Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Mirjam Steinbock · 02. Sep 2016 · Aktuell

Das einfach Unfassbare – Eine australische Artistengruppe bringt mit „A Simple Space“ das Freudenhaus-Publikum außer Rand und Band

Es gibt Vogelschwärme, die auf ihrem Flug in den Süden Phänomenales sichtbar machen. Stare gehören zu solchen Flugkünstlern. Sie wechseln blitzschnell die Richtung und einem unsichtbaren Lotsen folgend verdichten sie sich zu Wolken. Neue Gebilde und Formen entstehen in der Betrachtung dieses hinreißenden Naturschauspiels, sofern sich das Glück offenbart, es zu sehen. Manchmal gibt es Luftwunder aber auch auf dem Silbertablett serviert, so wie derzeit im Freudenhaus Lustenau. Das Ensemble „Gravity & Other Myths“, kurz GOM genannt, verschmolz am Premierenabend in einer atemberaubenden Show zu einem gemeinsamen Körper artistischer Schönheit und brachte das Vorarlberger Publikum zum Toben. Und zwar von der ersten bis zur letzten Sekunde.

Einfach ist bei „A Simple Space“ tatsächlich nur der Raum. Geschätzte fünf mal fünf Meter mag die Bühne groß sein. Etwas erhöht und von drei Seiten bestuhlt ermöglicht sie dem Publikum freie Sicht aus beinahe jeder Perspektive. An den vier Ecken der Bühne befinden sich Metallsäulen mit Scheinwerfern in verschiedener Höhe, in der rechten Ecke ein Musiker-Set. Das und ein paar Requisiten, die während der einstündigen Show zum Einsatz kommen, sind aber Alles, was das noch so junge Ensemble an Equipment für seine mitreißende Darbietung benötigt. Kein Glitter, kein Lichtspektakel, keine Effekthascherei. Schlicht Körper, die sich jedweder Gesetzmäßigkeit zu widersetzen scheinen, leicht durch die Luft fliegen, sich übereinander legen, sich tragen und heiter entgegen schwingen.

Wer fällt, fliegt raus

Das Leistungsspektrum von Artistik, Spiel, Humor und Musik wirkt bei GOM unendlich. Bereits im Alter von vier Jahren begannen einige der Ensemblemitglieder mit ihrer Körperausbildung. Auf einer Zirkusschule im australischen Adelaide lernten sich die AkrobatInnen bereits im Kindesalter kennen und gründeten nach der Schule das Ensemble.
„A Simple Space“ ist ihre zweite Produktion und sie wurde mittlerweile mit so vielen Preisen überschüttet wie überschäumendem Kritikerlob bedacht. Was die Show so berührend und nahbar macht, ist neben der artistischen Höchstleistung das Spielerische und Leichte. Die Freude am Tun, die den ArtistInnen während der kompletten Spielzeit in den Gesichtern geschrieben steht und das Witzige, was einzelnen Szenen anhaftet.
Schadenfreude wird hier groß geschrieben: GOM peitscht sich quasi selbst durch kollektive Flickflacks, Handstände und Seilsprünge. Alles auf Zeit; wer fällt, stolpert oder die Aufgabe nicht meistert, fliegt raus, getreu dem Motto „Der oder die Beste möge gewinnen“. Den jungen KünstlerInnen beim Scheitern zuzusehen und beim Gewinnen zuzujubeln, erzeugt bei den Zuschauenden die gleiche Freude und einen großen Respekt.

Ein ausgeklügeltes Gesamtkonzept

Das Tempo bestimmt vor allem der großartige Sound des Musikers Elliot Zoerner, der an den Instrumenten elegant zwischen Rhythmus, Beat und Musik wechselt und seinen eigenen Körper mit Bodypercussion zum Klingen bringt. Wenn es ruhig ist, weil Zoerner selbst artistisch aktiv wird, ertönt das peitschende Schwingen der Springseile und selbst hier scheint ein Soundkonzept zugrunde zu liegen. So wie bei der ganzen Produktion wohl nichts dem Zufall überlassen wurde. Akrobatik, Tanz, Ton, Licht, das Einbeziehen des Publikums und das fast kindliche Staunen in den Augen der KünstlerInnen, wenn eine körperliche Herausforderung gelingt, all das muss akribisch choreografiert und geprobt sein, damit es so unendlich leicht aussieht. Wie ein Spiel balgender Kinder, die lustvoll und auf sämtlichen Ebenen mit Fallen und Steigen experimentieren. Dieses Schauspiel von Körper- und Klangkunst nicht anzusehen, wenn es schon so nah ist, wäre ein Versäumnis. Es ist ein Muss. Daher: Hingehen und ins Schwärmen geraten!

 

„A Simple Space“ im Freudenhaus Lustenau noch bis Samstag, 10. September.
Details unter: http://freudenhaus.or.at/programm/2016/a-simple-space/