Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Ingrid Bertel · 03. Mär 2016 · Aktuell

Europäische Kulturhauptstadt 2024 - Die Lizenz zum Träumen

Eine zweitägige Klausur im Bregenzer Festspielhaus sollte klare Richtlinien für eine eventuelle Bewerbung der Rheintalgemeinden und des Bregenzerwalds um den Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2024“ bringen. Eingeladen waren die führenden Köpfe der Kulturhauptstädte Sonderborg (Dänemark), Cluj-Napoca (Rumänien), Liverpool (GB), Ruhr (Deutschland), Plovdiv (Bulgarien) und Pafos (Griechenland).

Wovor wird gewarnt? Was wirkt über den Tag hinaus? Wie wird kommuniziert? Dass im Vorfeld einer so gewichtigen Entscheidung die Erfahrenen sprechen, ist gewiss eine gesunde Voraussetzung. Dass sich die Erfahrenen mit den Bewerbungswilligen in einer knappen Formel treffen, ist geradezu romantisch. Die „Lizenz zum Träumen“ müsse man von der Politik verlangen, sind sich alle miteinander einig.

Die Träume betreffen Lebensentwürfe der Zukunft - Essen, Wohnen, Mobilität, Arbeit, Freizeitgestaltung. Kulturhauptstadt beschäftigt sich nicht mit Hochkultur, ist keine erweiterte Konzert- und Theaterplanung; Kulturhauptstadt beschäftigt sich mit den Lebensstilen aller. Darüber herrscht Konsens, und auch über die Qualitäten der Region.

Selbstgenügsamkeit

 

Vorarlberg tendierte zum Schulterklopfen, zur Selbstgenügsamkeit heißt es immer wieder. Es gehe aber darum, vorauszuschauen. Und Oliver Scheytt, Gesschäftsführer von „Ruhr 2010“ nennt ein wagemutiges Beispiel: Maastricht hatte bei seiner (missglückten) Bewerbung vorgesehen, jene jungen Menschen, die im Jahr der Kulturhauptstadt 18 Jahre alt sein würden, um Projekte und Ideen zu bitten. Welche Zukunft erwarten sich wohl jene, die 2006 in Vorarlberg geboren wurden?

Vielleicht kommen ihre Eltern aus der Türkei, aus Bosnien, Syrien, Afghanistan, Nigeria. Wohin soll die Kulturreise Vorarlbergs ihrer Ansicht nach gehen? Wie sehr sind ihre Lebensentwürfe Teil der Vorarlberger Landespolitik? Und wie sieht der Austausch Vorarlbergs mit anderen Regionen Europas aus? Die Kulturhauptstadt habe den Auftrag, ein positives Bild von Europa zu vermitteln, sie habe diesen Auftrag mehr denn je zuvor, betont Christoph Thoma. Der Geschäftsführer von Bregenz Tourismus und Stadtmarketing ist eine der treibenden Gestalten in der Frage der Bewerbung um die Kulturhauptstadt 2024.

Was macht uns aus?

 

Eine Kultur des Fragen orten die europäischen Gäste in Vorarlberg, verweisen  begeistert auf die Textzeile an der Fassade des vorarlberg museums: „verstehen, wer wir sind“. Nein, so ein Anspruch sei ein paar Nummern zu groß, meint Friederike Lutz, Pressesprecherin der Stadt Friedrichshafen. Aber man bewundere am deutschen Bodenseeufer die Vorarlberger Kultur des Fragens, und vormittags im Museum habe sie diese Kultur wieder in der Ausstellung „Römer oder so“ gefunden. Identitäten ändern sich. Die Flüchtlingsströme werden diese Veränderungen weiter vorantreiben. Verschließen kann man sich ihnen nicht, aber man kann sie aktiv mitgestalten. Eine Europäische Kulturhauptstadt könne dazu anregen, könne dafür Freiräume bieten und Diskussionsforen eröffnen.

Beinahe will sich schon Euphorie ausbreiten, da stellt die Moderatorin Andrea Thilo eine Frage, die die versammelten Kulturarbeiter auf den Boden zurückholt: Wie sollen die schönen Begriffe mit Leben erfüllt werden? Wer spinnt den roten Faden durch die bunten Geschichten? Er sei ein strikter Gegner einer Außenintendanz, betont Christoph Thoma. Das Konzept müsse aus der Region entwickelt werden, sonst sei es tot. Das sieht Roland Jörg, Kulturamtsleiter in Dornbirn, ganz und gar konträr. Mr. Ruhr 2010, Oliver Scheytt, greift ein: Es gehe nicht um einen Autor, sondern um einen Herausgeber der Geschichte. Und der komme vielleicht doch besser von außerhalb, sei unbefangen und neutral.

Bis zu dieser Entscheidung kann es noch lange dauern. Denn eines bleibt der Region, die sich da bewerben will, nicht erspart: die Begriffe mit Leben zu füllen und die Geschichte zu erzählen. Ganz egal, ob zu Guter Letzt doch noch jemand den Titel „Intendant“ trägt.