ausgestrahlt wird, erfährt man, dass die Zugschienen, die beim Modell ins KZ hineinführen, in Wirklichkeit gar nicht vorhanden waren. Er habe sie erfunden, verrät der Modellbauer, weil die Amerikaner im Zusammenhang mit KZs gerne Schienen sehen würden. Neben den Zugschienen verläuft aber noch ein weiterer Schienenstragn. Dieser ist für eine Filmkamera gedacht. Wodurch das Interesse Gals an der Parallelität von historischen Momenten und deren Umsetzung im Film visualisiert werden soll.

Der Film „Wie aus der Ferne (As from Afar)“ im letzten Raum selber geht von einem Text des Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein über Gedächtnisbilder aus. Daran anknüpfend rekonstruiert Gal eine fiktive Begegenung zwischen Simon Wiesenthal, dem Holocaust-Überlebenden und späteren Nazi-Jäger, sowie Albert Speer, dem Nazi-Architekten und Vertrauten Adolf Hitlers. Speer, der als Nazi-Verbrecher zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, zählt zu den ganz wenigen Nazis, die sich zu ihrer Schuld bekannt und ihr Tun bereut haben. Wiesenthal und Speer haben sich mehrmals im Wien der 1970er-Jahre getroffen und angefreundet. Kurator Carmine: „Gals dokumentarischer Ansatz und seine poetische Narration beleuchten die Leerstelle zwischen Realität und Darstellung, zwischen Erinnerung und Erfindung, indem sie die Geschichte als offenen Prozess der subjektiven Interpretation entlarven.“

 

Dani Gal: „Do you suppose he didn't know what he was doing, or knew what he was doing and didn't want anyone to know?“
Kunst Halle Sankt Gallen
Bis 19.1.2014
Di-Fr 12–18, Sa u. So 11–17
www.kunsthallesanktgallen.ch