Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Silvia Thurner · 29. Apr 2018 · Aktuell

Lustvoll für die Bedeutung der Kultur einstehen – Die starke Kulturszene des Landes "feierte" mit einem fulminanten Festival gegen den Kulturabbau im ORF Landesstudio an

Die Ohnmacht beim Zusehen des Kulturabbaus im ORF Landesstudio mündete am Dornbirner Marktplatz in einem imposanten ManiFEST, das in die Kulturgeschichte des Landes eingehen wird. Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturschaffende bündelten ihre Energien und stellten ein starkes Programm mit vielfältigen musikalischen und literarischen Beiträgen, Statements, Interviews und Kulinarik zusammen. Geboten wurde beste Unterhaltung und gute Information in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Fast tausend Menschen strömten nach Dornbirn, um mit ihrem Kommen ein Statement abzugeben und zugleich die Stärke und Vielfalt der Vorarlberger Kulturszene sichtbar zu machen. Das schöne Ambiente am Marktplatz und die lauen Sommertemperaturen machten den Abend zu einem energiegeladenen Erlebnis mit einer klaren Ansage an den sich bisher so borniert verhaltenden Intendanten des ORF Landesstudios, Markus Klement.

Das „ManiFEST“ war getragen von einem guten Miteinander und wurde von den Initiatoren, unter anderem der IG Kultur, Literatur Vorarlberg dem Amateurtheater Verband, hervorragend organisiert. Über viereinhalb Stunden lang ging ein vielfältiges Programm mit siebzig Künstlerinnen und Künstlern sowie Gesprächsteilnehmerinnen und –teilnehmern über drei Bühnen. Dies machte das „ManiFEST“ zum größten gemeinsam organisierten Kulturfest in Vorarlberg, das es bisher gegeben hat, berichteten die Moderatoren Manuela Mylonas und Hanno Loewy.

Eins nach vor und zwei zurück

Musik, Texte, Worte und Tanz bildeten die Essenzen des Abends. Den Auftakt machte das „Netzwerk Tanz“ mit einem Flashmob. Gute Unterhaltung boten die demokratiepolitisch relevanten Texte der Poetry-Slammer Agnes Maier und Martin Fritz. „Wenn man etwas mit Gewalt hintertreiben möchte, dann drängt man es an den Rand“ merkte Ulli Troy an, „und genau das ist mit ‚Kultur nach 6’ geschehen.“ Haltungen und Stimmungen machte er sodann mit Evelyn Fink und Freunden im extra adaptierten „Regionalsender-Lied“ hör- und sichtbar. Zum vielsagenden Refrain „Knie bücken, Köpfchen nicken, einen Schritt nach vor hüpfen, zwei Schritte zurück tappen, auf die rechte Seite drehen, links hinaus und hinein und in der Kurve durchdrehen“ wurden alle Anwesenden zum Mitsingen und Mittanzen eingeladen.

Viele Mitwirkende - so auch der Spielbodenchor unter der Leitung von Bettina Rein, die „Mixed Horns“, „One Step Ahead-Hiphop“, Andreas Paragioudakis und Florian King, Robert Pakleppa, Heike Kaufmann, Alexandra Seybal, die Tanzkompanie „Bewegungsmelder“, Elke Maria Riedmann, Konrad Bönig, Doroethea Rosenstock, Prinz Grizzley and his Beargaroos, Ivica Mijajlovic und Sara Bonetti sowie „Rosi Spezial“ - machten den Abend zu einem großen Erfolg. Viel gäbe es zu jeder einzelnen Performance zu berichten.

Michael Köhlmeier: "Ein Erbe aufs Spiel setzen"

Aufhorchen ließ das Statement von Michael Köhlmeier. Er überblickt die kulturelle Szene Vorarlbergs seit den 1970-er Jahren. „Das Beste, was eine Institution wie der ORF leisten kann, ist kritische Öffentlichkeit herzustellen, das Lebenselixier der Demokratie“, so Michael Köhlmeier. „Heute heißt es Förderung der vielen Ambitionen: Künstlerische, soziale, wissenschaftliche, ökologische, die eine Gesellschaft lebendig halten, die das Denken vorantreiben, die Ideen entwickeln, wie das Leben schöner gestaltet werden kann, fröhlicher, aber auch ernster, tiefer. Es heißt auch Kultur zu ermöglichen. Produktiv zu sein, Mäzen zu sein für das, was das Medium des Rundfunks selbst vermag, mit Selbstbewusstsein und mit Wertschätzung für Künstler und Kulturschaffende. In der Vergangenheit hat der ORF diese Aufgabe in höchster Qualität wahrgenommen. Radio und Fernsehen haben kulturelle Strömungen aufgenommen, nachgespielt und verstärkt. Das hat dem ORF in ganz Europa den besten Ruf verschafft. Der Kulturauftrag musste keinen Moment eingefordert werden, der ORF war Kultur. Wer dieses Erbe aufs Spiel setzt, aus welchem Grund auch immer, wahrscheinlich aus dem billigsten, der Quote, der schüttet den Sumpf auf, in dem er selbst versinken wird. Er zerstört das Vertrauen jener, die Ideen haben und um deren Umsetzung brennen. Zu fördern, bedeutet in die Zukunft zu investieren. Was heute gefördert wird, blüht morgen. Der Quote zu folgen, heißt einer Mode zu folgen, die im nächsten Augenblick bereits altmodisch ist. Diese Idee führt in die Bedeutungslosigkeit.“

Verena Konrad: Qualitätvollen Kulturjournalismus einfordern

Im Gespräch mit Walter Fink erinnerte der Architekt Roland Gnaiger an die legendäre Serie „plus/minus“, in der Architektur zu bester Sendezeit, kurz vor den Hauptnachrichten, kritisch betrachtet und kommentiert wurde. In Verbindung mit vielen, die damals zusammengewirkt haben, entwickelte sich eine Bewegung, die ein Bewusstsein für gutes Bauen schuf. Nicht umsonst gilt Vorarlberg international als „Architekturland“ schlechthin.

Verena Konrad brachte einen weiteren Gedanken ein, der markant auf unsere Zeit verwies. „Alle miteinander sind wir auch sehr empfindlich geworden“, meinte sie. „Würde man heute eine Reihe ‚plus/minus’ so wie damals senden, dann würden wir jede Woche mehrmals verklagt.“ Darüber hinaus brachte Verena Konrad die Notwendigkeit einer qualitätvollen Kulturberichterstattung auf den Punkt, indem sie auf den Unterschied zwischen Pressearbeit und Journalismus verwies. „Es geht mir darum, dass es eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen Kultur in seiner ganzen Breite gibt, dass diese getragen wird von Menschen, die die Kompetenz dafür besitzen und die Möglichkeit haben, sich mit diesen Kulturphänomenen zu beschäftigen und die auch in der Lage sind, das in eine allgemein verständliche Sprache zu kleiden.“ Diese Forderungen schließen selbstverständlich alle kulturellen Bereiche mit ein, so auch jene der Integration und Kulturvermittlung, wie Bouthaina Fabach darlegte.

Gottfried Bechtold: Kunstschaffende sind keine Bittsteller

Gottfried Bechtold brachte einen weiteren Aspekt ein, denn er appellierte an das Selbstbewusstsein der Künstlerinnen und Künstler. „Sie sind schließlich das Futter der Medien, das Futter der Kulturberichterstattung. Wir sind nicht nur Bittsteller“, betonte er. Dann versetzte er sich in die Lage der Kulturjournalistinnen und –journalisten im ORF Landesstudio und redete an eine Wand. Den Intendanten Markus Klement sprach Gottfried Bechtold direkt an: „Herr Klement! Fehler dürfen Sie machen. Sie dürfen auch aus den Fehlern nichts lernen.“ Sodann nahm er Bezug auf die Kulturdebatte im vorarlberg museum, die Ende November 2017 stattgefunden hat und redete damit vielen aus der Seele. „Ich habe es eine schamlose Frechheit empfunden, dass der Mensch, um den es geht, dass der im Museum nicht vorhanden ist. Das ist für mich eine extreme Provokation! Der ORF ist eine öffentliche Institution, der ORF gehört nicht dem Markus Klement.“ Abschließend formulierte Gottfried Bechtold noch einmal die Forderung, die auch Anlass für die Ausrichtung des „ManiFESTs“ war. „Ich appelliere, dass die Sendung ‚Kultur nach 6’ wieder an den alten Platz zurückkommt. Mehr habe ich nicht zu sagen.“

Hanno Loewy: Kulturauftrag des ORF

Hanno Loewy deutete die Botschaft von einem anderen Blickwinkel aus, indem er die politischen Veränderungen in Österreich und die Tendenzen nach einer Gleichschaltung kritischer Medien und Journalisten mit einbezog. „Wir wollen den ORF in den kommenden Auseinandersetzungen stärken, aber dazu muss der ORF auch selbst stark sein wollen“, betonte Hanno Loewy. „Er muss einen Kulturauftrag, für den Millionen von Menschen monatlich Gebühren zahlen, auch ernst nehmen. Sonst entzieht er sich den Boden, auf dem er steht. Dass sich die Leitung des ORF seit Monaten der Diskussion verweigert, macht es nicht leichter, den ORF in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen zu unterstützen, es geht um viel zu viel als nur zuzuschauen, und so stärken wir dem ORF den Rücken, indem wir ihn kritisch ernst nehmen.“

Ob Markus Klement die Botschaften hören will, bleibt anzuwarten.