Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Karlheinz Pichler · 06. Dez 2016 · Aktuell

„Dirty Harry“ & „Klementine“ oder die Machtspielchen auf dem Rücken der Kunst

Mit der österreichischen Bundespräsidentenwahl stand in der vergangenen Woche ein polarisierendes Großereignis im Blickfeld der Öffentlichkeit, das weit über die österreichischen Grenzen hinaus für Aufmerksamkeit sorgte. Mit der willkürlichen Absetzung von Carina Jielg als Kuratorin von „Kunst im Funkhaus“ durch ORF-Landesdirektor Markus Klement erregte in Vorarlbergs Kulturszene zudem ein weiteres polarisierendes Ereignis die Gemüter, das zwar nur einen Bruchteil der Breitenwirkung vom Match Hofer gegen Van der Bellen hatte, aber immerhin zumindest über die Vorarlberger Landesgrenzen hinaus strahlte. Wenn man sieht, wie hier in einem kleinen lokalen Umfeld persönliche Interessen ohne jegliche Rücksicht auf fachliche und auch moralische Schranken einfach durchgeboxt werden, muss man sich nicht wundern, dass die Welt im Großen nicht funktionieren kann. Eine nähere Beleuchtung der Vorgänge rund um die Absetzung der ORF-Kuratorin und der Zeit davor, ergibt ein befremdliches Stimmungsbild der heimischen Kunstszene.

Höchst fragwürdige Art der Absetzung einer Kuratorin

 

Die Absetzung Jielgs, die nach einhelliger Meinung der Kunstexperten im Land und darüber hinaus eine hervorragende Arbeitet geleistet hat, birgt zwei grundsätzliche Problembereiche. Erstens die Vorgangsweise der Absetzung der Kuratorin ohne vorherige Absprache und Information der Verantwortlichen der Kulturredaktion. Im Kulturbereich ist so etwas österreichweit wohl einmalig. Zweitens die Besetzung dieser Stelle mit einem Künstler. Der ORF ist eine öffentlich-rechtliche Einrichtung und es würde ihm gut anstehen, diese Position mit einer neutralen Person zu bekleiden und nicht mit einem Künstler, der über seine Kollegenschaft befindet. Kommt hinzu, dass der mit der Kuratorenschaft jetzt beauftragte Künstler Harald Gfader mit geschätzten 80 Prozent der Vorarlberger Künstlerschaft zerstritten ist und dadurch polarisierend und alles andere als verbindend wirkt.

 

Zur Auffrischung: Carina Jielg und die stellvertretende Chefredakteurin und Verantwortliche für die Kulturagenden des ORF nach außen, Jasmin Ölz, sind am Montag letzter Woche zu einem Termin beim Landesdirektor mit dem Thema „Ausstellungsplanung 2017“ geladen worden. In diesem Rahmen stellte Jielg üblicherweise ihre Jahresplanung vor, die in der Abteilung Kultur intern längst durchgesprochen wurde. Was hierauf erfolgte, beschreiben die beiden ORF-Redakteurinnen in einer Aussendung: „Dazu ist es erst gar nicht gekommen, denn Landesdirektor Klement hat uns in aller Kürze vor vollendete Tatsachen gestellt: Im Klartext, er hat sich bei Carina für ihre Kuratorentätigkeit bedankt und uns mit dem neuen Kurator, dem Künstler und Galeristen Harald Gfader konfrontiert.“ Es habe dazu im Vorfeld weder ein Gespräch mit Ölz als Kulturkoordinatorin noch mit Jielg als Kuratorin gegeben, betonen die beiden in diesem Schreiben. Weiters ist dieser Aussendung zu entnehmen: „Man kann natürlich darüber diskutieren, ob es Sinn macht, die Ausstellungen im ORF Vorarlberg von wechselnden Kuratoren gestalten zu lassen. Aber wenn man einen professionellen und respektvollen Umgang pflegt, wird darüber gesprochen, wann ein Kuratorenwechsel stattfindet und wer neue, interessante Kuratorinnen bzw. Kuratoren sein könnten.“

 

Ein interessanter Aspekt ist also, dass die „fristlose“ Absetzung Jielgs zu einem Zeitpunkt kommt, als eben das komplette Programm für 2017 bereits fixiert ist und die Kunstschaffenden teils schon mit dem Arbeiten begonnen haben. Mit Christine Katscher, Luka Fiona Bechtold sowie Bernhard und Mathias Garnitschnig waren KünstlerInnen angesagt, die nicht nur jung, sondern auch in hohem Maße vielversprechend sind.

 

Carina Jielg hat ihre Kuratorenschaft noch unter Wolfgang Burtscher, dem Vorgänger von Markus Klement als Landesdirektor, begonnen. Dazu befragt, was er vom Prozedere der Absetzung halte, meinte er gegenüber KULTUR, dass er die Angelegenheit sehr bedauere. Burtscher: „Da die Arbeit von Jielg weithin anerkannt ist, kann ihre Ablöse nur im Persönlichen liegen. Es gibt aus fachlicher Sicht keinen Anlass für einen Wechsel.“ Dieser Meinung ist im übrigen praktisch der gesamte Kunstbetrieb im Land. Der Vorgehensprozess wird allgemein als eine Retourkutsche auf die Matthias-Klien-Ausstellung im Frühling des vergangenen Jahres angesehen. Klien wollte damals im Foyer-Rondell des ORF eine medienkritische Skulptur einrichten, doch wurde die Aufstellung vom ORF-Chef untersagt. Als der Künstler daraufhin einfach nur das Material, das für die Installation benötigt worden wäre, in den Raum legte, quasi als Protest gegen die „Zensur“, ließ Klement es von der Feuerwehr entfernen. (KULTUR berichtete: http://www.kulturzeitschrift.at/kritiken/ausstellung/orf-vorarlberg-chef-markus-klement-verhindert-skulptur-von-matthias-klien)


Das jetzt eingetretene Ungemach schon damals ahnend, reichte die ORF-Publikumsrätin und Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien, Eva Bliemlinger, darauf hin eine Beschwerde ein, in der sie die Befürchtung äußerte, dass Jielg „einer der zahlreichen willkürlichen Personalentscheidungen des Direktors“ zum Opfer fallen könne. Auch jetzt, nach der tatsächlichen Aufkündigung der Kuratorenschaft von Jielg, ist die Rektorin erneut aktiv geworden. In einem Schreiben, das an den Publikumsrat, aber auch an viele andere Stellen ging, darunter etwa ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, die Bischofskonferenz oder die Wirtschaftskammer, heißt es wörtlich: „Zum wiederholten Male muss ich mich an Sie betreffend Landestudio Vorarlberg und seinen Direktor Markus Klement und seine unmögliche Vorgangsweise wenden. Wie mir mitgeteilt wurde und ich jetzt auch schon den Medien entnehmen muss, darf die ausgezeichnete Kuratorin Carina Jielg, die sich außerordentlich für KünstlerInnen engagiert hat, nicht mehr als Kuratorin tätig sein, sie war wohl zu gut, zu eigenständig und hat nicht zum Freundeskreis des Direktors gehört. Alleine die Vorgangsweise und Behandlung dieser Mitarbeiterin ist jedenfalls abzulehnen, entspricht einem Führungsstil der sicherlich nicht zum Standard des ORF gehören soll und eigentlich ein Fall für den Betriebsrat und die für Gleichbehandlung zuständigen Gremien ist.“ Und weiter: „Aber auch aus inhaltlicher Sicht, spricht alles gegen diese Abberufung gewissermaßen als Nacht- und Nebelaktion in der dann die Kollegin vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Und ich habe Sie schon anlässlich der Vorkommnisse um den Abbau der Installation von Matthias Klien darauf hingewiesen, dass Carina Jielg keinesfalls einer der zahlreichen willkürlichen Personalentscheidungen des Direktors zum Opfer fallen darf. Nun ist es soweit. Harald Gfader wurde stattdessen als Kurator eingesetzt. Klar, ein Mann ersetzt eine Frau, wie so oft in den letzten Jahren im Landesstudio Vorarlberg. Und ehrlich, Harald Gfader ist Künstler, kann aber soweit ich seine Biographie kenne, auf keinerlei kuratorische Expertise verweisen und wenn er meint, er ist Vermittler, gut, doch das ist doch was deutlich anderes als Kurator, der Unterschied sollte auch ihm klar sein.“

 

Nochmals auf Klien bezogen, meinte Wolfgang Burtscher, er hätte sich nie angemaßt, in die Kuratorenschaft einzugreifen, denn das käme ja in die Nähe der Zensur. Und in Bezug auf das Format „Kunst im Funkhaus“ streicht er heraus, dass es der große Vorteil sei, dass hier Ausstellungen unter keinerlei Druck auf Verkaufserlöse oder Quoten ablaufen könnten. Die KünstlerInnen könnten sich hier ganz auf ihr Schaffen konzentrieren. Er sehe es daher auch als wichtig an, dass eine solche Kuratorenverantwortung intern besetzt würde.

Klien ist aus Sicht der Kunst übrigens nicht der einzige Streitfall. So wollte der Künstler tOmi Scheiderbauer, der eine Monografie über seinen Vater Curt Scheiderbauer, dem die Landeshauptstadt Bregenz in diesem Jahr ihre Sommerausstellung widmete, besagte Publikation ursprünglich im ORF-Landesstudio präsentieren. Laut tOmi Scheiderbauer war alles bereits besprochen. Als es aber darum ging, eine Skulptur zur Veranschaulichung aufzustellen, untersagte dies der ORF-Direktor. Worauf hin das Buch dann im Vorarlberg Museum öffentlich lanciert wurde.

 

Warum spielt ein Künstler bei diesem Machtspiel mit?

 

Wie bereits erwähnt, wird die Art und Weise wie Carina Jielg ihres Amtes enthoben wurde, in der Szene heftig kritisiert. Der Künstler und Philosph Hubert Matt etwa schreibt dazu auf Facebook: „Von einem solchen Direktor ist leider nichts anderes zu erwarten. Nur, warum spielt ein Künstler bei diesem Machtspiel mit.“

 

Harald Gfader, den dieser Vorwurf trifft, meint selber, dass er für die internen Vorgänge beim ORF-Landesstudio nicht zuständig sei. Er habe seinen Auftrag ohnehin von Wien aus erhalten. Was die ORF-Zentrale in Wien auf Nachfrage von KULTUR allerdings nicht bestätigt hat. Zudem sind Gfader die Vorgänge rund um die „Zensurierung“ der Klien-Installation sicher nicht verborgen geblieben. Statt nun zum Vollzugsgehilfen der Obrigkeit zu werden, wäre es wohl angestanden, auf die Barrikaden zu steigen und gegen die Absetzung Jielgs zu protestieren.

Etliche Punkte aus dem Konzept von Gfader unterscheiden sich übrigens kaum von der bisherigen Kuratorentätigkeit Jielgs. Wenn etwa von einer „Aufarbeitung thematisch /morphologischer zeitgenössischer Kunst“ oder von „Kompilationen mit verschiedenen Vergleichsmöglichkeiten zur Kunst und/oder was alles Kunst sein kann“ oder von „solitären Ausstellungen einzelner Positionen“ die Rede ist, dann sind da keine gravierenden Unterschiede erkennbar. Klar hat Jielg ein Schwergewicht auf junge Kunst gesetzt, aber das ist ja eben entscheidend, denn gerade die alteingesessenen Platzhirsche lassen ihnen kaum Raum zur Entfaltung. Dennoch hat auch Jielg bereits arrivierte Statements in ihr Programm eingebaut, wie etwa Richard Bösch oder zuletzt Marbod Fritsch bestens belegen.

Gfader will laut seinem Konzept auch alles schön informativ aufbereiten und kommunizieren. Nur wenn er unter „kommunizieren“ auch die Medien mit einbeziehen will, so wird es wohl Probleme geben. Denn dass er der Presseaussendung zur Ausstellung „'Positionen' – Kunst.Vorarlberg zu Gast bei Berufsvereinigung bildender Künstler Kärnten“ (1.10.-23.10.2016) den Satz „damit wir in ihrer kulturjournalistischen Ignoranz weiterhin gewogen bleiben, ein Hinweis zur langen Nacht in einer anderen 'Provinz', die dafür echt und ehrlich“ voranstellte, dürfte wohl nicht viele Medienschaffende erfreut haben.

Interessant ist, in besagter Pressemitteilung desweiteren zu lesen: „Unter dem Titel 'Positionen' zeigt Kunst.Vorarlberg einen aussagekräftigen und repräsentativen Querschnitt durch die Schaffensbreite des Vereins.“ Zu diesem „repräsentiven Querschnitt“ ist anzumerken, dass zu den ersten „Qualitätskriterien“ jener Kunstschaffenden, die zu dieser von Gfader kuratierten Ausstellung in Klagenfurt eingeladen waren, zählte, dass sie bei der vorangegangenen Ausstellung der Kärntner Künstler im Herbst 2015 in der Feldkircher Villa Claudia bei der Vernissage anwesend waren. Diese unglaubliche Auslese wurde aus Vorstandskreisen des Vereins Kunst.Vorarlberg bestätigt.

Wie es überhaupt zu diesem Austauschprojekt Kärnten-Vorarlberg gekommen ist, ist ein weiteres illustres Kapitel. Die Kunsthistorikerin Daphne Tsukalas, die in den 1990er Jahren in Vorarlberg als freie Mitarbeiterin für die "VN" Ausstellungsrezensionen verfasst hat und zwischenzeitlich nach Kärnten geheiratet hat, ist im März 2015 an Harald Gfader herangetreten und hat ihm ein Ausstellungsprojekt vorgeschlagen, das Vorarlberger Künstler nach Klagenfurt und Kärntner Künstler nach Vorarlberg bringen sollte. Gfader wies in der Folge darauf hin, dass aus seiner Sicht die Villa Claudia, das Palais Liechtenstein oder das Milk-Ressort in Göfis als mögliche Ausstellungsorte in Frage kämen. Das Projekt kam zum Erliegen, als dann Gfader bereits im Juli 2015 selber ein Kärnten-Vorarlberg-Austauschprojekt auf die Beine stellte und bereits im September eine Auswahl Kärnter Künstler in die Villa Claudia holte (siehe oben). Vom Verfasser dieser Zeilen darauf angesprochen, dass dies wohl eine Aneignung einer fremden Idee wäre, entgegnete er, dass es ja keinerlei Verträge gäbe und er im übrigen ausstellen dürfe, was er wolle. Rechtlich stimmt das wohl, aber fair ist es keinesfalls. Mit ziemlicher Sicherheit wäre kein anderer Künstler im Land auf diese Art vorgegangen. In der Kunst ist die „Appropriation“ eine eigene Richtung. Vielleicht wollte der Künstler Harald Gfader mit diesem Vorgehen die „Appropriation“ auch als neues Konzept in der Ausstellungsentwicklung kreieren. Bei seinen damaligen engsten Künsterfreunden nachgefragt, wie denn sie so ein Vorgehen beurteilen, kam die Antwort, dass Gfader ja nicht von ungefähr unter nicht wenigen Insidern den Nickname „Dirty Harry“ habe.


Der Kreis schließt sich

 

Um noch einen anderen Aspekt in diese Angelegenheit zu bringen, sei noch ein Leserbrief zitiert, den der nunmehr designierte neue Kurator von „Kunst im Funkhaus“ Harald Gfader verfasst hat und der am 20. September 2011 in den "Vorarlberger Nachrichten" (VN) veröffentlicht wurde. Damals war noch Wolfgang Burtscher als ORF-Direktor im Amt, aber es war bereits öffentlich bekannt, dass Markus Klement per Anfang 2012 Burtscher im Amt nachfolgen werde. "VN"-Kommentator Walter Fink hatte damals in zwei gut recherchierten Kommentaren die Absetzung Burtschers und den Prozessablauf um die Inthronisierung Klements kritisiert. Unter dem Titel „Der Schmutzfink badet nicht, auch wenn er am See wohnt“ schrieb Gfader, nachdem er Fink in diesem Leserbrief in der Einleitung vorwarf, „alten Gestank zu fabrizieren und dem Leser vorzusetzen“, wörtlich: „Es ist legitim, die Vorgangsweise zur Bestellung der Direktoren des ORF und seiner Gremien kritisch zu hinterfragen. Wenn diese Kritik gut recherchiert und informierend aufbereitet ist, um so besser! Es ist jedoch eine Zumutung, dass über den designierten ORF-Direktor Markus Klement derartige diskreditierende persönlich beleidigende, vorverurteilende und verunglimpfende Äußerungen überhaupt möglich sind! Wohlwollende Wertschätzung, kritischer Respekt, vor allem journalistische Ethik werden hier mit Füßen getreten! Der Menschenverachtung, mit 'vertraulichem Hausverstand' feist die Tür geöffnet. Dass solche 'verbohrte' Leute eine Zeitung wie die VN für ihre private 'geistige Notdurft' benutzen dürfen, ist mir schleierhaft! Beschämend.“

Gfader geht hier mit keinem Wort sachlich auf die Kommentare Finks ein, sondern reiht nur eine Beleidigung nach der anderen aneinander. Dabei fordert er selber für seine eigene Person ständig „Respekt und Demut“ ein. Nur für sich selbst gelten die Grundregeln des Anstands nicht. Nun, wenn man von diesem Leserbrief, anhand dessen jemand sehr energisch das Fähnchen vorausgehorchend in den richtigen Wind gesetzt hat, den Bogen zu den Ereignissen rund um die Ablöse von Carina Jielg zieht, so ergibt sich wie von selbst ein widerwärtiger Beigeschmack.


Und um noch eine Auflösung zur Übertitelung dieses Beitrags mit „Dirty Harry & Klementine“ zu geben. Das „Dirty Harry“ ist klar, das kommt aus dem engsten Umfeld von Gfader, darum ist es umso bezeichnender. Und Klementine ist eine Kultfigur aus der Ariel-Werbung der 70er und 80er Jahre. Bei Problemflecken hat sie einfach den Hauptwaschgang eingeschalten und weg war das Problem. Diese Metapher dringt wie von selbst ins Bewusstsein, wenn man an die Problemlösungsstrategie von Markus Klement bei unbequemen Mitarbeitern denkt: Einfach den Hauptwaschgang betätigen und weg ist das "Übel".