Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Mirjam Steinbock · 13. Nov 2016 · Aktuell

Eine satte Kostprobe – Die Montforter Zwischentöne verführen mit einem Gruß aus der Küche

Gut eingestimmt auf das Festival im Feldkircher Montforthaus werden diejenigen, die sich einen Appetitanreger schon in der Marktgasse holen. „Bevor ich sterbe, möchte ich...“ steht wiederholt mit Freiräumen zum Beschriften auf einer großen Tafel, die Menschen aus der Bevölkerung dazu einlädt, ihre Wünsche mit bunter Kreide aufzuschreiben. Die Tafel ist prall gefüllt mit so ernsten wie heiteren Bedürfnissen. Die amerikanische Künstlerin Candy Chang entwickelte das Projekt bereits vor einigen Jahren in New Orleans. Basierend auf eigenen Erfahrungen zum Thema Tod brachte sie mit ihrer Kunst im öffentlichen Raum viele Menschen dazu, ihre Bedürfnisse auszudrücken und schuf damit eine Verbundenheit, die auch andere Länder dazu anregte, das Format zu präsentieren. In Feldkirch und damit erstmals in Österreich kündigt es nun auf sinnliche Art und Weise das auf den ersten Blick schwer zu verdauende Festivalthema „Sterben – Über das Loslassen“ an.

Edgar Eller, Geschäftsführer der Montforter Zwischentöne, gesteht in seinen einführenden Worten, er habe schwer geschluckt als die Kuratoren Hans-Joachim Gögl und Folkert Uhde ihm das Thema mitteilten, dem die Ausrichtung der Veranstaltung gehuldigt werden sollte. Sterben und Loslassen erhalten bei diesem Festival jedoch nicht nur künstlerisch Betrachtung, die umsichtigen Kuratoren laden auch Expertinnen und Experten der Thematik ein und machen sie zum Teil eines Schaffensprozesses. Wie dieser in Verbindung mit Musik, Malerei, Literatur, Improvisation und zeitgemäßen Tendenzen auf kunstvolle Weise ins Publikum zurückgespielt wird, darüber informiert Gögl beim „Gruß aus der Küche“.

"Mörderseelen" und ein Quintett für vier Sterbebegleiter und ein Cello

Begleitet von kleinen kulinarischen Köstlichkeiten und Wein erhält man Gusto auf das Programm, das einen Dialog zwischen dem Gerichtspsychiater Reinhard Haller, dem Autor Raimund Jäger und dem Schlagzeuger Alfred Vogel über „Mörder Seelen“ bietet und dann ein Quintett für vier Sterbebegleiter und Cello präsentiert, bei dem der Cellist Peter Bruns musikalisch auf die Erfahrungen eines Arztes, eines Priesters, einer Angehörigen und eines Hospiz-Begleiters reagiert. Musik und Poesie offerieren die Schauspielerin Tamara Stern und die Harfenistin Margret Köll noch vor Sonnenaufgang. Der Abschluss des Festivals wird mit dem Messias von Georg Friedrich Händel und einer Liveschaltung aus dem Diesseits ein wohl fulminantes Finale bilden, bei dem der Kammerchor Feldkirch auf das Ensemble Concerto Stella Matutina in einem ungewöhnlichen Bühnenbild trifft und Interviews des Reporters Hanno Settele live in den Saal übertragen werden.

Der vollkommene Kreis

Still und etwas meditativ werden die Kreise der japanischen Künstlerin Sanae Sakamoto währenddessen das Programm begleiten. Ensō heißt der Kreis auf Japanisch, er soll der pure Ausdruck des Hier und Jetzt sein und Ensō heißt auch die Ausstellung. Die Meisterin der Kalligraphie, die diese Kunst in Japan lernte und sie seit den 1970er Jahren von ihrer neuen Heimat Schweiz aus fortführt, ist eine nahbare Persönlichkeit. Das hat der Vernissage-Redner Clemens T. Schedler erkannt und legt dem Publikum ans Herz, die Künstlerin direkt anzusprechen, was im Laufe des Abends bestens funktioniert. Der gebürtige Vorarlberger, der seit dreißig Jahren seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt in Wien hat, kennt die Vorarlberger Mentalität. So auch den Perfektionsanspruch, den er zum Mittelpunkt seiner einführenden Worte rund um den vollkommenen Kreis macht und die er so locker wie bewegend anbringt in einer Galerie, die angesichts der vielzähligen Menschen eher beengend wirkt. Schedler, selbst Kommunikationsdesigner, ist auch ein Kenner dessen, was die Kunst braucht. Er fordert das Publikum beherzt dazu auf, sich anders zu formieren und so einen leeren Raum vor den Bildern zu schaffen, die damit eine konzentrierte Betrachtung des Publikums erhalten.
Sanae Sakamoto erklärt, dass jedem ihrer Kreise eine Meditation voraus gehe und etwas Höheres, eine Macht oder auch Kraft sie schließlich dazu befähige, sie zu malen. Mit eigens für ihre großformatigen Werke angefertigten Pinseln, mit Tusche und Pigmenten malt sie auf handgeschöpftes Japanpapier. Ihre Text-Interpretationen aus alten fernöstlichen Weisheiten kalligraphiert sie neben die Kreise. „Das alltägliche Leben, das ist der Weg“, heißt es zum Beispiel oder „Der Kreis, alles drin, nicht zu viel, nicht zu wenig, gerade richtig.“ Der Moment des Loslassens ist in der japanischen Tradition für das Malen des vollkommenen Kreises ebenso bedeutend wie er es
beim Zen Bogenschießen, dem Kyūdō ist. Ganz selbstverständlich wohl für eine Weltanschauung, die in Japan seit Jahrtausenden praktiziert wird. Sakamoto sieht sich daher in der Rolle, mit ihrer Kunst Brücken zu schlagen zwischen fernöstlicher und westlicher Kultur.

"Die Dinge mit dem richtigen Blick betrachten"

Dass diese Botschaft bereits ein Ziel erreicht hat, zeigt sich in der Szenografie der Ausstellung, die der Vorarlberger Grafikdesigner Günter Kassegger sensibel auf die Werke Sakamotos abstimmte. Schlichte Holzlatten lehnen in den Stahlträgern des rückseitigen Montforthauses und in dem weiß getünchten Rahmen hängen die Kreise der Künstlerin. Das Gewicht der Bilder lässt die tragende Holzlatte etwas durchhängen und das gibt dem Ganzen eine zusätzliche, ganz bezaubernde Ahnung japanischer Baukunst. Hinter den Bildern ist die Glasfassade mit weißen Folien bedeckt. Bei Tageslicht, so Kassegger, gäben diese den Malereien eine sanft anmutende Beleuchtung. Seine Aussage ist gleichzeitig Aufforderung, die noch bis 20. November dauernde Ausstellung auch am Tag zu besuchen und sich auf ein intensives und langsames Betrachten einzulassen. Oder wie Candy Chang es auf ihr Kunstprojekt bezogen sagt: „ In einer Welt mit zunehmenden Ablenkungen ist es wichtiger als je zuvor, die Dinge mit dem richtigen Blick zu betrachten und daran zu denken, dass das Leben kurz und empfindlich ist.“

Alle Infos zum Programm unter http://www.montforter-zwischentoene.at